Chaostage in Rom: die Oper wirft ihren kompletten Chor und ihr Orchester raus. Einzige Alternative sei die Schließung des Hauses, behauptet der Intendant. Gearbeitet wird in dem Haus nur selten, dafür blüht die Misswirtschaft.

Rom - So schön, so langweilig, so surreal. Die Premiere von Giuseppe Verdis „Rigoletto”, die vor einigen Tagen das Ende der laufenden Saison einleitete – in Rom gehen die Uhren halt ein wenig anders –, wird als eine der merkwürdigsten in die italienische Operngeschichte eingehen. Nun gut: Schönheit, mit Schmelz und Glanz und Szenenapplaus – das ist normal in Italien. Auch wenn in diesem Fall nicht Riccardo Muti am Pult stand, den die Oper in Rom vor drei Jahren ehrenhalber zum „künstlerischen Leiter auf Lebenszeit“ bestellt hatte. Muti ist im September davongelaufen; „die Zustände” in Rom befand er seiner Inspiration für abträglich.

 

Langweilig und surreal, das hängt zusammen. Zum Gewerkschaftsritual an Italiens Spielstätten gehört es, beim kleinsten Gehalts-Dissens mit dem Intendanten eine Premiere – wie man dann sagt – „in die Luft gehen zu lassen“, mit flammenden Worten aus den Kulissen zu treten oder die Zuschauer mit Protestflugblättern zu überhäufen. Nichts von alledem passierte beim römischen Rigoletto.

Dabei hätte genau hier endlich mal Grund zu einem existenziell bedeutsamen Arbeitskampf bestanden: Die Oper Rom, getragen von einer privatrechtlichen Stiftung aus Stadt, Staat und Region, hat Anfang Oktober ihren Chor und ihr Orchester rausgeworfen, 180 Leute insgesamt, wirksam zum Jahresende.

Das war ein Schock; das hat es in Italien noch nie gegeben, und für Beobachter ist es nur so verständlich, dass die Gewerkschaften jetzt, während sie in der maximal 75-tägigen gesetzlichen Verhandlungsfrist zu retten versuchen, was zu retten ist, lieber nicht aufmucken. Der Intendant Carlo Fuortes und der Bürgermeister Ignazio Marino haben es auch auf brutalstmögliche Weise gesagt: Zur Kündigung der Musiker gäbe es angesichts der Finanzlage nur eine Alternative: die Schließung des Hauses.

Schon zur Jahresmitte war diese nur um Haaresbreite vermieden worden; da hatten die ersten Sparmaßnahmen gegriffen. Fuortes versprach damals sogar, es werde keine Kündigungen geben. Im Sommer aber hatten zwei der sieben Operngewerkschaften den Bogen überspannt. Sie vertreten zwar höchstens ein Viertel der 650-köpfigen Belegschaft, Orchestermusiker vor allem, aber sie torpedierten das internationale Aushängeschild und eine der größten Einnahmequellen der Opera di Roma: die Festspiele in den Caracalla-Thermen. „La Bohème” konnte gar nicht, oder wenn, dann nur mit einem einsamen Klavier als Stütze über die Bühne gehen; Touristen aus aller Herren Länder standen vor verschlossenen Ruinen.

Anders als in Mailand und Neapel gibt es in Rom keine eingewurzelte Opernkultur; das „Teatro Costanzi“ aus dem 19. Jahrhundert ist der Ewigen Stadt immer ein Fremdkörper geblieben, auch wenn, des „Genius loci“ und der umso plakativeren Wirkung wegen, Weltstars hier gastierten – Karajan, Caruso, Kleiber unter vielen anderen – oder wenn eine Cecilia Bartoli in diesen Räumen geboren und aufgewachsen ist.

Geld spielte an der Opera di Roma lange keine Rolle; so nahm sich jeder, was er kriegen konnte. Damit’s nicht so auffiel, wurden alle möglichen Gehaltszuschläge unter dem Bilanzposten „Rücklagen für künftige Inszenierungen“ verbucht; die Damen und Herren aus dem Orchestergraben, alle im Professorenrang, musizierten woanders und ließen sich kostenpflichtig vertreten; Fuortes sagt, sie hätten nur 125 Tage pro Jahr für die Oper gearbeitet, der Erste Geiger in der ersten Jahreshälfte 2014 sogar nur 62 Tage, ein Viertel des Solls.

Viel mehr gab’s ja auch gar nicht zu tun, sagen mitfühlende Geister: Mit 98 Aufführungen im vergangenen Jahr liegt Rom – wie alle diese berühmten, aber schlafmützigen italienischen Opernhäuser – weit unter internationalem Standard: Wien, der Extremfall, spielt jeden Tag, Stuttgart verzeichnet 339, Berlin trotz seiner nicht enden wollenden Baustelle 356 Aufführungen, und mit ihren 113 000 Zuschauern (plus weitere 42 000 bei den Caracalla-Festspielen) bleibt die Opera di Roma proportional genauso weit abgeschlagen.

Nur in einem führt sie landesweit: bei den Schulden. An die dreißig Millionen Euro hatte sie angesammelt; und während beispielsweise die Mailänder Scala, in jahrelanger Arbeit grundsaniert, für 2013 einen Überschuss von wenigstens 60 000 Euro verbuchte, meldet Rom ein Defizit von 12,6 Millionen Euro. Aber jetzt ist man darin wenigstens transparent – seit der damals neue Bürgermeister Ignazio Marino, von der restlichen ererbten Misswirtschaft seiner Stadt und dem Stabilitätspakt geplagt, zu Jahresende 2013 auch bei der Oper durchgriff.

Dabei wurde der 55-jährige Kulturmanager Carlo Fuortes Intendant, und auch wenn er kurz zuvor als Sparkommissar an der Oper von Bari mit Applomb gescheitert war – in Rom gilt er als Erfolgsmodell: Seit im Jahr 2003 das architektonisch spektakuläre „Auditorium“ von Renzo Piano fertig geworden ist, leitet Fuortes die dort ansässige Stiftung „Musik für Rom“.

Mit einer populären Mischung aus Klassik und Jazz und Shows und Wort-Veranstaltungen garantiert er seinem Haus nicht nur eine dauerhafte Spitzenauslastung, sondern auch eine Bilanz, die noch nie unter null gefallen ist. In beträchtlichem Selbstbewusstsein hat sich „Musica per Roma“ jetzt auch noch eine Kampfansage an die Oper geleistet.

Gestützt auf sein Orchester „Accademia di Santa Cecilia“, eine Art Römische Philharmoniker unter Antonio Pappano, will das Auditorium demnächst Verdis „Aida“ aufführen. Der Opera di Roma war die „Aida“ als Eröffnung der kommenden Spielzeit zu teuer. Und außerdem: Eine „Aida“ ohne Maestro Muti?

Bei der Oper nun will Fuortes mit der Kündigung von Orchester und Chor 3,4 Millionen Euro pro Jahr einsparen; das sei nur ein Teil jener Summe, die mit den sommerlichen Streiks und mit Mutis Flucht an Sponsorengeldern verloren gegangen sei, sagt er. Und wenn die Musiker brav sind, so jedenfalls haben sie selbst den Intendanten verstanden, dann will Fuortes ihre gesammelten Dienstleistungen mit Jahresbeginn 2015 wieder zukaufen – von außen allerdings, mit einer „Produktionssteigerung“ von mindestens zwanzig Prozent und zu Honorarsätzen, die er für budgetverträglich hält.

Das kann nichts werden, sagen die Opernbeschäftigten in Berlin, die – beileibe nicht als einzige – ihren entlassenen römischen Kollegen die Solidarität bekundet haben: „Kunst braucht Sicherheit, lange Aufbauarbeit, die nur unter sicheren sozialen Rahmenbedingungen geleistet werden kann“, steht in der Berliner Erklärung, und: die geplanten Entlassungen eines „künstlerischen Kollektivs“ könnten „fatale Signalwirkung weit über Italien hinaus“ haben.

Fuortes entgegnet, anders schaffe er die Sanierung nicht; die örtlichen Bedingungen in Rom und in Berlin seien nicht vergleichbar. Fortsetzung folgt. Garantiert.