Wer am Messie-Syndrom leidet, kann nicht entscheiden, welche Dinge wertvoll sind und welche in den Müll gehören. Die Ursachen liegen oft tief im Inneren verborgen und müssen ergründet werden.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Überfüllte Räume, Stapel von Dokumenten, im schlimmsten Fall ganze Müllberge in der Wohnung: Helfer können ein Lied davon singen. Sie sperren eine Wohnung auf und stoßen meterhoch auf Müll. Oft krabbelt Ungeziefer zwischen Essensresten und Papierbergen herum. Meistens zeugt ein unausstehlicher Gestank von der totalen Verwahrlosung.

 

Messie- oder Vermüllungs-Syndrom

In solchen Wohnungen hausen seelisch kranke Menschen – Messies. Sie können nichts wegwerfen, müssen alles zwanghaft horten. Am Ende sind sie in einer ausweglosen Situation und brauchen Hilfe. Experten gehen davon aus, dass an die zwei Millionen Menschen in Deutschland unter dem Messie- oder Vermüllungs-Syndrom leiden.

Durch diverse voyeuristische TV-Sendungen („Raus aus dem Messie-Chaos – rein ins Leben“, „Das Messie-Team – Start in ein neues Leben“, „Die Entrümpelungsprofis“) hat es das Thema zu zweifelhaftem Ruhm gebracht.

Messie-Syndrom eine Form der Zwangsstörung. Foto: Imago

Diese auch als neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen (englisch: obsessive-compulsive disorder, OCD) bezeichneten Erkrankungen zählen zu den besonders schweren seelischen Leiden. Foto: dpa/Kai Remmers

Messies – Könige der Unordnung

Messies sind „Mess“-Meister, Könige der Unordnung (so der englische Begriff). Sie leiden unter zwanghaftem Horten („compulsive hoarding“). Wie der Name schon sagt, ist das Messie-Syndrom eine Form der Zwangsstörung. Diese auch als neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen (englisch: obsessive-compulsive disorder, OCD) bezeichneten Erkrankungen zählen zu den besonders schweren seelischen Leiden.

Betroffene verspüren innere Zwänge, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun. Auch wenn diese (wie ein Wasch-, Aufräumzwang und Hortungszwang) als übertrieben und sinnlos erlebt werden, kann man sich ihnen nicht entziehen, wodurch das komplette Leben beeinträchtigt wird.

Betroffene verspüren innere Zwänge, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun. Foto: Imago/Klaus W. Schmidt

Pathologisches Horten

„Es ist etwas ganz anderes, als wenn Menschen einfach sehr unordentlich sind oder eine Familie mit drei Kindern mal an ihre Grenzen kommt“, sagt die Gründerin des Messie-Kompetenz-Zentrums in Stuttgart, Veronika Schröter. „Betroffene haben das Bedürfnis, dass auf existenzieller Ebene alles bleiben muss, was sie besitzen.“

Experten sprechen auch vom pathologischen Horten. „Man erkennt es daran, dass Menschen sich nicht von Dingen trennen können, weil sie nicht die herkömmlichen Entscheidungskriterien entwickelt haben, was für den Wohnraum und das Leben wichtig ist und was nicht“, erläutert Schröter.

In der Regel betrifft das vor allem das eigene Zuhause: Es kann passieren, dass Menschen im Job erfolgreich sind und außerhalb ihrer Wohnung einen strukturierten Eindruck machen.

In der Regel betrifft das vor allem das eigene Zuhause: Es kann passieren, dass Menschen im Job erfolgreich sind und außerhalb ihrer Wohnung einen strukturierten Eindruck machen. Foto: dpa/Alexander Farnsworth

Messies sind Menschen, die nichts wegwerfen können, ohne etwas von ihrem Selbst aufzugeben. Foto: Imago /Udo Gottschalk

Mehr als zwei Millionen Messies in Deutschland

Nach Schätzungen der Selbsthilfegruppe Anonyme Messies gibt es in Deutschland mehr als zwei Millionen Menschen, die mit chaotischen Zuständen in ihren eigenen vier Wänden, mit Papier- und Müllbergen, Schmutz und Exkrementen, leben.

Messies sind Menschen, die nichts wegwerfen können, ohne etwas von ihrem Selbst aufzugeben. In der Regel fängt es mit ein paar Dingen an, die sich rasch vermehren und irgendwann zu Bergen in der Wohnung auftürmen. Schon bald überfordert die Sammelwut den Horter.

. Zu den seelischen Problemen der Messies treten oft körperliche Beschwerden, vor allem Atemwegserkrankungen. Foto: Imago/Udo Gottschalk

Grauenhafte Atemluft

Ein besonderes Problem Problem in vermüllten Messie-Haushalten ist die grauenhafte Atemluft. Zu den seelischen Problemen der Messies treten oft körperliche Beschwerden, vor allem Atemwegserkrankungen. Denn Messies lüften nicht, sie können es oft gar nicht, weil alles in der Wohnung zugestellt ist. Dazu kommt nicht selten der Gestank von verdorbenen Lebensmitteln.

Und natürlich spielt Ungeziefer eine Rolle. Kakerlaken sind noch das geringere Problem. Vor allem in Erdgeschosswohnungen werden auch Mäuse und Ratten Mitbewohner.

Auch Menschen, die im Alter eine Demenz entwickeln, können ein Messie-Syndrom ausbilden Foto: Imago/Shotshop

Wenn sich die Wohnung füllt

Ein Messie-Syndrom kann viele Ursachen haben. „Oft kommt es zu immer wiederkehrenden Gedankenkreisen, aus denen die Betroffenen nicht herauskommen», erklärt Sabine Köhler. Sie ist Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte mit Sitz in Krefeld. „Sie können keine Entscheidung treffen, etwas aufzuheben oder wegzuwerfen. Und so füllt sich die Wohnung.“

Das Messie-Syndrom wird der Expertin zufolge tritt oft zusammen mit anderen Krankheiten auf, zum Beispiel mit Depressionen. Auch Menschen, die im Alter eine Demenz entwickeln, können ein Messie-Syndrom ausbilden. „Wenn die Nervenzellen im Gehirn nicht mehr gut miteinander kooperieren können, fällt es auch viel schwerer, aktuelle Situationen adäquat einzuordnen“, erläutert Köhler.

Therapeuten oder Sozialarbeiter haben in diesem Fall die schwere Aufgabe, die Betroffenen auf ihr Problem aufmerksam zu machen. Foto: Imago//Udo Gottschalk

Oft offenbart erst ein Hausbesuch das Problem

Teilweise suchen Betroffene selbst nach Hilfe, weil sie feststellen, dass sie ein Problem mit dem Aufbewahren und Wegwerfen haben. Doch es gibt auch andere Verläufe: „Es kommt oft vor, dass Patienten zunächst wegen anderer Beschwerden zu uns kommen“, berichtet Sabine Köhler. Wenn es nach Gesprächen zu einem Besuch der Wohnung komme, stelle man dann fest, wie es dort aussehe.

Therapeuten oder Sozialarbeiter haben in diesem Fall die schwere Aufgabe, die Betroffenen auf ihr Problem aufmerksam zu machen. Dabei ist es wichtig, behutsam vorzugehen. Das gilt auch für Angehörige, die feststellen, dass zum Beispiel die Mutter oder der Onkel am Messie-Syndrom leiden könnten.

„Es geht erst einmal nicht ums Aufräumen, sondern um die Behandlung der eigenen Lebenswunde.“ Foto: Imago/Udo Gottschalk

„Lebenswunde“ heilen

Für die Behandlung von Betroffenen hat Veronika Schröter vom Messie-Kompetenz-Zentrum ein Therapiekonzept entwickelt. Sie bildet auch spezialisierte Messie-Fachkräfte aus. „Es geht erst einmal nicht ums Aufräumen, sondern um die Behandlung der eigenen Lebenswunde“, unterstreicht die Expertin. „Die Betroffenen erfahren so, warum sie ihr eigenes Leben derart zugebaut haben.“

Ist dieser Schritt gemacht, können sich Betroffene zusammen mit Experten dem nächsten Thema widmen: Dem Aufräumen und der Entscheidung, was man wirklich braucht.