Kroatien ist zum Transitland für die verzweifelten Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa geworden. Doch das Balkanland ist dem Ansturm der Menschen nicht gewachsen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Der Spätsommer zeigt kein Erbarmen. Mitleidslos steht die sengende Sonne über den tausenden von erschöpften Wartenden, die ermattet im Gleisbett lagern. „Weißt Du, wann der Zug kommt?“, fragt auf dem Bahnhof von der kroatischen Grenzgemeinde Tovarnik verzweifelt der hagere Iraner Daniel Nael Salehi. Schon 16 Tage ist der christliche Geistliche aus Teheran mit seiner Familie in Richtung Deutschland unterwegs. Doch das stundenlange Harren ohne Wasser und Schatten hat ihn restlos ausgezehrt. Ob die Schienen denn in Kroatiens 300 Kilometer entfernte Hauptstadt Zagreb führten, will er wissen. „Wir wollen laufen“, sagt er. Es herrscht das Chaos.

 

Die Helfer sind überfodert

„Wir haben die völlige Kontrolle über die Grenze“, hatte in der Nacht zuvor noch Kroatiens nach Tovarnik geeilter Innenminister Ranko Ostojic verkündet. Doch am nächsten Tag ist in der Landgemeinde von den Würdenträgern nichts mehr zu sehen und die wenigen Helfer und Ärzte sind von dem offenbar unerwarteten Ansturm der Neuankömmlinge völlig überfordert. Über 6000 Flüchtlinge hätten innerhalb von 24 Stunden die Grenze von Serbien überquert, vermelden Kroatiens Medien schon am Vormittag: Auf 4000 bis 5000 wird vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR allein die Zahl der Menschen in Tovarnik geschätzt.

„Wir werden in Zeugen einer humanitären Katastrophe“, schlägt am Mittag der Kreisrat Bobo Galic Alarm. „Alle angeblichen Notfallpläne der Regierung sind geplatzt.“ Tatsächlich scheint der EU-Neuling schon einen Tag nach der Westverschiebung der sogenannten Balkanroute dem Flüchtlingsansturm kaum gewachsen. Die Aufnahmekapazitäten der wenigen Lager ist mit rund 1800 Plätzen längst erschöpft. Die Zahl der Neuankömmlinge steigt und wohin sie ziehen sollen, ist noch ungewiss. Denn der Nachbar Slowenien verweigert sich bisher Zagrebs Plänen für einen Transitkorridor nach Österreich.

Kühle Beziehungen zu den Nachbarn

In der Flüchtlingskrise scheint es sich zu rächen, dass der vom Dauerwahlkampf und einer Welle neu erwachten Nationalismus erhitzte EU-Neuling schon seit Monaten eher kühle Beziehungen und eine karge Kommunikation zu seinen Nachbarn Serbien und Slowenien pflegt. Sie sei dagegen, einen Korridor durch Kroatien und Slowenien für die Flüchtlinge zu organisieren, die nach Österreich und Deutschland wollten, verkündete schon in der Nacht zu Donnerstag Sloweniens Innenministerin Vesna Györkös Znidar. „Von Kroatien erwarten wir, dass es tatsächlich die Grenzen kontrolliert – und die Regeln der EU respektiert.“ Die Grenzkontrolle müsse „härter“ sein, fordert derweil im fernen Zagreb Kroatiens konservative Staatschefin Kolinda Grabar Kitarovic. Die Zahl der Flüchtlinge, die „unkontrolliert“ ins Land gelange, sei „zu groß“.

An Polizisten gibt es an dem von den Übertragungswagen der internationalen TV-Stationen belagerten Bahnhof von Tovarnik zwar keinen Mangel, an Wasser jedoch schon. In Plastikbechern schenken die Helfer des lokalen Katastrophenschutzes das begehrte Nass an Frauen, Kinder und Familienväter aus. „Dehydrierung“ sei das größte Problem der Leute, berichtet gehetzt der Notfallsarzt Anton Stasic aus dem nahen Vukovar. „Sie sind einfach erschöpft.“ Auch das Schild mit dem EU-Banner vermag auf dem Bahnhof kaum Schatten zu bieten. Um vier Uhr morgens sei er von der nahen serbischen Grenzgemeinde Sid zu Fuß nach Tovarnik gelangt – und in neun Stunden habe er weder Wasser noch irgendeine Verpflegung erhalten, seufzt der bärtige Zahnarzt Fadil. Seine Praxis in Syrien sei zerstört, „alles, was ich hatte, habe ich verloren“, begründet er, warum er sich schon seit 13 Tagen der Flüchtlingstortur in Richtung einer „neuen Zukunft“ in Europa unterzieht. „Aber nun hängen wir fest. Stimmt es, dass uns Slowenien blockiert? Und wird die kroatische Grenze zu Ungarn eigentlich auch bewacht?“