InterviewChef des Deutschen Journalisten-Verbands im Interview „Wir müssen weiter kritisch nachhaken können“

Parteien, Ministerien und Behörden rüsten medial auf und bereiten ihre Nachrichten teilweise selbst auf – Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, sieht die Gefahr, dass das kritische Nachhaken aus dem Politikbetrieb verschwinden könnte.
Berlin – - Zusammen mit der dju in Verdi vertritt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) die Interessen der gut 40 000 Journalisten in der Bundesrepublik. Vorsitzender des DJV ist seit 2015 der 48-jährige Politik- und Medienwissenschaftler Frank Überall.
Herr Überall, die Politik rüstet mit digitalen Kommunikationszentralen medial auf, manch klassisches Medium über Stellenkürzungen politisch ab. Gerät da was ins Rutschen?
Diese Gefahr sehe ich: Parteien, Regierungen, Behörden oder Firmen erzeugen in „Newsrooms“ pseudojournalistische Formate, die reine politische PR sind. Solche Inhalte fördern die Filterblasen, in die andere Meinungen kaum eindringen – Information und Einordnung, die so wichtig sind für den demokratischen Diskurs, bleiben auf der Strecke.
Ministerien und Parteien betonen, nicht in Konkurrenz zum Journalismus zu treten, sondern die Wähler dort erreichen zu wollen, wo sie verstärkt aktiv sind, nämlich im Netz. Ist das nicht legitim?
Doch, sicher, das gehört dazu. Ich stelle nur einen Trend fest, dass das die Bedienung legitimer Anfragen von Journalisten in den Hintergrund drängt.
Haben Sie ein Beispiel dafür parat?
Extrem war es kürzlich bei der Bremer Polizei, die zu einem Einsatz keine Interviews gab, sondern Videos online stellte, in denen Polizisten Polizisten befragten, ganz ohne kritische Nachfragen. In der Mainzer Staatskanzlei gab es beim Aufbau des „Newsrooms“ ähnliche Überlegungen. Wir müssen wachsam sein, dass die Möglichkeiten für journalistisches Nachhaken nicht weniger werden und dieser feuchte Traum mancher Politiker wahr wird.
Sehen Sie in Deutschland Anzeichen dafür, dass es in Richtung von US-Präsident Donald Trump geht, der vor allem via Twitter kommuniziert und klassische Medien weitgehend ignoriert und diffamiert?
Wir erleben bei der AfD, dass kritische Reporter nicht von Parteitagen berichten dürfen, während die AfD die sozialen Netzwerke mit ihren Postings flutet. Von solchen Anwandlungen sind die Repräsentanten unseres Staates zum Glück weit entfernt – der Videopodcast der Kanzlerin etwa hat nicht annähernd, auch nicht von der Intention her, die negative Qualität des Kommunikationsgebarens von Herrn Trump, der damit wiederum unfreiwillig „New York Times“ oder „Washington Post“ enorme Zuwächse beschert. Das zeigt, dass auch im Netz eine Zahlungsbereitschaft für seriöse und verlässliche Informationen existiert. Die Menschen wollen sich schließlich nicht für dumm verkaufen lassen.
Vermeintlich elitäre „Mainstreammedien“ haben selbst Vertrauen eingebüßt.
Für mich als Gewerkschafter, der die teils prekären Arbeitsbedingungen kennt, ist Elite ein Kampfbegriff wie Lügenpresse oder Fake-News, der die freie kritische Presse und ihre Arbeit herabwürdigt. Davon zu trennen sind die berechtigten Fragen unserer Leser und Zuschauer.
Nämlich?
Journalisten sind nicht mehr die alleinigen „Gatekeeper“, die entscheiden, was an die Öffentlichkeit gelangt – im Netz gibt es Millionen anderer Quellen, und wir werden gefragt, ob wir wirklich die wichtigsten Informationen auswählen. Die kritische Auseinandersetzung mit uns selbst hat schon zu positiven Veränderungen geführt: Dazu gehören Textformate wie „Das wissen wir schon, das wissen wir noch nicht“, die nicht Allwissenheit vorgaukeln. Redaktionelles Handeln ist transparenter geworden, wir begründen Entscheidungen besser. Und es gehört heute selbstverständlich zu unserer Arbeit dazu, dass wir nicht wie früher nur senden, sondern auch empfangen und uns auf allen Kanälen der Diskussion über unsere Beiträge stellen.
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