Chelsea Clinton hat sich ihr Leben lang vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Jetzt wagt sie doch die ersten Schritte – als Fernsehreporterin.  

Washington - Die neun Jahre alte Sidney Rieckhoff hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen. Es war Januar 2008, der US-Präsidentschaftswahlkampf kam gerade ins Rollen und Sidney hatte den Auftrag, für die Kindernachrichten "Scholastic News" einen Artikel über Chelsea Clinton zu schreiben. Da stand das Mädchen nun also in einer Turnhalle in Iowa mit seiner auswendig gelernten Frage und wartete darauf, dass die Tochter der Kandidatin und ehemaligen First Lady Hillary auf dem Weg zum Rednerpult an ihr vorbei kam.

 

Als es endlich so weit war, preschte Sidney tapfer vor und sagte ihre Zeile auf: "Glaubst du, dein Vater wird einen guten ersten Ehemann abgeben?" Doch als Sidney die Frage ausgesprochen hatte, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. "Ich rede nicht mit Reportern", fuhr Clinton die Nachwuchsjournalistin barsch an. Immerhin fügte sie noch gnädigerweise an: "Auch wenn du süß bist."

Der Vorfall erzeugte in den erwachsenen Medien der USA einen Feuersturm. Man wusste, dass Chelsea Clinton notorisch medienscheu ist, schon als Mädchen im Weißen Haus wurde sie sorgsam vor der Presse abgeschirmt. Dass sie während des Wahlkampfes für ihre Mutter Reden hielt, war bereits eine kleine Sensation - so weit hatte sie sich noch nie in die Öffentlichkeit gewagt. Dass sie die kleine Sidney so brutal abfertigte, wurde jedoch als erneutes Zeichen ihrer ans Paranoide grenzenden Furcht vor dem Rampenlicht gedeutet.

"Kind, du musst mehr in die Welt hinausgehen"

Umso überraschender kam vor wenigen Wochen die Meldung, dass Chelsea Clinton sich nun selbst als Reporterin versuchen möchte. Kurz vor Weihnachten, verkündete stolz der US-Fernsehsender NBC, werde sich Chelsea in das Rechercheteam des Kanals einreihen und das Publikum der Reportagereihe "30 Rock" mit Berichten über Sozialprojekte beglücken.

Was war passiert in der Zwischenzeit, wie kam der Sinneswandel? Warum hatte sich die Erbin des berühmtesten amerikanischen Politclans seit den Kennedys plötzlich dazu entschlossen, ihre so gehütete Privatsphäre ein Stück weit preiszugeben?

Das wollten natürlich auch die Zuschauer wissen, und Chelsea Clinton beantwortete deshalb die Frage geduldig dem NBC-Moderator Brian Williams, nachdem vergangene Woche ihr erster Beitrag über ein Projekt für benachteiligte Kinder in Arkansas ausgestrahlt worden war. Ihre kürzlich verstorbene Großmutter Dorothy Rodham, so sagte die 32 Jahre alte Chelsea, habe sie davon überzeugt, dass sie eine Verpflichtung habe, mit ihrer Prominenz etwas Produktives zu tun, anstatt sich bloß zu verstecken. "Kind, du musst mehr in die Welt hinausgehen", hatte die Oma ihr geraten, und daran wolle sie sich nun halten.

Ein ganz normaler Bürojob

Dem Ruf der Großmutter zu folgen, dürfte ihr aber nicht leichtgefallen sein. Die Klatschspalten, ihr Promistatus, das alles war Chelsea zuwider. So stachelig, wie sie gegenüber der kleinen Sidney war, kannte man sie. Richtiggehend allergisch reagierte sie auf Nachfragen nach der Ehe ihrer Eltern und wie die Affäre ihres Vaters mit der Praktikantin Monica Lewinsky sie belastet habe. "Das geht dich nichts an", fauchte sie einen Studenten an, der sie während des Wahlkampfs 2008 darauf ansprach.

Ihre berufliche Laufbahn verfolgte sie dementsprechend im Stillen. Sie studierte erst in Stanford, dann in Oxford, weit weg von den Medien, und als sie zurück in die USA kam, stieg sie bei einem New Yorker Hedgefond ein. Chelsea Clinton wollte einen ganz normalen Bürojob machen wie Hunderttausende von anderen Frauen auch. Doch natürlich konnte sie der Klatschmaschinerie auf Dauer nicht entgehen, schon gar nicht in Manhattan, wo die Ex-Präsidententochter allgegenwärtig war. Ihre Restaurant- und Nachtclub-Besuche wurden umfassend dokumentiert, ebenso wie die Affäre mit ihrem späteren Ehemann, dem Bankier Marc Mezvinsky. Clinton musste sich, wie schon ihr Leben lang, damit begnügen, ihre Präsenz in den Medien eben so gut es geht zu managen.

Das Musterbeispiel für den Eiertanz, den Chelsea Clinton mit der Presse aufführte, war ihre Hochzeit im Sommer 2010. Wo sie stattfinden sollte, wurde gehütet wie ein Staatsgeheimnis, die zugelassenen Reporter waren handverlesen, das Gelände war abgeschirmt wie das Pentagon.

Geht es doch um eine Politikkarriere?

Seitdem tastet Clinton sich jedoch vorsichtig an ein Leben heran, in dem sie nicht mehr vor den Kameras flieht. Ihr Auftritt im Wahlkampf ihrer Mutter war ein großer Schritt in diese Richtung, es folgte ihr Einstieg als Vorstandsmitglied des Medienunternehmens IAC sowie ihr sehr öffentliches Engagement für die Aids-Stiftung Amfar. Und jetzt ihr Job als Reporterin.

Nun fragt man sich natürlich laut, wohin das alles führen soll. Wenn es ihr wirklich nur darum gehe, Gutes zu tun, so spekulierte vergangene Woche die "New York Times", sei die journalistische Arbeit für jemanden mit ihrem Namen nicht unbedingt der logischste Schritt. "Da könnte sie auf anderem Weg wesentlich mehr bewirken." Für eine Politikerlaufbahn sei eine Bildschirmpräsenz hingegen ein hervorragendes Sprungbrett. Bereitet sich Chelsea Clinton also darauf vor, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten? Das Timing wäre perfekt - nach der nächsten Wahl könnte erstmals seit 20 Jahren kein Mitglied der Familie mehr ein öffentliches Amt bekleiden. Es könnte Chelseas Stunde sein.

Wenn es nach den Kritiken für ihre erste Sendung geht, muss sie bis dahin jedoch noch gehörig zulegen. Ihr Beitrag, so der Tenor, sei ordentlich gewesen, aber auffallend blass und hölzern. "Nicht einen Funken Charisma", ätzte die "Washington Post". So richtig wohl fühlt sich Chelsea Clinton im Rampenlicht augenscheinlich noch immer nicht. Da muss sie noch einiges von ihren Eltern lernen.

Als Teenager im Weißen Haus

Leben Chelsea Victoria Clinton kam im Februar 1980 in Little Rock, Arkansas, zur Welt. Mit zwölf Jahren, bei der Amtseinführung ihres Vaters Bill am 20. Januar 1993, zog sie ins Weiße Haus – für acht Jahre. Sie besuchte die private Eliteschule Sidwell Friends School.

Beruf 2001 machte Chelsea Clinton an der Universität Stanford ihren Abschluss in Geschichte. Sie arbeitete für die Unternehmensberatung McKinsey in New York und wechselte 2006 zur Hedgefonds Avenue Capital Group. Im Dezember hat sie ihre Reportagereihe beim Sender NBC gestartet. StZ