Chinas Politik spricht eine andere Sprache als das Volk. Der Staatschef mischt sich neuerdings gern unter die Leute – und erhöht dadurch nur die Distanz.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Peking - Plötzlich war er ein einfacher Mann, ein gewöhnlicher, wenngleich auch seltener Besuch hier in den Ausläufern der Wuling-Berge in der Provinz Hunan, eine ärmliche Gegend im Süden Chinas. Kaum jemand verirrt sich hierher, ins Dörfchen Shibadong, wo viele Tujia leben, Chinas sechstgrößtes Minderheitenvolk. Er aber kam dennoch, im blauen Funktionärsjäckchen, mit einer ganzen Delegation und einigen Fotografen, die ihn ablichteten, wie er ein Kind hochhob, ein paar Pampelmusen pflückte, in den dunklen Hütten der Bewohner hockte, mit erleuchtetem Gesicht.

 

Wer nur bloß war dieser Mann, der da die engen, schlammigen Wege hochstapfte und ein besseres Leben versprach? Eine 64-jährige Frau, so berichtet es Chinas amtliche Agentur Xinhua, fragte direkt: „Wie soll ich dich rufen?“ Es ist eine höfliche Umschreibung für „Wer bist du nur?“ Der Generalsekretär! Der Parteichef! Xi Jinping doch! So zischten die Provinzfürsten. Gut, Xi Jinping dann, ein Name wie jeder andere auch. Die Frau hatte ihn noch nie gehört. Die allgegenwärtigen Bilder von Chinas Lenker waren bisher nicht nach Shibadong vorgedrungen.

Die inszenierte Zuwendung

Chinas Staatschef, der bis heute mit mehr als 370 Männern und Frauen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei beim sogenannten Dritten Plenum über die Zukunft Chinas entscheidet, geht gern unters Volk. Der „Massenlinie“ folgen, heißt es in der Sprache der Partei. Doch je mehr sich der Staat auf dem inszenierten Wege seinem Volk zuwendet, desto mehr entfernt sich dieses Volk vom Staat.

Xi mag noch so vehement den „chinesischen Traum“ ausrufen, die Verbindung zwischen Politik und Alltag bleibt den meisten Chinesen fremd. Sicher, sie haben Träume. Von eigener Wohnung und besserem Gesundheitssystem, von Reisen in ferne Ländern und entspannteren Schulprüfungen, von eigenem Stück Land und unverdorbenen Lebensmitteln. Träume von einem besseren Leben. Stattdessen aber sehen sie die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, erleben Landraub durch Beamte, leben in verseuchter Luft und auf verseuchtem Boden. Die Partei redet in blumigen Worten, doch das Volk erreicht sie damit nicht. „Ich lebe mein Leben und die Partei ihres. Mei banfa“, sagen viele Chinesen. Es sei eben so.