Die Sorge, von China abgehängt zu werden, treibt zunehmend die deutsche Industrie um. Es geht um chinesische Übernahmen in Deutschland und den Abfluss von Know-how. China-Experte Jan Weidenfeld spricht von einem „unfairen Spiel“.

Wirtschaft: Imelda Flaig (imf)

Stuttgart – - Herr Weidenfeld, China beteuert seinen Reformkurs. Wie sehr werden durch staatliche Eingriffe Märkte und Preise verzerrt?

 

Wir haben im Moment die Hoffnung, dass Peking weitere Reformschritte unternimmt, denn China steht nicht nur in den USA unter besonderer Beobachtung – sondern gerade auch in Berlin und Brüssel. Viele Reformen, die in den vergangenen Jahrzehnten unternommen wurden, sind in den letzten sechs Jahren unter Präsident Xi Jinping komplett zum Stillstand gekommen oder sogar zurückgerollt worden. Die chinesische Rhetorik suggeriert im Moment zwar eine groß angelegte wirtschaftliche Öffnung, aber die Sorge bleibt, dass das weitestgehend nur Lippenbekenntnisse sind.

Also ist ein schärferer Kurs, wie ihn jüngst auch der Industrieverband BDI gegen China gefordert hat, nötig?

Die Kanzlerin hat aus gutem Grund bereits zu Beginn ihrer vierten Amtszeit den systemischen Wettbewerb mit China in der Wirtschaftspolitik als eine der großen außenpolitischen Herausforderungen genannt. Es hat aber noch einmal eine ganz andere Qualität, wenn der BDI als großer Wirtschaftsverband diesen Systemwettbewerb ausruft. Da geht es schließlich auch um die Bündelung der Interessen einzelner Mitglieder, die teils einen riesigen Absatzmarkt in China haben und dort weiterhin massive Gewinne einfahren. Tatsächlich bestehen für Teile der deutschen Wirtschaft mittlerweile massive Abhängigkeiten. Das macht die Lage besonders prekär. Es hat sich eine enorme Unzufriedenheit bei vielen Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft über die Situation auf dem chinesischen Markt aufgebaut, aber die Handlungsmöglichkeiten sind limitiert.

Inwiefern?

Es geht um die besondere Marktsituation, die deutsche und europäische Unternehmen in China vorfinden. Es geht weiterhin etwa um den Schutz geistigen Eigentums, aber auch um die Einflussnahme sogenannter „Parteizellen“ auf Entscheidungsprozesse in den Dependancen deutscher Firmen in China oder die sehr unterschiedliche Auslegung chinesischer Gesetze und Regularien mit Blick auf ausländische Unternehmen, was schnell zu einem Wettbewerbsnachteil führen kann. Was überall durchscheint ist eine zunehmende Besorgnis über den wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei.

China ist doch ein wichtiger Handelspartner für Deutschland und für immer mehr Unternehmen der wichtigste Markt.

Natürlich. Es bleibt dabei: Zahlreiche deutsche Unternehmen sind vom chinesischen Markt abhängig. Beispiel Autoindustrie: Jedes dritte deutsche Auto wird in China verkauft. Deswegen fängt jetzt auch die Debatte darüber an, wie weit diese Abhängigkeit gehen sollte. Nur wenn es ein Problembewusstsein gibt, kann man über Handlungsoptionen nachdenken. Bislang waren wir im Autopilotenmodus. Deutsche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren jedes Jahr aufs Neue Rekordumsätze in China erwirtschaftet. Immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen geraten in China jedoch unter die Räder. Es ist ein unfaires Spiel. Chinesische Investoren profitieren von der Offenheit auf dem deutschen und europäischen Markt, es gibt so gut wie keine Beschränkungen. Dagegen finden europäische und deutsche Investoren viele Hürden und Hemmnisse beim und nach dem Markteintritt in China vor.

Der Run chinesischer Investoren auf deutsche Unternehmen hat nachgelassen. Woran liegt das?

Da kommen mehrere Dinge zusammen. Die chinesische Wirtschaft ist in einer massiven Schieflage, was zunehmend auch mit dem Handelsstreit mit den USA zu tun hat. Geredet wird immer nur über die fantastischen Deals, die chinesische Investoren aushandeln konnten, etwa die Übernahme von Kuka, und nicht über die vielen Investitionen, die letztlich weniger lukrativ waren – nicht nur in Deutschland, sondern global betrachtet. Es hat aber auch damit zu tun, dass in Europa bei strategischen Investitionen genauer hingeschaut wird.

Die Bundesregierung hat Ende 2018 zum Schutz vor Spionage und des geistigen Eigentums die Investitionsprüfung verschärft. Ist das gut?

Ja, die Bundesregierung ist mittlerweile bereit, bestimmte Übernahmen zu blockieren. Die Bundesregierung hat die Hürden für die Prüfung ausländischer Investitionen weiter gesenkt. Schon ab einem Anteil von zehn Prozent in Schlüsselbereichen wie etwa Energie Infrastruktur und Verteidigung kann sie Investitionen prüfen. Vorher waren es 25 Prozent. Auch auf EU-Ebene wird an einem entsprechenden Instrument gearbeitet. Beim Stromnetzbetreiber 50 Hertz – also letztlicher kritische Infrastruktur – konnte ein chinesischer Investor durch den Einstieg der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verhindert werden. Das war eine kreative Lösung abseits der Investitionsprüfung.

Ist die Sorge begründet, dass Deutschland bei Zukunftstechnologien wie etwa autonomes Fahren oder künstliche Intelligenz abgehängt wird?

Pauschal ist die Sorge nicht begründet, denn bei etlichen Schlüsseltechnologien und -industrien ist Deutschland noch immer Weltmarktführer – auch in vielen Nischenbereichen, wo deutsche mittelständische Unternehmen oft die einzigen auf dem globalen Markt sind. Klar ist aber, dass es Zukunftsfelder gibt wie künstliche Intelligenz, E-Healthcare oder autonomes Fahren und große Infrastrukturprojekte, wo chinesische Unternehmen schon eine Weltmarktführerschaft haben oder kurz davor sind, eine zu erreichen. Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Das ist die neue Realität. Wir haben einen neuen Spieler auf dem Weltmarkt, der auch den Amerikanern voraus ist.

Was heißt das für Europa und Deutschland?

Wir werden in bestimmten Bereichen weiter wettbewerbsfähig sein, in manchen aber keine nennenswerte Industriebasis haben, wenn wir hier nicht nachsteuern. Das wird dazu führen, dass wir uns entscheiden müssen, wollen wir amerikanische Technologie kaufen oder chinesische - etwa bei künstlicher Intelligenz. Es gibt in Europa kein Facebook, kein Google, kein Alibaba, kein ZTE.

Was kann Deutschland dem entgegensetzen?

Wir müssen uns stärker auf uns selbst konzentrieren und die Googles, Facebooks und Alibabas von morgen kreieren. Da muss viel mehr passieren im Bereich rechtlicher Rahmenbedingungen und Finanzierung. Wir müssen Innovationen besser fördern und in Zukunftsfeldern wettbewerbsfähig werden. Das ist nicht unrealistisch, wie das Beispiel der Fintechs, der Startups im Finanztechnologiebereich, zeigt.

Der Kauf von Kuka oder die Geely-Beteiligung an Daimler haben für Aufsehen gesorgt. Teilen sie Befürchtungen, dass Know-how abgezogen wird und deutsche Unternehmen das Nachsehen haben?

Das charakterisiert die Joint-Venture-Politik der letzten Jahre. Letztlich geht es darum, dass Know-how abfließt und China im Zweifelsfall alles allein machen kann. Der Plan „Made in China 2025“, der maßgeblich hinter der chinesischen Investitionspolitik in Europa und anderswo steckt, gibt Anlass zur Sorge. Peking hat zehn Schlüsselindustrien identifiziert, mit dem Ziel, China in diesen Bereichen voranzubringen und autark zu machen.

Und die Konsequenz?

Ein schärferer Kurs mit Augenmaß. Wir sind bislang sehr naiv vorgegangen und hatten lange gehofft, dass eine wirtschaftliche Liberalisierung auch eine politische nach sich zieht. „Wandel durch Handel“ - von dieser Idee müssen wir uns wirklich verabschieden.