Chinas Kunstshow So nachhaltig sind die Winterspiele

Hochleistungssport neben Schrotttürmen: Erstmals findet Winterolympia an einem Ort statt, an dem es gar keinen Schnee gibt. Dennoch sehen sich Chinesen und IOC als nachhaltige Umweltaktivisten. Foto: AFP/Manan Vatsyayana

Die chinesische Regierung hat im wasserärmsten Teil des Landes ein Winterwunderland geschaffen. Dafür wurde ein Naturschutzgebiet verlegt. Die Schneekanonen müssen brummen – mit Folgen weit über Olympia hinaus.

Peking - Es gibt ja durchaus Dinge, die man kritisieren kann, vielleicht sogar anprangern und verurteilen muss. Der neue Eiskanal zum Beispiel soll rund 400 Millionen Euro gekostet haben. Genau dort, wo er sich in Yanqing den Berg hinunterschlängelt, war früher ein Naturschutzgebiet. Das gibt es weiterhin, es grenzt nun allerdings an die Bahn. Auch die Schanzenanlage in Zhangjiakou ist ein Monument dieser Olympischen Winterspiele, mindestens 60 Millionen Euro teuer, weithin sichtbar, erst recht nachts, wenn sie angestrahlt wird wie sonst nur noch die Chinesische Mauer.

 

Ob im Eiskanal jemals ein Weltcup-Rennen der Rodler oder Bobfahrer stattfinden wird? Ob auf der Olympia-Schanze jemals wieder die weltbesten Skispringer zu Gast sein werden? Ist eher unwahrscheinlich. Und trotzdem ging es zuletzt, wenn über olympische Nachhaltigkeit diskutiert wurde, zumeist um eine andere Wettkampfstätte – die Big-Air-Schanze.

Klickbringer im Netz

Das Bild ist ein Klickbringer in den sozialen Netzwerken: Es zeigt Peking von oben, eine graue Stadt, unwirtlich, öde, abstoßend, eine Ansammlung von Hochhäusern und alten Industrieanlagen. Nur an einer Stelle, mittendrin, leuchtet etwas auffallend hell. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde Peking dem Rest der Welt seine weiße Zunge herausstrecken. In Wirklichkeit handelt es sich um den Ort, an dem Ski-Freestyler und Snowboarder um Medaillen gekämpft haben. Mitten in der Stadt. Was für viele Kommentatoren ein Widerspruch in sich ist. Eine Absurdität. Irrsinn. Zurecht?

Welche Wintersportler sind die schnellsten?

Ortstermin in Shougang. Die 60 Meter hohe Big-Air-Schanze steht in einer Industriebrache, neben alten Kühltürmen. Ringsherum nur Stahl, Alteisen, Schrott. Der Himmel an diesem Morgen ist blau, die Luft klar. Hier wird schon lange nichts mehr produziert – außer Hoffnungen. Erste neue, moderne Bürogebäude sind schon in Betrieb, auch das Organisationskomitee der Winterspiele ist hier untergebracht.

Gewerbe-Disneyland als perfekte Verbindung von Arbeit und Freizeit

Dort wo einmal ein riesiges Stahlwerk stand und die Stadt verpestete, entwickelt sich eine Art Gewerbe-Disneyland. Die perfekte Verbindung von Arbeit und Freizeit. Mit einer Big-Air-Schanze, die das ganze Jahr genutzt wird. Das Konzept kommt an. „Olympisches Flair ist es nicht unbedingt, aber trotzdem extrem cool“, sagt Annika Morgan, die deutsche Snowboarderin, die im Big-Air-Wettbewerb Achte wurde, „die Kritik, so eine Schanze neben einer verrotteten Industrieanlage zu bauen, kann ich nicht nachvollziehen. Der Kicker ist perfekt, hier können sich später mal Kinder, Jugendliche und Studenten ausprobieren, eine Runde chillen. Nur wer vor Ort ist, der sieht, was hier entstanden ist.“

Genau das, was die Olympischen Spiele, die längst selbst zur Industrie geworden sind, beim Thema Nachhaltigkeit leisten können und wollen. Anderswo fällt die Ökobilanz weniger gut aus.

Im Nationalen Ski-Alpin-Zentrum Xiaohaituo in Yanqing fand am Mittwoch der Slalom der Männer statt. Auf einer Strecke, die es vor ein paar Jahren noch nicht gab. Das gesamte Resort ist neu. Für die Pisten, vor allem für die Abfahrt, musste kräftig gerodet werden, der Berg wurde neu modelliert. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Zweieinhalb Milliarden Liter Wasser

Weil die Winterspiele in einer der trockensten Gegenden Chinas stattfinden, lieferte das Bozener Unternehmen TechnoAlpin, der Weltmarktführer für Beschneiungsanlagen, containerweise Schneekanonen. Rund 350 sollen in Yanqing (Ski Alpin) und Zhangjiakou (Ski freestyle, Snowboard, Skispringen, Langlauf, Biathlon) im Einsatz sein. Laufen sie auf Hochtouren, verbraucht jede bis zu sieben Liter Wasser – pro Sekunde. Experten gehen davon aus, dass zur Herstellung des weißen Untergrundes für die Wettkämpfe zwischen zwei und zweieinhalb Milliarden Liter Wasser benötigt wurden, das aus bis zu 70 Kilometer Entfernung an die Pisten gepumpt werden musste. „Diese Winterspiele“, sagte deshalb Carmen de Jong, „sind die unnachhaltigsten aller Zeiten.“

Schneefall kein zufälliges Wetterphänomen?

Die Professorin für Hydrologie von der Universität Straßburg ist die lauteste Kritikerin. Sie prangert den Wasserverbrauch an, den Bodenverlust, den Kohlendioxid-Ausstoß. „Das Klima und die Böden sind für eine künstliche Beschneiung nicht geeignet, weil es starke Winde und eine hohe Verdunstung gibt. Und die Böden müssen sogar vorher benässt werden, damit der Kunstschnee haftet. Deshalb wird drei- bis viermal so viel Wasser benötigt wie für eine Piste in den Alpen“, erklärte de Jong im Deutschlandfunk, und das noch in einer „Gegend mit einer akuten Wasserknappheit“. Dass es zuletzt mitten in der umstrittenen Veranstaltung zwei Tage heftigst geschneit hat, was erlaubte, Bilder einer perfekten Winterlandschaft in die Welt zu senden, ist nach Meinung der Wissenschaftlerin denn auch kein zufälliges Wetterphänomen gewesen. „Das wäre wirklich außergewöhnlich, in meinen Datenreihen habe ich so etwas noch nie gesehen“, sagte de Jong, „es kann sein, dass die Chinesen das alles beeinflusst haben. Man kann Schneefall erzeugen, indem zum Beispiel Silberjodid in Wolken geimpft wird.“

Noch vor dem Ende der Wettkämpfe in China kommt Laura Dahlmeier deshalb zu einem vernichtenden Ergebnis. „Dem Wintersport fehlt das Umweltbewusstsein“, sagte die Biathlon-Olympiasiegerin und Ex-Weltmeisterin dem „Spiegel“, „dass wir alle vier Jahre an einem anderen Ort für Olympia neue Sportstätten aus dem Boden stampfen, die danach nicht mehr genutzt werden, ist als Konzept nicht zukunftsfähig.“ Die Herren der Ringe denken komplett anders.

Ein riesiges Tourismus-Förderprogramm

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Spiele ein riesiges Tourismus-Förderprogramm seien, das 300 Millionen Chinesen den Zugang zum Winter- und Bergsport ermögliche. Und sie betonen zudem bei jeder Gelegenheit, wie „grün und sauber“ das Großereignis sei. Alles nur Propaganda? Dieser Gedanke könnte einem schon kommen angesichts der Plakatwände, Zeitschriften und Werbebroschüren, die in Peking, Zhangjiakou und Yanqing allgegenwärtig sind und den Umweltgedanken der Winterspiele preisen. Die neuesten Werke aus der PR-Abteilung werden auch mal einfach in den Hotelzimmern verteilt. Ungefragt, während der Abwesenheit der Bewohner. Interessant sind die Inhalte nichtsdestotrotz.

Die Organisatoren und das IOC verweisen auf die vielen Maßnahmen, die alle unter einem Motto stehen: „Nachhaltigkeit für die Zukunft“. Dazu gehört, dass erstmals alle Sportstätten komplett mit erneuerbaren Energien betrieben würden. Dass kein Grundwasser für die Schneeproduktion eingesetzt werde. Dass fast der komplette olympische Fuhrpark aus Elektro- und Wasserstoff-Fahrzeugen bestünde. Dass in den vier Eisstadien natürliche CO2-Kältesystem zum Einsatz kämen. Dass bereits 80 000 Hektar Wald- und Grünflächen wieder aufgeforstet worden seien. Dass fünf der sieben Austragungsorte in Peking aus der Zeit der Sommerspiele 2008 stammen. Und dass man sich, trotz des Neubaus vieler Sportstätten und der Olympischen Dörfer, dazu verpflichtet habe, CO2-neutrale Winterspiele zu veranstalten. „Der Klimawandel“, erklärte IOC-Präsident Thomas Bach, „ist eine unserer größten Prioritäten.“ Kritiker halten diese Aussage für Augenwischerei.

Was ist mit Olympischen Spielen in Deutschland?

Sie bemängeln ein „Greenwashing“ – das IOC und andere Organisationen wie der Fußball-Weltverband Fifa würden sich mit Kompensationszahlungen „freikaufen“, ihre Großereignisse zugleich aber klimaschädlich bleiben. „Nachhaltigkeit ist ein trügerisches Konzept bei Megaveranstaltungen“, heißt es in einer Studie internationaler Forscher, die das Magazin „nature“ veröffentlichte, „alle Olympischen Spiele geben vor, nachhaltig zu sein, schaffen es aber nicht, ein Modell für eine unabhängige Überprüfung zu liefern.“ Ähnlich sieht es Stefan Wagner von der Initiative „Sports for future“: „Es ist der falsche Ansatz, einen per se großen und negativen Fußabdruck über Ausgleichsmaßnahmen zu reduzieren. Olympische Spiele sollten dort stattfinden, wo gravierende Eingriffe in die Natur und die Infrastruktur nicht nötig sind.“ In Deutschland?

Statt Peking 2022 könnte derzeit auch München 2022 laufen, ein Bürgerentscheid hat dies verhindert. Weshalb sich Karl Geiger nun in Zhangjiakou darüber wunderte, wie hämisch und abwertend die Winterspiele in China auch in Deutschland kommentiert werden. „So, wie sie veranstaltet werden, ist das voll korrekt“, meinte der Skispringer, „das nächste Mal, bevor man etwas Kritisches sagt, muss Deutschland vielleicht selber mal eine Bewerbung rausschicken.“

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