Bei seinem Moskau-Besuch wird der chinesische Staatschef auch den Ukraine-Krieg auf die Gesprächsagenda setzen.

Fast pünktlich zur Mittagsstunde wurde für Xi Jinping am Moskauer Regierungsflughafen der rote Teppich ausgerollt. In einer ersten Ansprache ließ der 69-jährige Staatschef zunächst die russisch-chinesischen Beziehungen der letzten Dekade Revue passieren: Xi pries das „vertiefte politische Vertrauen“, „die praktische Zusammenarbeit“ und die Völkerfreundschaft, die sich „in den Herzen der Menschen verwurzelt“ hat. Doch zugleich machte der Parteivorsitzende deutlich, dass es bei seinem ersten Staatsbesuch in diesem Jahr auch um den Ukraine-Krieg gehen würde: Von einem „ausführlichen Meinungsaustausch“ mit Putin über „wichtige internationale Fragen“ sprach Xi – und zeigte sich zuversichtlich, dass sein Besuch „zu fruchtbaren Ergebnissen führen“ werde. Aus europäischer Sicht dürfte das durchaus Erwartungen wecken.

 

Die ganze Welt schaut auf das Treffen

Die ganze Welt schaut derzeit auf das Treffen der zwei „alten Freunde“ Xi und Putin, deren mittlerweile 40. Treffen wohl das am meisten erwartete von allen sein wird. Insbesondere für die Europäische Union ist Chinas Umgang mit Russland die Gretchenfrage, wenn es darum geht, die eigenen Beziehungen zur Volksrepublik neu auszurichten. Und trotz des enttäuschenden „Friedensplans“ der Chinesen von Mitte Februar ist die Hoffnung noch nicht erloschen, dass Xi endlich seinen Einfluss auf Putin für eine Deeskalation des Krieges nützen könnte.

Die chinesische Innensicht ließ daran im Vorfeld wenig Hoffnung aufkommen. Wer dieser Tage die „Volkszeitung“ („Renmin Ribao“) aufschlägt – das offizielle Zentralorgan der Kommunistischen Partei –, wird mit heroischen Fanfarenklängen auf diesen historischen Staatsbesuch eingestimmt. Dass nach wie vor in der Ukraine ein blutiger Krieg geführt wird, kommt im Propagandakosmos der chinesischen Staatsmedien praktisch nicht vor. Nur in absurd verklausulierten Anspielungen wird vage angedeutet, dass der Konflikt auch in Moskau bei Xi und Putin auf der Gesprächsagenda landen könnte: „Angesichts nie dagewesener Herausforderungen in der Welt verpflichten sich Russland und China, eine konstruktive Rolle für den Weltfrieden zu spielen.“

Natürlich hätte Peking theoretisch das Potenzial, die Staatengemeinschaft mit einem diplomatischen Vorstoß zu überraschen. Schließlich hatte die Volksrepublik vor anderthalb Wochen es geschafft, scheinbar aus dem Nichts einen Deal zwischen Saudi-Arabien und dem Iran einzufädeln.

Keine Kritik an Russland

Einiges würde für eine Initiative der Chinesen sprechen, argumentiert etwa Bert Hofman, bis 2019 Weltbankländerdirektor für China: „Es ist schwer vorstellbar, dass Xi jetzt nach Moskau fährt, nur um über die Vertiefung des kulturellen Austauschs zu sprechen“, kommentiert der Ökonom auf Twitter. Der Preis, den politischen Westen durch eine weitere Stärkung der Beziehungen zu Russland zu verärgern, sei zu hoch. Von daher wolle Xi sicherlich einen diplomatischen Sieg mit nach Hause nehmen, um der Welt zu demonstrieren, wie Chinas Friedensvermittlung in der Praxis aussehe.

Doch Fakt ist: Neutral ist die Volksrepublik in diesem Konflikt keineswegs. Bislang hat Peking ausschließlich den USA und der Nato die Schuld angelastet; direkte Kritik an Russland hingegen ließ sich bislang noch nicht einmal zwischen den Zeilen vernehmen. Insbesondere Putin wird in China weiterhin mit rhetorischen Samthandschuhen angefasst. Dass der russische Präsident vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wurde, ließen Chinas Leitmedien galant unter den Tisch fallen.

„Grenzenlos“ ist die Freundschaft Pekings und Moskau jedoch ebenfalls nicht. Denn Chinas Außenpolitik ist ausschließlich von Eigeninteressen geleitet, eine Allianz mit Russland würde man niemals eingehen. Wirtschaftlich ergänzen sich die beiden Volkswirtschaften bestens: Das energiehungrige China möchte zunehmend günstiges Öl und Gas aus Russland importieren und im Gegenzug Elektronik, Autos und Techprodukte exportieren. 2022 ist das Handelsvolumen um über 30 Prozent gewachsen, Tendenz steigend. Dass die Beziehungen zwischen Peking und Moskau allzu kuschelig werden, verhindert das Damoklesschwert westlicher Sanktionen. Xi Jinping weiß ganz genau, dass er trotz seiner Nähe zu Putin gewisse rote Linien nicht überschreiten darf. Insofern ist sein Besuch in Moskau vor allem eins: ein delikater Drahtseilakt.