Sollte das letzte der großen britischen Stahlwerke im nordenglischen Scunthorpe von China gezielt in den Abgrund gesteuert werden? Der Verdacht hält sich hartnäckig – zum Kummer der Regierung, der an guten Beziehungen zu Peking gelegen ist.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Mit Mühe sucht die britische Regierung die politischen Wogen zu glätten, die das Ringen um das letzte britische Stahlwerk Scunthorpe geschlagen hat.

 

Den chinesischen Besitzern des Werks wird vorgeworfen, mit einer womöglich von China gesteuerten Sabotageaktion die Stahlindustrie des Vereinigten Königreichs zugrunde richten zu wollen. Die chinesische Regierung hatte London in diesem Zusammenhang gemahnt, den Streit um Scunthorpe „nicht zu politisieren“, weil sich chinesische Investoren sonst fragen würden, ob sie ihr Geld weiter in Großbritannien anlegen sollten.

Allerdings hatte der britische Wirtschaftsminister Jonathan Reynolds selbst eine Sabotage nicht ausgeschlossen. Er würde Firmen mit Verbindungen zu Peking jedenfalls lieber von „sensitiven“ Bereichen der britischen Industrie ausschließen, sagte Reynolds: „Ich persönlich würde kein chinesisches Unternehmen für unsere Stahlproduktion zulassen.“

Die Hochöfen drohten zu erkalten

Dagegen wollen Premierminister Sir Keir Starmer und Finanzministerin Rachel Reeves den Konflikt mit China herunterspielen. Weder sei man sich eines Sabotageaktes bewusst, noch seien zusätzliche neue Restriktionen geplant, hieß es aus der Regierungszentrale in Downing Street.

Seit Monaten schon versuchen Starmer und Reeves um des britischen Wirtschaftswachstums willens mehr chinesische Investitionen ins Land zu ziehen und das Verhältnis zu China zu verbessern. Mehrere britische Minister und Staatssekretäre hatten China Besuche abgestattet – bevor Scunthorpe zum Problem wurde.

Ende voriger Woche nämlich sah sich Starmers Regierung plötzlich gezwungen, per Notstands-Gesetzgebung die Kontrolle über das Stahlwerk mit den beiden letzten Hochöfen im Land zu übernehmen, um deren unverzügliche Abschaltung zu verhindern. In einer Sondersitzung des aus den Osterferien zurückbeorderten Parlaments nahm die Regierung den chinesischen Eigentümern, der Jingye Group, das Werk praktisch aus der Hand.

Grund dafür war, dass die Jingye-Manager erklärt hatten, sie müssten Scunthorpe bereits in dieser Woche aufgeben und die Hochöfen erkalten lassen. Eine erneute Inbetriebnahme wäre dann nahezu unmöglich geworden. Um das zu verhindern, hatte London in verzweifelten Verhandlungen eine halbe Milliarde Pfund (etwa 584 000 Euro) als Überbrückungshilfe zum Erhalt des Werks angeboten. Dieses Angebot schlug die chinesische Konzernleitung aber kühl aus.

Wie sich herausstellte, hatte das Jingye-Management das Ende Scunthorpes bereits eingeleitet. Man hatte den Ankauf des unmittelbar erforderlichen Nachschubs an Kokskohle und an Eisenpellets schlicht unterlassen und vorhandene Reserven in aller Stille verkauft, womit Material zum weiteren Betrieb des Werks nicht zur Verfügung stand.

„Die gezielte Entscheidung, nicht nur kein Rohmaterial mehr zu bestellen, sondern auch bestehende Vorräte zu verkaufen“, habe die britische Regierung zu ihrer Eilaktion am Wochenende gezwungen, erklärte Minister Reynolds dazu. Man könnte auch von einer Panikreaktion sprechen. Ausgerechnet das Ursprungsland der industriellen Revolution hätte über Nacht den Rest seiner einstmals stolzen Stahlindustrie verloren. Großbritannien wäre damit das einzige Land unter den Industrienationen der G7 ohne eigene Stahlproduktion geworden.

Die Rechtspopulisten profitieren

Viele Briten beschuldigten die chinesische Regierung denn auch schnell übler Machenschaften. Er sei sich „zu hundert Prozent sicher“, dass die Jingye Group das Werk auf Geheiß der chinesischen Regierung nur erworben habe, um den Betrieb dort einzustellen, erklärte etwa Nigel Farage, der Vorsitzende der Reform UK – laut Umfragen inzwischen die populärste britische Partei.

Auf diese Anschuldigungen hin entgegnete ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, London solle sich hüten, betriebswirtschaftliche Entscheidungen einzelner Firmen zu Fragen der Politik und nationalen Sicherheit zu überhöhen.

Unterdessen mühte man sich in London, die dringend benötige Menge Kokskohle und Eisenpellets so schnell wie möglich nach Scunthorpe zu befördern. Erst am Dienstag zeigte man sich zuversichtlich, genug Material für einen Weiterbetrieb zu haben. Nach Ostern wird Starmers Regierung entscheiden müssen, ob das Stahlwerk vollständig verstaatlicht wird. Skeptiker befürchten, dass es, bei jetzt schon 700 000 Pfund (etwa 818 000 Euro) Verlusten am Tag, vom Staat langfristig nicht am Laufen gehalten werden kann.

Gestritten wird auch darüber, wie eine „grüne“ – also klimaneutrale – Stahlproduktion im Vereinigten Königreich aussehen könnte. Auf der politischen Rechten macht man entsprechende „kostspielige“ Umwandlungspläne schon jetzt für die Krise der heimischen Stahlindustrie verantwortlich.

Die meisten Experten verweisen aber darauf, dass die britische Stahlindustrie seit den Siebzigerjahren im Niedergang begriffen ist, woran unter anderem die überproportionale Abhängigkeit Großbritanniens von Gas und Gaspreisen schuld sei. Ein massiver Ausbau klimafreundlicher Energieanlagen wie Windparks und Solaranlagen dagegen würden auch die Stahlproduktion künftig krisenfester machen.