Wie gelingt es Baden-Württemberg im hart umkämpfen Tourismusmarkt zu punkten? Der Tourismusexperte Yu Yan verrät, was die Chinesen ins Ländle lockt und was es mit der „Fantastischen Straße“ auf sich hat.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)
Herr Yu, wenn Chinesen nach Europa reisen möchten, dann haben sie die Wahl zwischen Frankreich, Italien oder der Schweiz. Wie kann man da als Baden-Württemberg überhaupt punkten?
Den Namen des Bundeslandes hat der ein oder andere vielleicht noch nicht gehört. Aber jeder kennt die Produkte von dort. Jeder Chinese weiß, dass Stuttgart die Hauptstadt des Automobils ist, mit Mercedes und Porsche. Jeder kennt Heidelberg, und jedes Kind die Märchen aus dem Schwarzwald. Und die Erwachsenen wollen dann natürlich Schwarzwälder Kirschtorte essen.
Und wenn sie diese probiert haben, was sagen die meisten?
Nur ein Wort: lecker. In China können sie diese Torte in den großen Städten inzwischen auch kaufen, aber das schmeckt einfach nicht so gut. Und es wird bei uns immer ohne Kirschwasser gebacken – mit Alkohol gibt es die Torte nur im Original.
Sie machen Werbung fürs Ländle, wie genau sieht das aus?
Wir beraten Reiseveranstalter und geben denen spezielle Programmtipps, wir bedienen die Fachpresse und sind sehr aktiv im online Marketing. Mit stuttgart.cn hatten wir die erste chinesische Webseite für eine deutsche Region am Start, Überseechinesen erreichen wir auf Facebook, die Menschen in China und Hongkong über das Pendant Weibo. Das alles sehr zielgruppenorientiert.

380 000 chinesische Übernachtungen im Land

Welche Zielgruppe peilen Sie an?
Der Reisemarkt hat sich total geändert. Als ich vor mehr als zehn Jahren begonnen habe, da waren Geschäftsreisende in der Mehrzahl. Von den 380 000 chinesischen Übernachtungen in Baden-Württemberg waren 2015 die allermeisten Touristen. Die Zahlen für 2016 liegen noch nicht vor, aber da wird es ebenso aussehen.
Touristen, die sich in zehn Tagen fünf Länder ansehen?
Auch da gibt es einen fulminanten Wandel. Chinesen haben viel weniger Urlaub als Europäer, das ist mit ein Grund dafür, dass es schnell gehen muss. Aber die Zeiten, als man auf dem Schlossplatz schnell ein Foto gemacht hat und dann in die nächste Stadt gehetzt ist, die sind vorbei.
Wie sind die Zeiten heute?
Immer mehr Chinesen wollen ein Land so erleben wie die Einheimischen. Sie suchen spezielle Hotels, zum Beispiel auf Weingütern. Und es ist auch nicht mehr so wie früher, dass sie zwei mal am Tag chinesisch essen müssen. Inzwischen gibt es mehr Offenheit, Neues zu probieren. Alles wird individueller. Manche wollen Sterne-Restaurants besuchen, andere suchen deutsches Bier und Maultaschen in zünftiger Umgebung.
Aber das Shoppen bleibt wichtig?
Auf jeden Fall. Sie können von China aus spezielle Einkaufstouren buchen, zum Beispiel Paris, Mailand, Metzingen. Immer mehr Gäste gehen auch zu Breuninger. Das Unternehmen hat sich viel Mühe gegeben. Es hat eine chinesische Webseite, chinesisch sprechende Verkäufer und akzeptiert die wichtigste chinesische Kreditkarte. Zusammen mit der Mehrwertsteuerrückerstattung für Touristen ist das sehr attraktiv.

Die App ersetzt die Sprachkenntnis

Und welche Orte im Land sind jenseits des Kaufhauses attraktiv?
Wir haben das Konzept der „ Fantastischen Straße“ entwickelt, das kommt sehr gut an. Die führt von Heidelberg an den Bodensee. Auf dem Weg liegen die Burg Hohenzollern und Tübingen. Orte wie Gengenbach und Breisach sind auch dabei und zu Geheimtipps geworden.
Gengenbach dürfte nicht einmal jedem Deutschen ein Begriff sein
Chinesen wollen immer etwas neues erleben, da ist viel Kreativität gefragt. Alles, was die Freunde bei einer Reise einmal gesehen haben, das will der Tourist auch sehen – und noch etwas neues dazu. Das badische Staatsweingut ist auch ein sehr beliebter Ort für einen Ausflug – und wenn eine Gruppe dann von dort wieder weg geht, dann ist der Eiswein meistens ausverkauft. Das ist ein sehr willkommenes Geschenk für zu Hause – und in Deutschland ist er sehr viel billiger als in China. Gäbe es Zoll und Gepäckbeschränkungen nicht, dann würde noch viel mehr gekauft.
Gibt es jenseits des Gruppentourismus auch Individualreisende – oder ist die sprachliche Hürde zu hoch?
In der Tat werden die Individualtouristen immer mehr. Die haben sich im Internet schon daheim akribisch vorbereitet und wissen, was sie wollen. Wegen der Sprache haben die meisten keine Scheu – es gibt ja jede Menge Übersetzungsapps auf dem Handy.

Zur Person

Experte: Yu Yan ist in China ein eifriger Werber für deutschsprachige Urlaubsregionen. Er vertritt die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg, die Stuttgart Marketing GmbH sowie Heidelberg, Ulm und Kärnten.

 

Leben: Der 42jährige hat in China und Deutschland studiert und lebt abwechselnd in den beiden Ländern. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.