Der chinesische Autobauer Chery will den europäischen Markt erobern. Von den gescheiterten Anläufen anderer Anbieter aus dem Reich der Mitte lässt sich der exportstärkste Chinese nicht abschrecken.

Stuttgart - Vor zwei Jahren präsentierte sich der chinesische Autobauer Chery erstmals auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. „Wow, wir sind sehr aufgeregt, hier zu sein“, sagte Unternehmenschef Anning Chen. Chery wolle zu einem der weltweit führenden Anbieter aufsteigen, verkündete er, als er in Halle 8 zwischen zwei verhüllten Wagen des für europäische und amerikanische Kundenwünsche entwickelten Geländewagens Exeed TX stand.

 

Chery habe einen guten Ruf in puncto Sicherheit, Qualität, digitaler Vernetzung und Emissionen, versicherte Anning Chen. Der Geländewagen Exeed TX wurde gemeinsam mit renommierten Zulieferern wie Bosch, Conti und Benteler entwickelt. Der in Frankfurt präsentierte Wagen ist das erste Modell einer neuen Plattform, auf deren Basis eine ganze Familie von Autos entstehen soll.

Das Staatsunternehmen trotzt der Flaute auf dem chinesischen Markt

Chery ist zwar keiner der ganz großen, aber der exportstärkste chinesische Autobauer. Das Staatsunternehmen wurde erst 1997 in Wuhu – einer Stadt mit 3,6 Millionen Einwohnern – von der Regierung der zentralchinesischen Provinz Anhui gegründet. Heute steuert Chery nach eigenen Angaben 30 Prozent zum Autoexport des Reichs der Mitte bei. Im vergangenen Jahr legte der Absatz um elf Prozent auf fast 753 000 Fahrzeuge zu – ein Rekordwert.

Damit trotzte das Staatsunternehmen der ersten Absatzflaute auf dem chinesischen Markt seit zwei Jahrzehnten. Der Export stieg um 18 Prozent auf knapp 127 000 Fahrzeuge. Gefragt sind vor allem Geländewagen. Besonders positiv entwickelten sich nach Angaben des Unternehmens die Verkäufe in Südamerika und in der Golfregion. Auch in Russland und asiatischen Ländern außerhalb Chinas werden bereits Autos verkauft. Mit einer Quote von zwölf Prozent liegt Chery bei elektrifizierten Automobilen deutlich über dem Durchschnitt der Branche. Im vergangenen Jahr legten die Verkäufe von New Energy Vehicles (NEV), also Elektro- und Hybridautos, um 146 Prozent auf gut 90 000 Autos zu.

Bei Rüsselsheim entsteht ein Entwicklungszentrum

Jochen Tüting spielt eine Schlüsselrolle bei der geplanten Eroberung Europas. Der 44-jährige ehemalige BMW- und Ford-Manager hat in den vergangenen vier Jahren ein Entwicklungszentrum in Shanghai für Chery aufgebaut. Seit August ist er wieder zurück, um den Start in Europa vorzubereiten. Vor Kurzem hat die Europa-Tochter der Chinesen in Raunheim bei Rüsselsheim zunächst mit einer noch sehr kleinen Mannschaft die Arbeit aufgenommen.

Hier entsteht ein Entwicklungszentrum mit einem digitalen Designstudio. Designchef ist Kevin Rice, der frühere Leiter des europäischen Mazda-Designzentrums in Oberursel. Man habe sehr intensiv nach dem besten Standort gesucht, sagt Tüting. Auch der Stuttgarter Raum sei im Rennen gewesen. Dies habe sich jedoch sehr schnell zerschlagen, weil diese Region „sehr stark von den lokalen Platzhirschen dominiert wird,“ also Daimler und Porsche. Der Standort im Rhein-Main-Region sei ideal, nicht nur wegen der guten Flugverbindungen, sondern auch „wegen der Nähe zu vielen wichtigen Zulieferern und Entwicklungsdienstleistern“. Zudem könne man hier auch gute Fachkräfte gewinnen. Chery profitiert hier von der Misere bei Opel.

Chery will 2021 in Europa starten

Die ersten Autos des chinesischen Neulings sollen von 2021 an auf den europäischen Markt kommen. Vieles ist jedoch noch offen, wie etwa die Länder, in denen Chery starten wird. „Wir setzen auf elektrifizierte Antriebe“, sagt Tüting. Deshalb seien Länder wie die Niederlande oder Norwegen interessant, wo es dafür eine hohe Förderung gebe. Deutschland sei als größter europäischer Markt natürlich auch attraktiv, ebenso wie die Schweiz mit ihren wohlhabenden Bürgern.

Auch wie genau der Vertrieb und das Servicegeschäft laufen, muss erst noch erarbeitet werden. Nach der IAA habe man Anfragen von sehr großen Händlergruppen erhalten, sagt Tüting. Teil der Überlegungen sei auch die Zusammenarbeit mit einer Werkstattkette nach dem Muster von Borgward. Der bis vor Kurzem voll zum chinesischen Foton-Konzern gehörende Autobauer Borgward arbeitet beim Service mit der Werkstattkette ATU zusammen.

Der Versuch der Wiederbelebung der einstigen deutschen Kultmarke Borgward, die in Wirklichkeit mehr chinesische als deutsche Gene in sich trägt, läuft indes alles andere als rund. Viele ehrgeizige Ankündigungen wurden bisher nicht eingelöst, vor Kurzem hat ein chinesisches Start-up die Mehrheit übernommen.

Landwind scheiterte am Crashtest

Vor Borgward sind schon etliche chinesische Autobauer beim Versuch gescheitert, in Deutschland Fuß zu fassen. So scheiterte der Geländewagenbauer Landwind in den neunziger Jahren nach katastrophalen Ergebnisse in einem Crashtest. Der BMW-Partner Brilliance musste wieder den Rückzug antreten, weil seine Limousinen einfach nicht bei den Kunden ankamen. Treibt Tüting bisweilen nicht ebenso die Sorge um, dass Chery das gleiche Schicksal ereilen könnte? Der Europa-Chef zeigt sich selbstsicher. „Das waren Produkte einer anderen Generation von chinesischen Automobilen“, erwidert Tüting und fügt hinzu: „China hat beim Know-how zu den globalen Autokonzernen aufgeschlossen. Das wird natürlich unterstützt durch die Zusammenarbeit mit internationalen Zulieferern.“

Doch womit will Chery in Europa punkten? Niemand wartet hier auf eine weitere Marke. Tüting spricht von einem „sehr jungen Design“, gepaart mit einer Technologie bei digitalen Angeboten, die es sonst eher in der Oberklasse gebe, sowie einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Marke Exeed solle die Technologiemarke von Chery werden. Mit welchen digitalen Angeboten die neue Marke reizen will, lässt der Manager indes offen.

Wie weit Chery hier schon ist, will Tüting am Beispiel eines Gemeinschaftsprojekts mit dem chinesischen Online-Händler Baidu verdeutlichen, das auf einer Autoschau im Heimatland vorgeführt wurde. Dabei konnten Autofahrer aus dem Wagen heraus im Internet einkaufen. Bezahlt wurde per Gesichtserkennung. Doch welche digitale Hightech soll in Deutschland angeboten werden? „Konkret kann ich noch nichts nennen. Dafür ist es noch zu früh“, bittet Tüting um etwas Geduld.