Bei den Smartphones macht die Billigmarke Honor den Platzhirschen Apple und Samsung Druck. Der chinesische Hersteller hat vor allem die jüngere Zielgruppe im Blick – doch wie gut ist er wirklich?

London - Als Honor-Chef George Zhao das neue Honor 10 kürzlich in London vorstellte, hat er immer wieder Vergleiche zum iPhone X gezogen. Zwei Prozent Marktanteil hatte Honor zuletzt in Deutschland. Angesichts dessen könnte man es fast schon als eine Form von Größenwahn betrachten, ausgerechnet Apple ins Visier zu nehmen. Dabei kann Zhao aber mindestens ein gewichtiges Argument in Feld führen. Mit rund 400 Euro kostet das China-Handy Honor 10 gerade mal ein Drittel des aktuellen iPhones.

 
Welche Zielgruppe visiert Honor an?
80 Prozent der Honor-Nutzer gehörten zur Zielgruppe der 18- bis 34-Jährigen. Statt auf teure Werbekampagnen setzt das Marketing auf den Austausch mit den Jungen in den sozialen Netzwerken. Optisch schlägt sich das in Farben wie „Phantom Blau“ und „Phantom Grün“ nieder, die aus mehreren Glasschichten aufgebaute Rückseite wirft das Umgebungslicht effektvoll zurück.
Was ist am Honor 10 besonders?
Mit der Dual-Kamera der Honor 10 lassen sich zwei Sekunden kurze Videoschnipsel aufnehmen, die Motive lebendiger wirken lassen sollen. Solche „Live Fotos“ hat Apple bereits mit dem iPhone 6 eingeführt. Für die „Generation Selfie“ konzentriert man sich bei Honor auf die Autoporträt-Funktionen. Die Frontkamera arbeitet mit einer 126 Punkte erfassenden Gesichtserkennung, mit Beleuchtungsmodi kann man Lichtsituationen simulieren und Fotos wirken lassen, als seien sie in einem Studio aufgenommen. Wie beim iPhone X lässt sich die Frontkamera zum Entriegeln des Gerätes benutzen. Das klappt im Test erstaunlich gut. Die Sicherheitsstandards von Apples 3-D-Gesichtserkennung dürfte man damit aber kaum erreichen. Alternativ kann man den in das Display integrierten Fingerabdrucksensor verwenden, der in dieser Preisklasse einzigartig ist.
Wie zukunftsweisend ist die Technik des Herausforderers?
Hinter den Kameras steckt eine künstliche Intelligenz, die in einem Bild bis zu 22 Objekte erkennen und unterschiedliche Szenen, aber auch Motive wie zwischen einem Tiger im Zoo und der Hauskatze unterscheiden kann und die Einstellungen entsprechend anpasst. Das Gerät merkt es sogar, wenn man sich bei Selbstporträts regelmäßig mehr Farbe ins Gesicht zaubert, und übernimmt diese Anpassung automatisch. Eine „semantische Bildaufteilung“ zerlegt Motive in Bildbereiche wie Personen, Gruppen, Bäume, Himmel und passt sie separat an.
Wie unterscheidet sich das Design von der Konkurrenz?
Glas vorne, Glas hinten, verbunden durch einem Rahmen aus Metall – dieser Grundaufbau, der so zum ersten Mal beim iPhone X zu sehen war, wurde von den chinesischen Mitbewerbern exakt so übernommen. Abweichungen gibt es nur im Detail. Beim Honor 10 muss man beim Rahmen Abstriche machen, denn es ist nicht wie die teureren Modelle gegen Staub und Wasser geschützt.
Wie gut ist das Display?
Die Auflösung des 5,84-Zoll-Displays bleibt mit 2240 x 1080 Pixeln leicht hinter der des iPhone (2436 x 1125 Pixel) zurück. Dafür wartet es mit satten Farben, hohen Kontrasten und einer guten Blickwinkelstabilität auf. Auch beim Honor 10 ist das Display nahezu randlos.
Wie schlägt sich das Gerät gegenüber den Top-Modellen?
Die Pro-Version des Huawei P20 hat mit seiner Triple-Kamera auf der Rückseite derzeit in Sachen Fotografie die Nase vorn – knapp vor Samsungs Galaxy S9 Plus und dem iPhone X. Das deutlich günstigere Honor 10 punktet mit pfiffigen Foto-Features, die Spaß machen. Das Apple-Flaggschiff kann nach wie vor auf Alleinstellungsmerkmale wie innovative Wischgesten zur Steuerung oder die Gesichtserkennung per Face ID verweisen. Und schließlich ist das iPhone das Original und besitzt ein nach wie vor unschlagbares Markenimage. Gerade für junge Leute sind die geringeren Anschaffungspreise der chinesischen Konkurrenz oft ein Kauf-Argument. Der Chip mag nicht ganz an die aktuellen Top-Prozessoren von Samsung und Qualcomm heranreichen, auch die Ausdauer des Akkus ist nur Mittelmaß, und auf kabelloses Laden muss man verzichten. Dass weniger manchmal mehr ist, sieht man hingegen am bewährten Klinkenstecker des Honor 10. Der aktuelle USB-C bietet einen besseren Klang – wenn man denn das passende Zubehör dafür hat. Mit dem traditionellen Anschluss lassen sich dagegen auch Kopfhörer verbinden, die man noch in der Schublade liegen hat.
Lohnt sich der Kauf?
Für 400 bis 450 Euro kann man derzeit kaum ein besseres Smartphone kaufen. Trotz des einen oder anderen Abstrichs spielt das Honor 10 in der ersten Liga der Smartphones mit. Das originelle Design und die cleveren Fotofunktionen stechen positiv hervor, die Hardware lässt auch im Vergleich zu Premium-Modellen kaum etwas zu wünschen übrig. Sollte Honor dauerhaft auf diesem Kurs bleiben, wird der Hersteller den Großen der Branche wie Apple und Samsung noch sehr viel Kopfzerbrechen bereiten.