Die Unerhörten Tonartisten erobern von Berg aus mit ihrem A-cappella-Gesang die Stuttgarter Musikszene

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Was soll man nur als Chor singen, wenn nicht einmal die Hälfte der Mitglieder bei der Probe anwesend ist? – Bei der üblichen Besetzung von 50 bis 70 Leuten ist das kein so großes Problem. Doch die Unerhörten Tonartisten sind gerade mal zu zwölft. Und die Abwesenheit der anderen ist nicht irgendeiner Lustlosigkeit geschuldet, sondern den besonderen Umständen: Dem Probenraum in Stuttgart-Berg in den Räumen des Männergesangsvereins. Dem Probenbeginn wochentags um 18.30 Uhr. Und die Zwölf kommen aus dem weiteren Stadtgebiet angereist. Das alles in der Vorweihnachtszeit, in der schnell der Verkehr im gesamten Stadtgebiet kollabiert – da kann es leicht mal später werden als verabredet. Doch Flexibilität ist eine Stärke solch eines eher kleinen Chors, denn da ist das individuelle stimmliche Können mehr im Mittelpunkt. „Die meisten kommen aus einem der größeren Stuttgarter Chöre“, so Lucas Thielmann, einer der 12, „manche sind noch dabei, einige haben das aufgegeben. Die haben sich für die Tonartisten entschieden.“

 

Schlanker und filigraner mehrstimmiger Gesang

Und zu zwölft sind sie sogar üppig besetzt, denn angefangen hat dies vor zweieinhalb Jahren als Oktett. „Aber das war immer schwierig, wenn jemand gehen musste. Bis da wieder jemand Neues gefunden war . . .“ erinnert sich Thielmann. Doch jetzt scheint die Besetzungsgröße zu stimmen: Es gibt einen personellen Puffer und der schlanke und filigrane mehrstimmige Gesang, auf den diese jungen Leute großen Wert legen, bleibt erhalten. „Wir lieben sehr a cappella, den reinen, unbegleiteten Gesang“, so Claudia Göhler. Und was sie da können, zeigen sie mit bekannten Songs wie „Hey, Soul Sister“, „For the longest time“, „Man in the mirror“, „Sixteen tons“ oder „Kiss from a rose“.

Das Gesangsrepertoire wird gemeinsam ausgehandelt

An diesem Abend hat sich auch die Leiterin Sophie Stierle etwas verspätet. Das ist aber kein Problem, alles Erforderliche ist vorbereitet, Stierle kann gleich loslegen. Also den Dirigierstab in die Hand nehmen. Den sie freilich gar nicht hat, denn solche Gesten der Hierarchie und Macht sind nicht schicklich bei den Unerhörten Tonartisten. Denn schlank und flexibel lieben sie es auch im Organisatorischen: „Wir haben hier keinen Vorstand, keine Notenwart oder ähnliches“, so Göhler, „das machen wir alles selbst: Die Finanzen, das Vorbereiten der Auftritte, die Pflege der Website und vieles andere“. Gemeinsam wird ebenso das Gesangsrepertoire ausgehandelt. Spezialwünsche können sich so aber eher nicht durchsetzen. „Jeder hat ein Vetorecht, wenn ihm etwas überhaupt nicht gefällt“, ergänzt Göhler, „aber oft entsteht die Freude am Singen eines Titels ja erst beim Proben.“ Wandlungen, die Stierle konkret beobachten kann: „Anfangs sehe ich Skepsis in einigen Gesichtern. Das weicht zugunsten der Zufriedenheit.“ Bei so viel Mitbestimmung muss es nicht wundern, dass die Unerhörten Tonartisten den Begriff „Chor“ nicht für sich beanspruchen. „Ensemble“ ist ihnen lieber. „Das beschreibt besser unseren Gesang“, so Göhler.

Rumtüfteln an verschiedenen Versionen

Und Stierle ist froh, dass sie hier so viel Selbstorganisation antrifft. „Das gibt viel Freiheit bei der Arbeit, wenn ich mich ganz auf das Sängerische konzentrieren kann.“ Doch was bedeutet konkret diese Freiheit? Stierle: „Für unsere Stücke gibt es nur selten Arrangements für mehrstimmigen Gesang auf dem Markt. Wir haben da jemand, der eine gute Hand dafür hat.“ Und so kommen eben stets Verbesserungsvorschläge aus den eigenen Reihen: „Und mal an der x-ten Version einer ganz bestimmten Passage herumzutüfteln, das ist schon einen besonderen Reiz“, so Stierle.

Da wird also schon etwas vorausgesetzt bei den „Unerhörten Tonartisten“. Stierle: „Man muss hier seine Stimme schon souverän im Griff haben. Einfach mal dran hängen an eine der Stimmen zum Ausprobieren geht hier nicht“. Solistische Aufgaben gehören dazu. „Wir haben aber keine ausgewiesenen Solisten“, so Göhler, „unser Gesang lebt mehr von der Abwechslung“.

Jetzt müssen die Unerhörten Tonartisten noch raus, um von der Öffentlichkeit entdeckt zu werden, denn bisher sind sie vor allem bei privaten Feiern aufgetreten. Eine Möglichkeit ist die Heilbronner Bundesgartenschau oder die Stuttgart Nacht. „Da hatten wir an einem Abend mehrere Auftritte, zu denen immer mehrere 100 Leute kamen. Das war toll“, so Thielmann.