Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Die Cranko-Ära bringt die Wende – für das Ballett, für Georgette Tsinguirides. Der Südafrikaner schickt sie 1965 nach London, um dort die „Benesh Movement Notation“ zu studieren, ein Schriftsystem, das auf fünf Linien basiert, stellvertretend für die Körperregionen Fuß, Knie, Hüfte, Schulter und Kopf. Jede kleinste Bewegung, die Position im Raum sowie die Konstellation der Tänzer kann mit winzigen Symbolen dargestellt werden.

 

Als erste Choreologin Deutschlands kehrt sie 1966 nach Stuttgart zurück. Seitdem hat die „heilige Georgette“, wie sie in einer Anekdote ihrer Freundin und Weggefährtin Marcia Haydée genannt wird, dreißig klassische und moderne Ballette, darunter fast alle Cranko-Werke, aber auch Stücke von Gastchoreografen wie Kenneth MacMillan, John Neumeier und Maurice Béjart notiert. Bis heute leistet sie „choreologische Nachtarbeit“ daheim in ihrem Reihenhaus, weil stets Neueinstudierungen anstehen und schließlich immer etwas nachzuarbeiten ist. Gleichzeitig trägt sie das Erbe in die Welt hinaus. Mit mehr als dreißig Kompanien weltweit hat die Deutsch-Griechin Crankos Ballette einstudiert; selbst jetzt im hohen Alter ist sie unterwegs.

Millionen von Zeichen im feuerfesten Tresorschrank

Im Buch blickt man durch ihre Brille auf die „Geburtsstunde des Stuttgarter Balletts“ – den „unglaublichen Durchbruch“ mit „Romeo und Julia“ im Dezember 1962; er kommt mit Hilfe ihrer detaillierten Erinnerungen der Persönlichkeit wie der Arbeitsweise des Meisters näher, der auch schon mal seinen Aschenbecher durch den Ballettsaal schleudert. So vermittelt sich die ungeheuer kreative und produktive Atmosphäre der Jahre bis zu Crankos Tod 1973, aber auch die komplizierte, zeitraubende Leistung des Notationsgeschäfts. „Wie Georgette das alles aufschreiben konnte, ist mir wirklich ein Rätsel“, wird der Erste Solist Friedemann Vogel zitiert.

Die Autorin lässt Sternstunden und Pannen Revue passieren sowie Freunde, Weggefährten, Bewunderer zu Wort kommen, zu denen auch Egon Madsen zählt. Sie blickt in den feuerfesten Tresorschrank, in dem die kostbaren orangefarbenen Notationsordner mit Millionen von Zeichen lagern, und begleitet die Grande Dame zu den Proben. Ihr Privatleben hält Georgette Tsinguirides weitgehend unter Verschluss. Zweimal war sie verheiratet, aufgrund von Fehlgeburten blieb sie kinderlos.

Mutter ist sie dennoch: Die Kompanie ist ihre Familie, das Ballett ihr Lebensinhalt, das, woraus sie Kraft schöpft, auch mit 87. Die Tänzer verehren, lieben sie heiß und innig, auch wenn klar ist, dass Videos dabei sind, der Notation den Rang abzulaufen, wiewohl die Choreologin diese für ein unvollkommenes Mittel hält. Die Tanzpartitur sei „das einzig Wahre“, sagte sie im StZ-Interview, gleichwohl sei entscheidend, was zwischen den Zeilen liege. „Die Notation ist das eine – die Botschaft, das Warum und Wieso, das andere.“ Genau das versuche sie den Tänzern zu vermitteln, um ihnen eine eigene Interpretation zu ermöglichen. So, wie es John Cranko wollte.

Georgette Tsinguirides wird am 27. Februar 1928 in Stuttgart geboren, ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Grieche. Georgette wächst mit ihrer älteren Schwester Elea in der Calwer Straße auf, bei der Großmutter, Maria Vogel. Denn Christos Tsinguirides, der in Stuttgart eine kleine Zigarettenfabrik betreibt, lebt bald in Thessaloniki, um seinen Traum von einer Radiostation zu verwirklichen; die Mutter, Maria Luise Vogel, stirbt 1932 im Alter von 35 Jahren.

Die ersten – vor der Oma verheimlichten – Schritte im Ballettunterricht als Siebenjährige, drei Jahre später die Bühnenpremiere, die Kriegsjahre, der Neubeginn im wie durch ein Wunder unversehrten Opernhaus, die Anstellung im Alter von siebzehn Jahren: Wiedmann verwebt in ihre faktengespickte, dabei flüssig erzählte und bilderreiche Biografie die jüngere Geschichte des Balletts, das vor dem Krieg noch als „moralisch bedenklich“ gilt und auch danach lange keine anerkannte Theatersparte ist.

Die erste Choreologin Deutschlands

Die Cranko-Ära bringt die Wende – für das Ballett, für Georgette Tsinguirides. Der Südafrikaner schickt sie 1965 nach London, um dort die „Benesh Movement Notation“ zu studieren, ein Schriftsystem, das auf fünf Linien basiert, stellvertretend für die Körperregionen Fuß, Knie, Hüfte, Schulter und Kopf. Jede kleinste Bewegung, die Position im Raum sowie die Konstellation der Tänzer kann mit winzigen Symbolen dargestellt werden.

Als erste Choreologin Deutschlands kehrt sie 1966 nach Stuttgart zurück. Seitdem hat die „heilige Georgette“, wie sie in einer Anekdote ihrer Freundin und Weggefährtin Marcia Haydée genannt wird, dreißig klassische und moderne Ballette, darunter fast alle Cranko-Werke, aber auch Stücke von Gastchoreografen wie Kenneth MacMillan, John Neumeier und Maurice Béjart notiert. Bis heute leistet sie „choreologische Nachtarbeit“ daheim in ihrem Reihenhaus, weil stets Neueinstudierungen anstehen und schließlich immer etwas nachzuarbeiten ist. Gleichzeitig trägt sie das Erbe in die Welt hinaus. Mit mehr als dreißig Kompanien weltweit hat die Deutsch-Griechin Crankos Ballette einstudiert; selbst jetzt im hohen Alter ist sie unterwegs.

Millionen von Zeichen im feuerfesten Tresorschrank

Im Buch blickt man durch ihre Brille auf die „Geburtsstunde des Stuttgarter Balletts“ – den „unglaublichen Durchbruch“ mit „Romeo und Julia“ im Dezember 1962; er kommt mit Hilfe ihrer detaillierten Erinnerungen der Persönlichkeit wie der Arbeitsweise des Meisters näher, der auch schon mal seinen Aschenbecher durch den Ballettsaal schleudert. So vermittelt sich die ungeheuer kreative und produktive Atmosphäre der Jahre bis zu Crankos Tod 1973, aber auch die komplizierte, zeitraubende Leistung des Notationsgeschäfts. „Wie Georgette das alles aufschreiben konnte, ist mir wirklich ein Rätsel“, wird der Erste Solist Friedemann Vogel zitiert.

Die Autorin lässt Sternstunden und Pannen Revue passieren sowie Freunde, Weggefährten, Bewunderer zu Wort kommen, zu denen auch Egon Madsen zählt. Sie blickt in den feuerfesten Tresorschrank, in dem die kostbaren orangefarbenen Notationsordner mit Millionen von Zeichen lagern, und begleitet die Grande Dame zu den Proben. Ihr Privatleben hält Georgette Tsinguirides weitgehend unter Verschluss. Zweimal war sie verheiratet, aufgrund von Fehlgeburten blieb sie kinderlos.

Mutter ist sie dennoch: Die Kompanie ist ihre Familie, das Ballett ihr Lebensinhalt, das, woraus sie Kraft schöpft, auch mit 87. Die Tänzer verehren, lieben sie heiß und innig, auch wenn klar ist, dass Videos dabei sind, der Notation den Rang abzulaufen, wiewohl die Choreologin diese für ein unvollkommenes Mittel hält. Die Tanzpartitur sei „das einzig Wahre“, sagte sie im StZ-Interview, gleichwohl sei entscheidend, was zwischen den Zeilen liege. „Die Notation ist das eine – die Botschaft, das Warum und Wieso, das andere.“ Genau das versuche sie den Tänzern zu vermitteln, um ihnen eine eigene Interpretation zu ermöglichen. So, wie es John Cranko wollte.

Georgette Tsinguirides. Sie ist „ein Stuttgarter Ballettwunder“. Noch eins.

Siebzig Jahre Energie, Disziplin, Hingabe an das Ballett. „Ist das nicht verrückt?“, zitiert Wiedmann die Jubilarin.