Christian Rauch, Regionalchef der Bundesagentur für Arbeit (BA), spricht über Menschen, die bisher zu wenig im Fokus der Arbeitgeber stehen, und darüber, wie sie gefördert werden.

Stuttgart – - Gerade in technischen Berufen und in der Pflege macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Daher gelangen verstärkt Gruppen in den Fokus der Personaler, um die man sich zuvor wenig bemüht hat. Der BA-Regionalleiter Christian Rauch sieht dabei erste Erfolge, aber auch Verbesserungsbedarf.
Herr Rauch, in Baden-Württemberg liegt die Beschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbehinderung mit 4,4 Prozent noch unter der gesetzlich vorgeschriebenen Quote von fünf Prozent. Wohin geht der Trend?
Wir bewegen uns seit etwa fünf Jahren auf diesem Niveau. Um zu verdeutlichen, mit welcher Herausforderung wir es zu tun haben: Schwerbehinderte sind in Baden-Württemberg im Schnitt 534 Tage lang arbeitslos. Im Durchschnitt dauert es rund 130 Tage, bis ein Arbeitsloser wieder einen Job findet. Man muss aber auch sehen, dass Langzeitarbeitslose bei 1060 Tagen liegen.
Was tut die BA, um die Eingliederung von Menschen mit Behinderung zu unterstützen?
Es gibt manchmal in den Köpfen der Unternehmer das Vorurteil, wenn sie behinderte Menschen erst einmal eingestellt haben, werden sie sie schwerer wieder los. Dagegen versuchen wir aktiv anzuarbeiten, indem wir die Potenziale der behinderten Menschen stärker in den Fokus rücken. Ein Potenzial ist, dass sie im Vergleich zu den übrigen Arbeitslosen überdurchschnittlich qualifiziert sind; 57 Prozent haben einen Berufsabschluss. Außerdem gibt es für die Unternehmen, die behinderte Arbeitnehmer beschäftigten und damit auch ein gewisses Risiko in Kauf nehmen, deutlich höhere Zuschüsse.
Welche Leistungen gibt es?
Arbeitgeber, die sich der Herausforderung stellen, erhalten Unterstützung in Form von Arbeitsplatzausstattung, zum Beispiel den barrierefreien Umbau eines Büros. Darüber hinaus gibt es Lohnkostenzuschüsse für die Dauer von maximal zwei Jahren. Die können zu Beginn bis zu 100 Prozent des Arbeitsentgelts betragen und gehen dann über die Laufzeit etwas zurück. Über die Integrationsämter gibt es einen sogenannten Minderleistungsausgleich, der sich an unsere Lohnkostenzuschüsse anschließt.
Im kommenden Jahr soll das Bundesteilhabegesetz in Kraft treten. Was versprechen Sie sich davon?
An der Beschäftigungsquote von schwerbehinderten Menschen in Unternehmen wird sich dadurch aus meiner Sicht nichts ändern. Das Gesetz wirkt stärker im Bereich der medizinischen und psychologischen Rehabilitation und im Bereich der Eingliederungshilfen, wobei es aber zum größten Teil um die Beschäftigung in Werkstätten für behinderte Menschen geht.
Behindertenverbänden gehen die Reformen nicht weit genug, sie empfinden sie als unsozial und fürchten teilweise sogar Verschlechterungen. Ist die Kritik berechtigt?
Das Gesetz stärkt auf jeden Fall die Prinzipien Selbstverantwortung und Teilhabe von behinderten Menschen. Damit ist es für mich schon der richtige Schritt. Es gehen aus Sicht der Behindertenverbände nicht alle Wünsche in Erfüllung, etwa Zuschüsse ohne Bedürftigkeitsprüfung. Darüber kann man gesellschaftlich streiten. Das Gesetz löst nicht die Frage des gegliederten Systems der beruflichen Rehabilitation: Wir haben sehr viele Rehabilitationsträger, die sich über die medizinische berufliche Rehabilitation teilweise miteinander abstimmen müssen. Der eine oder andere Behinderte verläuft sich in diesem bürokratischen Dschungel.
Kommen wir zu drei anderen Gruppen, die am deutschen Arbeitsmarkt unterrepräsentiert sind: ältere Arbeitnehmer, Frauen und Geringqualifizierte. Gerade in technischen Bereichen und in der Pflege ist der Fachkräftemangel spürbar. Sehen sie dennoch Fortschritte?
Ja. Die Entwicklung der Frauen-Erwerbstätigkeit verzeichnet in den vergangenen sechs Jahren einen deutlichen Anstieg. Wir haben in den Jahren seit 2010 im Land ein jährliches Wachstum der Beschäftigung von rund 80 000 Stellen. Ungefähr die Hälfte dieser zusätzlichen Arbeitsplätze wird durch Frauen besetzt, die aus der sogenannten stillen Reserve kommen, also zuvor nicht gearbeitet haben.
Tun die Unternehmen genug, um es gerade Alleinerziehenden zu erleichtern, Kind und Job unter einen Hut zu bekommen?
In den Bereichen Teilzeit-Beschäftigung, Teilzeit-Ausbildung und Kinderbetreuung hat sich einiges getan. Es sind momentan an die 800 alleinerziehende Mütter in einer Teilzeit-Ausbildung, vor vier Jahren war es noch ein Viertel davon. Gleichwohl beobachten wir, dass ein Unternehmen, vor die Entscheidung gestellt, ob es eine Person ohne Kind oder eine Alleinerziehende einstellt, die Sorge hat, dass bei Letzterer höhere Fehlzeiten zu erwarten sind. Das ist eher ein psychologisches Hemmnis.
Wie versuchen Sie Geringqualifizierten in Arbeit zu verhelfen?
Wenn sie arbeitslos sind, können sie über eine berufliche Weiterbildung einen Berufsabschluss oder Teilqualifikationen erwerben. Menschen, die in Beschäftigung sind, können sich nebenberuflich weiterqualifizieren über das Programm WeGebAU (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen). In den vergangenen fünf Jahren haben wir fast 130 000 Personen in Baden-Württemberg die Chance gegeben, diesen Weg zu gehen.
Wenn man in die Betriebe schaut, hat man nicht immer den Eindruck, dass ältere Arbeitnehmer besonders umsorgt werden.
Unsere Zahlen sagen etwas anderes: Die Erwerbstätigen-Quote der Menschen ab 55 Jahren ist zuletzt deutlich angestiegen. In den Betrieben ist es angekommen, dass es sich lohnt, Ältere länger in Beschäftigung zu halten und in das Thema altersgerechtes Arbeiten zu investieren, um die Kenntnisse und Kompetenzen im Unternehmen zu halten. Was dagegen noch zu wünschen übrig lässt, ist die Einstellungsbereitschaft der Betriebe in Bezug auf ältere Arbeitnehmer. Wenn ein Mensch mit 50 oder 55 Jahren freigestellt wird, steht er immer noch vor einer weit überdurchschnittlichen Wiedereinstiegshürde.