Christian Spuck ist bereits der fünfte Intendant des 2004 gegründeten Staatsballetts Berlin. Unser Foto zeigt ihn bei Proben zu „Bovary“, seiner ersten Berliner Premiere. Foto: Staatsballett Berlin/Serghei Gherciu
Flotte Führungswechsel und interne Kontroversen hatten dem Staatsballett Berlin unruhige Jahre beschert. Seit einem Jahr leitet Christian Spuck die Hauptstadtkompanie – und blickt im Gespräch zurück.
Christian Spuck ist auf der Zielgeraden, beim Interview ist sein erstes Jahr als Intendant des Berliner Staatsballetts fast geschafft. Bevor es in die Ferien geht, steht zum Abschluss der Saison neben seiner „Messa da Requiem“ eine Gala zum 20-jährigen Bestehen der Kompanie an. Am Telefon zieht er Bilanz.
Herr Spuck, als Sie nach Berlin gingen, warnte man Sie: Das Staatsballett sei ein riesiger Drache. Wie fühlen Sie sich nach dem ersten Jahr als dessen Bändiger?
Ein Drache ist das Staatsballett sicherlich nicht. Mir geht es gut und das erste Jahr ging unfassbar schnell vorbei. Was ein gutes Zeichen ist: Alle sind involviert und mit einer großen Leidenschaft dabei. Ein Glück ist, dass das Ensemble extrem schnell zusammengewachsen ist und dass Berlin großen Anteil genommen hat. Auch die Politik bis zum Senator persönlich hat viel Interesse an dem, was wir machen und kommt regelmäßig in die Vorstellungen. Da spüre ich eine große Unterstützung.
Spiegelt sich das in den Besucherzahlen?
Die Auslastung liegt bei knapp 98 Prozent, damit hat in der ersten Spielzeit niemand gerechnet. Auch Ballettabende an einem Montag in der Deutschen Oper, die über 1800 Plätze hat, haben wir gefüllt. Das ist ein schöner Rückenwind und alle spüren, dass ihre harte Arbeit ankommt. Nach jeder Vorstellung werden die Künstlerinnen und Künstler regelrecht gefeiert.
Da herrscht sicherlich gute Stimmung in der Kompanie…
Ja, das zeigt sich auch daran, dass es kaum Fluktuation gibt. Von 80 Tänzerinnen und Tänzern verlassen uns jetzt nur sechs, zum Teil auch, weil sie ihre Karriere beenden. Bei den Feedback-Gesprächen, die ich momentan führe, bekomme ich viele positive Signale. Das freut mich sehr, denn am Anfang waren die, die neu in die Kompanie kamen, nervös, weil sie um das Können des Staatsballetts vor allem im Klassischen wussten. Und die Berliner hatten Sorge, dass der neue Chef die bevorzugt, die er mitbringt. Ich habe versucht das aufzufangen, indem von der Eröffnungspremiere an alle miteinander arbeiten mussten. Das ließ sehr schnell ein Zusammengehörigkeitsgefühl wachsen.
Streik, Rassismusvorwürfe und mehr: Das Staatsballett Berlin lieferte in der Vergangenheit reichlich hausgemachte Konflikte. Wacht ein neuer Intendant da nicht täglich mit der Sorge auf: Was könnte heute sein?
Tatsächlich war das so. Ich bin oft morgens angekommen, habe Überraschungen erlebt und gespürt, dass es für viele schwierig ist, mir zu vertrauen. Es hat mich sehr viel Kraft gekostet, immer wieder zu signalisieren: Lasst uns doch miteinander sprechen und das Denken überwinden, dass auf der einen Seite der Chef und auf der anderen Seite die Angestellten stehen.
Wie konnten Sie das auflösen?
Zum Glück haben alle schnell verstanden, dass meine Tür offensteht und ich allen zuhöre. Das ist zudem wichtig, um Zusammenhänge zu verstehen. Ich habe am Anfang auch Fehler gemacht, weil ich Strukturen nicht verstanden habe. Zu signalisieren, dass auch ich etwas falsch machen kann, hat viel dazu beigetragen, dass hier sehr viel mehr Austausch stattfindet. Wir sind noch längst nicht da, wo ich uns haben möchte, aber wir sind nach einer Spielzeit weiter, als vermutet.
Kritik gab’s an manchen Klassikern im Staatsballett-Repertoire wie die Kolonialismus-Vorwürfe an „La Bayadère“ oder „Nussknacker“. Halten Sie die für untanzbar?
Wir nehmen diese Problematik sehr ernst. Eine meiner ersten Amtshandlungen war, einen Code of conduct erstellen zu lassen, der klar benennt, dass wir jegliche Form von Ausgrenzung nicht akzeptieren. Wir wollen divers und offen sein, alle sollen sich wertgeschätzt fühlen. Das ist nicht leicht, da die Strukturen teilweise hinderlich sind. In der Deutschen Oper gibt es etwa eine Herren- und eine Damenseite; die nonbinären Mitglieder im Ensemble sind da automatisch ausgegrenzt. Da sind viele Schritte notwendig; im gleichen Zuge prüfen wir auch das Repertoire und achten sehr genau darauf, welche Signale wir nach außen schicken.
Szene aus Christian Spucks Eröffnungspremiere „Bovary“ mit Weronika Frodyma in der Titelrolle Foto: SBB/Serghei Ghericu
Eigene Klassiker-Produktionen wie Ihre „Nussknacker“-Version wollen Sie nicht ins Spiel bringen?
Ich möchte nicht alle Produktionen aus Zürich nach Berlin holen, sondern lieber Neues schaffen, jemand anderes einladen oder eben sehen, wie sich die Produktionen aus dem Repertoire umarbeiten lassen, damit sie besser in unsere Zeit passen.
Bekommen Sie auch etwas vom Großstadtleben mit oder verbringen Sie den Tag in Sitzungs- und Ballettsälen?
Es gibt sehr oft 12- bis 14-Stunden-Tage hier. Und ich verbringe viel Zeit in Büros und Sitzungen, weil es wichtig ist, Workflows und Strukturen zu optimieren. Dazu muss ich auch drei Opernhäuser kennenlernen. Neulich kam ein Beleuchtungsmeister auf mich zu und sagte: Wir merken, dass unsere Arbeit wahrgenommen wird. Diese Wertschätzung ist mir als Grundvoraussetzung unserer Zusammenarbeit wichtig. Aber das braucht auch viel Energie.
Bleibt noch Zeit für anderes?
Ich habe das Privileg, von drei Opernhäusern und den großen Schauspielhäusern in Premieren eingeladen zu werden – und auch von den großartigen Museen zu Vernissagen. Ich habe also oft Gelegenheit, an den tollen kulturellen Highlights dieser Stadt teilnehmen zu können und empfinde es als absolute Bereicherung, hier zu leben. Berlin ist unfassbar aufregend und bunt, deshalb wollte ich hier herkommen. Die Stadt macht was mit einem, verändert einen.
Warum sollte sich ein Stuttgarter Tanzfan unbedingt mal das Staatsballett Berlin anschauen?
Das muss ich denen nicht sagen, die sind schon da – ganz oft werde ich von ihnen angesprochen. In unserem Repertoire können Sie choreografische Stimmen entdecken, die in Stuttgart nicht so bekannt sind wie Crystal Pite oder Sol León, die in dieser Spielzeit für uns das erste Stück ohne ihren Partner Paul Lightfoot erarbeitet hat. Mächtig stolz bin ich auch auf unser Publikum: Das ist sehr divers und auffallend jung.
Ihr Vertrag läuft fünf Jahre. Wofür soll das Staatsballett Berlin stehen, wenn Sie in die Verlängerung gehen?
Wenn mir die von der Kulturverwaltung angeboten wird, wünsche ich mir, dass diese Kompanie in allen Bereichen gut aufgestellt ist. Es geht darum, den Workflow zu optimieren und die Digitalisierung, zum Beispiel die Medienausstattung in den Studios, auf den neusten Stanz zu bringen. Auch sollte das Staatsballett Berlin wegen seiner künstlerischen Leistung in den Medien sein und nicht wegen Konflikten. Außerdem wünsche ich mir, dass die Kompanie wieder Gastspiele leisten kann. Wir haben sehr viele Einladungen, kriegen die aber nicht in unserer Struktur unter.
Info
Person Christian Spuck, 1969 in Marburg geboren, war nach der Ausbildung an der Cranko-Schule 1995 der letzte Tänzer, den Marcia Haydée engagierte. 1996 gab er bei einem Noverre-Abend sein Debüt als Choreograf und wurde 2001 Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts. Von 2012 bis 2023 war er Ballettdirektor in Zürich, seit der Spielzeit 2023/24 leitet er das Staatsballetts Berlin und eröffnete seine Intendanz mit dem neuen Handlungsballett „Bovary“.
Kompanie Das Staatsballett Berlin entstand 2004 aus den Ensembles der Staatsoper Unter den Linden, der Deutschen Oper und der Komischen Oper. Sein erster Intendant war Vladimir Malakhov. Ihm folgten 2014 Nacho Duato und 2018 Johannes Öhman mit Sasha Waltz als Doppelspitze. Nach deren Rücktritt leitete die stellvertretende Intendantin Christiane Theobald die Kompanie.
Pläne Für die nächste Spielzeit plant Christian Spuck mit neuen Stücken von Edward Clug, Crystal Pite, Sharon Eyal und Sol León.