Christine Prayon hat auf einigen S-21-Demonstrationen Tanja Gönner satirisch vorgeführt. Inzwischen ist sie auch als Birte Schneider aus der „Heute-Show“ bekannt. StZ-Autor Rupert Koppold hat sie getroffen.

Stuttgart - Christine Prayon hat als Treffpunkt so „ein Omi-Café“ in der Nähe vom Hölderlin-Platz vorgeschlagen, zur Gesprächseröffnung in dem noch sehr ruhigen Raum zitiert man deshalb gleich einen Satz, den sie diesem Autor in einer ihrer Kabarettnummern zuschiebt: „Wenn da eine Träne kullert, so ist’s doch nur ein Aug‘, das pullert.“ In welchem Teil von Hölderlins Gesamtwerk das wohl steht? Sie geht sofort darauf ein, behauptet mit gespielter Philologenmiene, das sei ein Zitat aus dem „Hyperion“, jedoch so gut versteckt, dass es nur der Kenner finde. Genauso unangestrengt findet sie aber auch wieder heraus aus dem Ironiemodus, sie will in Interviews nicht komisch sein müssen, vermeidet deshalb Talkrunden, wo dies erwartet wird und „der Kabarettist bloß die Salatbeilage“ sei. „Anfragen etwa für Markus Lanz beantworte ich mit einem entschiedenen ,Nein‘“.

 

Sie sitzt jetzt natürlich auch nicht da als Birte Schneider, jene stechäugig-dominante und keinen Widerspruch duldende TV-Reporterin aus der satirischen „Heute-Show“. Aber hat diese von einem Autorenteam auf Christine Prayon zugeschriebene Kunstfigur, mit der sie bundesweit bekannt wurde, vielleicht eingegriffen in ihr eigenes Leben? Was passiert jetzt, wenn sie durch Stuttgart läuft? „Fast gar nichts, zum Glück! Die Leute erkennen mich erst dann, wenn ich den Mund aufmache.“ Tatsächlich ist auch jetzt dieses dezidierte Hochdeutsch zu hören, es klingt zwar ein wenig weicher als bei Birte, aber immer noch so, als schneide sich jemand während des Sprechens exakte Formulierungen zurecht. Nein, einen Heimatdialekt habe sie eigentlich nicht, sagt die in Bonn geborene Prayon. Beide Eltern kommen aus Belgien, und weil der Vater bei der Bundeswehr war, sei die Familie oft umgezogen.

Das Interesse an Politik stellte sich spät ein

Seit 2004 lebt sie nun in Stuttgart, und dort hat sie bei vielen Demonstrationen gegen das Bahnprojekt S 21 eine schwäbische Politikerin vorgeführt. „Ja, die Tanja Gönner lag mir, die hat mir unheimlich viel geboten.“ Prayon hat genau in die Sprache der ehemaligen Ministerin hineingehört, heraus kamen bei ihr dann „Gönner“-Sätze wie: „Es ischt vielen nicht klar, dass auch ich mal ein Mensch gewesen bin!“ Nur als Kabarettistin bedauert sie es ein wenig, dass die CDU-Frau sich zurückziehen musste, befürchtet jedoch deren Rückkehr. „Da wird es für mich leider noch mal eine Möglichkeit geben.“ Prayon selber hat sich erst spät politisch engagiert. Als Schülerin in der Kohl-Ära fand sie Demonstrationen zwar cool, hatte aber das „behagliche Gefühl“, es wäre irgendwie schon alles in Ordnung. „Im Grunde fing das erst als Kabarettistin an“, sagt sie. „Ich kam mir manipuliert vor, und ich wollte nicht mehr unwissend sein.“

Durch das verhasste Projekt S 21 habe ihr theoretisches Wissen dann „eine Konkretheit“ bekommen. Sie hat beim Untersuchungsausschuss zugehört, kennt die strittigen Punkte im Detail, kennt auch die Beteiligten, will ihre Kritik aber nicht nur an Personen festmachen. Auch das Tagespolitische interessiere sie weniger als „systemische Fragen und gesellschaftliche Vorgänge“, ihr Blick richte sich auf das, was „darunter liege“. Sie legt Wert darauf, zum Kabarett und nicht zur Comedy gerechnet zu werden: „Comedy bedient Vorurteile und Klischees, Kabarett bekämpft Vorurteile und Klischees.“ Das klingt recht streng. Wer Prayon aber in selbst geschriebenen Soloprogrammen erlebt, etwa in „Nussloch“, in der sie das Mario-Barth-Gestammel in weihevollem Ton als Gedicht vorträgt, der spürt bei ihr eine Lust an hochliterarischer Albernheit.

Allergisch gegen Dieter Nuhr

Inzwischen hat sich das Café gefüllt, von den Nebentischen schwirren Satzfetzen herüber. Prayon konzentriert sich weiter auf dieses Gespräch, in dem sie nun auf ihren Kollegen Dieter Nuhr angesprochen wird, der bei seinem Gastgeberdebüt im „Satire-Gipfel“ das deutsche „Kunstjammern“ verhöhnt hat. „Was der macht, ist für mich ein rotes beziehungsweise ein schwarzes Tuch!“, flammt es zornig aus ihr heraus. Kabarett müsse gegen die Herrschenden gemacht werden, Nuhr aber sei „eine Systemstütze“, nie werde sie deshalb in seiner Sendung auftreten. Für die „Heute-Show“ dagegen müsse sie sich nicht schämen, und von der Zusammenarbeit mit Oliver Welke schwärmt sie geradezu.

Aber gleich darauf konstatiert Prayon wieder nüchtern, dass die Fernseharbeit „eine schöne Nebensache“ sei und dass es damit jederzeit vorbei sein könne. Als ihre Basis versteht die ausgebildete Schauspielerin nach wie vor die Bühne und die selber entworfenen Figuren, zu denen sie eine Restdistanz hält: „Ich lasse mich von ihnen nicht beherrschen, ich führe sie ganz bewusst.“ Als Vorbilder nennt sie Georg Schramm oder Gerhard Polt, aber auch den selbstzerstörerischen (und früh gestorbenen) Amerikaner Andy Kaufman. Wie weit würde sie selber gehen? Prayon zieht eine Grenze zwischen Privatperson und Bühnenfigur und will auch nicht schocken: „Verstören ja, das ist was anderes!“ Wenn es die zu erzählende Geschichte aber verlange, sei sie radikal.

Jetzt kommt erstmal das Baby

Die kommenden Monate wird es keine öffentlichen Auftritte geben. Prayon ist schwanger, im Oktober bekommt sie ihr erstes Kind, auf das sie sich sehr freut, auch wenn sie weiß, dass es ihr Leben umkrempeln wird. Ein „Muttertier“ allerdings will sie nicht werden, wobei die Frage sei, wie viel Kraft und Energie ihr noch übrig bleibe. Weitere Fragen nach ihrem Privatleben weist sie zwar nicht schroff zurück, geht aber freundlich auf Distanz, sagt nur, dass sie ihr Kind nicht allein erziehen werde. Sie wird wohl in Stuttgart bleiben, auch wenn mit dem Fällen der Bäume im Schlossgarten „das Herz der Stadt“ herausgerissen wurde. Früher sei sie täglich in den Park gegangen, jetzt sehe der aus wie eine Mondlandschaft. „Das nehme ich dem Kretschmann persönlich übel!“ Der hat vor dieser angriffslustigen Kabarettistin jetzt eine Zeit lang Ruhe. Doch Vorsicht: „Acht Wochen nach der Geburt darf ich wieder – und werd‘ ich wieder!“

Wetten mit Volker Lösch

Die 1974 geborene Christine Prayon hat nach einem abgebrochenen Studium der Germanistik und Romanistik ein Schauspielstudium aufgenommen und 2000 abgeschlossen.Weil sie vier Jahre später vor der Arbeitslosigkeit stand, entwickelte sie mit einem Kollegen ein Stück, bot es Kleinkunstbühnen an und rutschte in den Beruf der Kabarettistin hinein.
Prayon ist immer noch eine Kämpferin gegen S 21, gibt sich aber pessimistisch. Mit Volker Lösch habe sie gewettet, dass es erst gestoppt werde, „wenn alle Gelder geflossen sind, die fließen sollten, und sich alle bereichert haben, die sich bereichern wollten“.