Ohne die so genannte christliche Popularmusik ist heutzutage kein Kirchentag mehr denkbar. Am Donnerstag haben die ersten von 45 Bands ihre Kirchenbühne in Stuttgart eröffnet.

Stuttgart - Für ein Popkonzert ist das eine eher seltene Begrüßungsformel: „Habt Ihr gut geschlafen?“, fragt Chris Halmen in die recht gut gefüllten Kirchenbänke hinein. Aber der Sänger der Nürnberger Band Ebenbild will seinen Auftritt auch nicht als Popkonzert verstanden wissen, eher als „Popandacht“.

 

Obwohl auf den Kirchenbänken schon ausgelassen mitgesungen und mitgeklatscht wird, ist es erst 11 Uhr am Donnerstagvormittag, als Ebenbild in der Bad Cannstatter Andreäkirche den „Treffpunkt christliche Popularmusik“ eröffnet. Bis Samstag spielen dort 45 Bands je eine Stunde lang Rock, Pop, Jazz und Artverwandtes mit dezidiert christlicher Botschaft. Bei Ebenbild klingt das zu Folkrock der härteren Gangart so: „Der Herr ist mein Fels, meine Festung, meine Mitte.“

Nein, sagt Chris Halmen, der Sänger, als er mit der Hilfe seiner kleinen Kinder nach seinem Auftritt die Technik abgebaut hat, er habe „keine missionarische Mission“. Aber wenn er die Welt betrachte, erklärt der gelernte Optiker, der sich auch zum Diakon und Erzieher hat ausbilden lassen aber momentan von Gitarrenunterricht lebt, dann geschehe das nun mal „im Kontext meines Glaubens“. Er singt auch: „Geh hinaus und sag allen Menschen, was er Dich lehrt.“ Halmen betet öffentlich, bevor er in die Saiten drischt: „Danke, dass wir hören, was Du zu sagen hast.“ Tatsächlich komme es manchmal vor, dass Leute im Publikum Worte hören würden, die er gar nicht singe, erklärt der 40-jährige Familienvater. Das sei Gottes Werk.

Bewusst in kirchlichen Bands

Aber mit Mission will auch der Kirchenmusiker Andreas Schley, der den „Treffpunkt christliche Popularmusik“ organisiert, nichts zu tun haben: „Mission ist, anderen Leuten mit der Bibel auf den Kopf zu hauen“, sagt der 52-Jährige aus Bremen, „wir machen Zuhörern ein Angebot und überlassen es ihnen, ob sie sich auf die Inhalte einlassen.“

Genau dieser Inhalte wegen spielt die „Christliche Popularmusik“ in Deutschland – anders als in den USA – in den Charts und im Radio keine Rolle. Viele Bands sind reine Amateure oder agieren im semiprofessionellen Bereich. „Populäre Kirchenmusik braucht mehr als guten Willen“, steht auf einem Poster beim Eingang zur Kirche. Und wer von christlicher Popmusik leben will, muss auf sehr vielen Hochzeiten und Beerdigungen spielen, denn für die Auftritte beim Kirchentag gibt es nicht einmal Benzingeld. „Die Leute, die in kirchlichen Bands spielen, spielen schon bewusst in kirchlichen Bands“, weiß Andreas Schley, der Organisator.

Leute wie Vanessa Schuster zum Beispiel. Die 17-jährige Abiturientin tritt mit ihrer in Rottenburg am Neckar beheimateten Band Dornbusch in der Andreäkirche auf. Sie singt zu mächtigen Sägewerk-Gitarren Zeilen wie „Rufe seine Wunder ins Gedächtnis!“ oder „Sein Versprechen gilt für alle Zeit!“ Nach einer Stunde perlt die Gitarre südseehaft, und Vanessa Schuster aktiviert euphorische Abschieds-Energie: „Gottes guter Segen sei mit Euch“, singt sie, „um Euch zu schützen, um Euch zu stützen“. Wenn man sie fragt, wie es ihr dabei geht, sagt sie: „Mir gibt es viel zurück, wenn ich sehe, dass andere Menschen durch meine Musik von Gott erfahren.“ Zu Hause, erklärt sie, höre sie weltliche Popmusik.

Nicht so traurig wie traditionelle Kirchenmusik

Aber weltlicher Pop ist nicht die Vergleichsgröße für die jungen Fans in der Andräekirche. Jenny zum Beispiel, eine Teenagerin, die mit drei Freundinnen aus Rostock zum Kirchentag nach Stuttgart gereist ist, mag christliche Popsongs aus ganz anderen Gründen: „Die sind nicht so langweilig wie die anderen Kirchenlieder“. Und ihre Freundin Lilly ergänzt: „Trotzdem haben sie viel mit Religion zu tun.“ Die „anderen Kirchenlieder", die traditionellen also, womöglich mit Orgelbegleitung, würden immer „so traurig“ klingen, findet Jenny. Das sei bei den kirchlichen Popsongs anders. Und schon werfen die vier Freundinnen ihre Hände waagerecht nach vorne, wie das junge Leute auf Hip-Hop-Konzerten eben so machen. Denn gerade spielt die Band Frame-Less ein paar Takte Hip-Hop.

Frame-Less hat – wie die meisten Bands, die in diesen Tagen in der Andreäkirche spielen – gleich mehrere Auftritte beim Kirchentag. Bereits am Eröffnungsabend bekannte die Band lautstark auf dem Karlsplatz: „ Bist mein Schöpfer und Erlöser – für alle Zeit.“ Jetzt in der Kirche hören mehr Leute zu, und die Band klingt besser, austarierter: Dreckige Gitarren mischen sich mit gefälligem Pianopop – eine Band, die klingt wie viele andere, wenn da nicht die Texte wären: „Mein Leuchtfeuer jede Nacht“, schmachtet der Sänger Frido, „mein Kompass in der großen Stadt . . .“ Natürlich meint er kein Mädchen – sondern niemand geringeren als Gott.

Die unbeteiligte Öffentlichkeit nimmt Bands wie Frame-Less, Dornbusch oder Ebenbild allenfalls an einer Ecke des Kirchentags wahr, ehe nach dessen Ende wieder die Helene-Fischer-Dauerberieselung einsetzen wird. Für viele evangelische Gemeinden jedoch seien die Bands bei der Gottesdienstgestaltung sehr wichtig, erklärt Andreas Schley, der Organisator. Die Musiker, mit denen er zu tun hat, streben überwiegend weder nach Ruhm noch nach Geld, sie haben andere Motive. Chris Halmen von der Band Ebenbild singt: „Er liebt Dich, wie es nur ein Vater kann.“