Christlicher Fundamentalismus Wie das Pfingstjugendtreffen die Meinungen spaltet

Welchen Einfluss haben evangelikale Redner auf dem Aidlinger Pfingstjugendtreffen auf Jugendliche? Foto: Eibner-Pressefoto

Einige Tage nach dem Ende des Aidlinger Pfingstjugendtreffens bleibt die Auswahl einiger Referenten umstritten. Ehemalige Teilnehmer üben scharfe Kritik.

Böblingen: Martin Dudenhöffer (dud)

Das Pfingstjugendtreffen (PJT) 2025 in Aidlingen ist Geschichte. Rund 5000 junge Menschen besuchten das christliche Jugendfestival am vergangenen Wochenende. Seit fast 70 Jahren findet das Treffen, das regelmäßig über den Kreis Böblingen hinaus Menschen anzieht, auf dem Gelände des Diakonissen-Mutterhauses statt. Drei Tage lang wurde gebetet, gesungen, diskutiert und zugehört. Einzelne erzkonservative Redebeiträge und Glaubens-Workshops mit fragwürdigem Inhalt ziehen jetzt die Kritik auf sich.

 

Der Eindruck vieler junger Teilnehmer fällt dennoch positiv aus. Philipp, 16 Jahre alt und aus dem Kreis Böblingen schätzt vor allem das Wir-Gefühl, das durch die spirituellen Angebote gefördert werde. „Man fühlt sich wie eine Gemeinschaft, wenn man mit anderen über Gott und sein Leben nachdenkt. Man merkt, viele haben ähnliche Gedanken.“ Ähnlich geht es der 18-jährigen Marie. Sie reiste mit Freunden aus dem Schwarzwald nach Aidlingen – zum wiederholten Mal. „Ich bin gerne hier. Das Programm ist bunt, man erhält Inspiration und erlebt das alles zusammen.“ Doch nicht alle sind nach dem Treffen so beschwingt.

Keine einhellige Meinung

Die Influencerin Jana Highholder, die am Pfingstsonntag als Hauptrednerin sprach, war vielen der Jugendlichen zuvor schon ein Begriff. Die 27-Jährige gilt durch ihr Frauenbild und ihre Meinung zu Themen wie Schwangerschaftsabbruch und Sexualität als Vertreterin einer erzkonservativen Strömung. Rund 80 000 Menschen folgen der Ärztin auf Instagram. Auch Celina und Sarah, beide 17 Jahre alt, kannten Highholder. Nicht alle ihre Ansichten teilen sie.

„Manches findet man gut, anderes eher nicht“, sagt Sarah. Dass das PJT Fundamentalisten eine Bühne gebe, sieht eine Frau aus dem Rems-Murr-Kreis, die nicht genannt werden möchte, nicht. „Ich finde, die Grenze von einem Glauben mit Fundament zum Fundamentalismus wird gewahrt.“

Schwester Caroline Hornberger (l.) Foto: Schlecht

Während zahlreiche Teilnehmer von inspirierenden Wochenenden in Gemeinschaft berichten können, blicken andere kritisch auf das Treffen. Vor allem einige Seminare in der Vergangenheit, die Sexualität zum Thema hatten, irritieren Ehemalige des PJT bis heute. Eine langjährige PJT-Teilnehmerin aus dem Kreis Böblingen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, erinnert sich an Treffen, auf denen ein rigides Sexualverständnis vermittelt wurde. „Ich weiß von Vorträgen, in denen Keuschheit und ein Verbot von Selbstbefriedigung und Pornografie gepredigt wurde, weil das der Gottesidee widerspreche – ganz im Sinne der Purity Culture.“ Purity Culture ist eine Bewegung, die rigide sexuelle Enthaltsamkeit propagiert.

Auch eine andere ehemalige PJT-Teilnehmerin, die von Kindesbeinen an Erfahrungen mit freikirchlichen Gemeinden im Kreis Böblingen gesammelt hat, zwischenzeitlich aber ausgestiegen ist, kritisiert die Referenten-Auswahl. „Ich denke an einen Vortrag aus 2016, bei dem die gesellschaftliche Liberalisierung als ‚Dreck sexueller Perversion’ bezeichnet wurde.“

Darin kritisiert der ehemalige Boxer Tobias Kley das Thema Abtreibung scharf: „Partnerschaft braucht man heute nicht mehr. Du kannst einfach so zum Spaß Sex haben. Und wenn dann doch was schiefläuft, kann man ja trotzdem abtreiben.“ Seine Wortwahl ist brachial und aufwühlend: „In Deutschland ist abtreiben leichter, als im Garten einen Baum umzusägen.“ Das Ungeborene werde „auf brutalste Weise im Mutterleib zerstückelt und in die Mülltonne geschmissen.“

Influencerin Highholder Foto: Eibner

Zu der Rede sagt Schwester Caroline Hornberger, Pressesprecherin des Aidlinger Diakonissen-Mutterhauses, heute: „Inzwischen haben wir den Vortrag von unserer Homepage genommen. Wir betrachten ungeborenes Leben als schützenswert, gleichzeitig braucht es eine sensible Sprache und Menschen, die Betroffene in Barmherzigkeit begleiten, damit nicht Entscheidungen getroffen werden, die hinterher bereut werden.” Der Vortrag „Sex vor Sechs“ ist auf dem Youtube-Profil Kleys weiterhin online.

Auch weil mit der evangelikalen Influencerin Rose de Jesus 2024 eine Frau eingeladen worden war, die Dämonenaustreibungen vornehmen soll, fällt das Urteil der zuvor genannten Freikirchen-Aussteigerin deutlich aus. „Das sind radikale, intolerante und unwissenschaftliche Weltanschauungen, die hinter scheinbar harmlosen Veranstaltungen stecken“, sagt sie.

Bei der diesjährigen Auflage war die Rhetorik war dem Vernehmen nach weniger radikal. Stattdessen wurde mit einem Workshop der christlich geprägten Organisation Free indeed ein anderes Schlaglicht auf das Thema Sexualität gelegt. Caroline Hornberger sagt dazu: „Weil wir Sexualität als ein Geschenk Gottes ansehen, das wir aktiv und frei gestalten können, aus dem sich aber auch viele Nöte und Abhängigkeiten wie beim Konsum von Alkohol, Online-Spielen oder anderem entwickeln können, war es uns in diesem Jahr wichtig, in einer Präventionsveranstaltung auch mal das Nischenthema von sexualisierten Süchten aufzugreifen und dabei mit multiprofessioneller Perspektive auf das Thema zu schauen.

Bei ‚Free indeed’ arbeiten Fachkräften aus verschiedenen Berufssparten, die keine einfachen Antworten geben, sondern Ratsuchende ermutigen, sich ehrlich mit sich selbst, den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Prägungen auseinanderzusetzen und Verantwortung für sich und die eigene Lebensgestaltung zu übernehmen.“ Die Organisation distanziert sich von der Purity Culture. Darstellungen auf der Website, wonach Masturbation Sünde und gesundheitsschädlich sei, wurden inzwischen gelöscht.

Landeskirche zeigt sich irritiert

Dan Peter, Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche Württemberg, unterstreicht den Wert des Pfingstjugendtreffens. „Das PJT ist seit Jahrzehnten ein Highlight. Wir freuen uns, dass freie Träger, wie die Aidlinger Schwesternschaft, solche Treffen durchführen, welche die Möglichkeiten einzelner Kirchengemeinden bei weitem übersteigen.“

Doch bei Personen wie Rose de Jesus oder Influencer Christian Almasoud fällt sein Urteil anders aus. Letzterer wirft Evangelischen Landeskirche Rassismus gegen Weiße vor, prophezeit ihr wegen einer angeblichen Queerfreundlichkeit den Untergang und bezeichnet sie angelehnt an die Johannesoffenbarung als „Hure“. Dan Peter sagt deutlich: „Wir sind irritiert von Aussagen christlicher Influencer, die eingeladen wurden, in denen die Landeskirchen und die Vielfalt ihrer Glaubensformen abgewertet werden. Im Gegensatz dazu verstehen wir Kirche als einen Ort des Miteinanders verschiedener Frömmigkeitstraditionen, die sich wertschätzen sollten.“ Die Landeskirche strebe nun im Rahmen eines runden Tischs ein Gespräch mit den Organisatoren an.

Pfingstjugendtreffen in Aidlingen

Ursprung
1948 fand auf dem Gelände des Diakonissenmutterhauses erstmals ein Pfingstjugendtreffen statt. Schon 1957 kamen 1000 Personen.

Heute
Rund 1000 Menschen arbeiteten meist ehrenamtlich an der Organisation und Durchführung des Pfingstjugendtreffens mit. 2025 gab es neben Gottesdiensten, Konzerten, Workshops und Diskussionsrunden auch wieder ein Spiel- und Sport- sowie kulinarische Angebote. dud

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Pornografie