Eine Feinkostmanufaktur auf der Baar produziert italienische Nudeln. Dahinter steckt ein christlich motiviertes Sozialprojekt, das in der Friedensbewegung verwurzelt ist.

Trossingen - Wer die Tür zu den Betriebsräumen des Trossinger Nudelhauses öffnet, wird von einem zart-würzigen Geruch umfangen. Rings um den kaum 30 Quadratmeter großen Hauptproduktionsraum riecht es nach rohem Pastateig, darunter mischt sich der Duft eines Sugo, der auf einem Herd in der Ecke am geöffneten Fenster in einem großen Topf vor sich hinblubbert. „Die Tomatensoße kocht eigentlich den ganzen Tag!“ sagt Susanne Wanner, die an diesem Vormittag gerade mit drei, vier Kollegen frische Ravioli produziert. Handarbeit steht dabei im Vordergrund, auch wenn der etwas unromantische Anblick des halben Dutzends mannshoher Pastamaschinen, die ringsum an den Wänden stehen, erst einmal einen anderen Eindruck vermittelt. Es sind einfache Geräte, die den Mitarbeitern das Auswalzen der Teige, das Schneiden langer Nudeln oder das Befüllen, Zusammenpressen und Trennen der Ravioli abnehmen. Man muss sie ständig neu einstellen, und die auf kleinen Laufbändern herausfallende Pasta muss vorsichtig auseinandergezupft werden, bevor sie in Gitterschubladen für den Trockenschrank fällt oder als Frischware später mit etwas Reismehl gegen das Verkleben sorgfältig in Kunststoffboxen aufgeschichtet wird.

 

Es ist kein Zufall, dass hier so wenig automatisiert gearbeitet wird: Das Nudelhaus ist nicht nur ein Feinkostbetrieb, sondern auch ein Sozialprojekt. Menschen, die dem Druck in regulären Betrieben nicht gewachsen sind oder dort keine Chance bekommen, sollen hier eine Gelegenheit haben, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen. Dazu gehörte von Anfang an ein hohes Maß an manuellen Tätigkeiten, um durch das schnell sichtbare Arbeitsergebnis das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter zu stärken – und auch, um eine humanere Ökonomie im Kleinen zu ermöglichen. „Die Mitarbeiter schaffen auch viel zusammen, sie können sich nebenher unterhalten, also das ist schon noch so, wie es früher war“, sagt der Geschäftsführer Helmut Schuler, der seit 17 Jahren dabei ist.

An diesem Vormittag geht es nicht so gemütlich zu, denn dienstags kommen ab sechs Uhr die Metzger vorbei, um frische Maultaschenteige abzuholen. Um zwölf müssen auch noch diverse Sorten Ravioli und Lasagne für einen großen Marktbeschicker fertig sein, der damit am Nachmittag schon an seinem Stand in Freiburg stehen will. Um die Teige zu kneten und schließlich fast zentimeterdick zu knubbeligen Rollen zu portionieren, die dann in den Pastageräten eingespannt, gewalzt und geschnitten werden können, steht nur eine Maschine zur Verfügung. Damit der schwäbische und der mediterrane Teig rechtzeitig fertig werden, heißt das: die ersten Mitarbeiter müssen jeden Dienstag nachts um drei anfangen.

Verwurzelt in der Friedensbewegung

Entstanden ist das Nudelhaus als Ableger eines anderen Projekts, dessen Wurzeln in der christlichen Friedensbewegung liegen. Mitte der 1980er Jahre wollte ein Freundeskreis, der sich im Internationalen Versöhnungsbund zusammengefunden hatte, auch praktisch zur Schaffung einer sozialeren Gesellschaft beitragen. So entstand die Idee eines „Lebenshauses“, in dem zwei Familien wohnen und zusätzlich sieben, acht Menschen, die psychische oder soziale Probleme haben, für einige Zeit in die Gemeinschaft aufnehmen.

Treibende Kraft des Projekts war der aus dem nahen Aldingen stammende Unternehmer Willi Haller, der sich als Erfinder von Zeiterfassungsgeräten und Promotor der Gleitzeit einen Namen gemacht hatte. Enttäuscht, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht zu einer deutlichen Humanisierung der Arbeitswelt geführt hatte, wandte sich der Gründer einer Computerfirma wirtschaftsethischen Fragen zu. Haller veröffentlichte kluge Bücher darüber, wie eine Neuorientierung am urchristlichen Gedankengut zu einem gerechteren Wirtschaftssystem führen könnte – und blieb gleichwohl bis zu seinem Tod vor elf Jahren ein urschwäbischer Tüftler und Pragmatiker: Es gab für ihn keinen Plan, mit dessen Verwirklichung nicht – zumindest im Kleinen – sofort begonnen werden konnte.

In Trossingen konnte das Lebenshaus 1987 eröffnet werden, weil dort ein altes Kontorgebäude des in die Krise geratenen Instrumentenherstellers Hohner zur Verfügung stand. Bald stellte sich die Frage, wie die Gäste im geschützten Rahmen eines eigenen Betriebs wieder ins Arbeitsleben integriert werden könnten. Man müsste „irgendetwas herstellen, das verbraucht wird“ – noch so eine typische Idee von Willi Haller.

Nachdem er dann einmal hinter dem Lastwagen einer Nudelfabrik hergefahren war, sprach er die aus Sizilien stammende Elvira König an, die damals mit ihrer Familie im Lebenshaus wohnte. Sie mache doch so gute Pasta, ermutigte er sie in seinem urigen Schwäbisch: das könne sie doch auch professionell machen. Die Idee erwies sich als realistisch, weil die Produktion italienischer Nudeln so weit außerhalb des Vorstellungsvermögens deutscher Handwerkszünfte lag, dass dafür kein Meisterzwang bestand. So kam es, dass Elvira König, nach einem Kurzpraktikum in Pastaherstellung und dem Kauf einiger Maschinen in Italien, im Juni 1992 in dem unscheinbaren Gebäude einer ehemaligen Schreinerei mit einer Bewohnerin des Lebenshauses begann, italienische Teigwaren zu produzieren.

Ein Start mit vielen Bruchnudeln

Der Start war holperig, weil bei der Trockenware viele Bruchnudeln herauskamen. Dafür hatte man aber auf den Märkten der Region ein Monopol auf frische Teigwaren italienischer Art – zu einer Zeit, als viele Deutsche ein Faible für Pasta entwickelten.

Inzwischen sind neun Vollzeitkräfte und 18 Teilzeitmitarbeiter beschäftigt. Auch wenn ein Teil davon in drei eigenen Läden arbeitet und nicht alle gleichzeitig schaffen, ist der Platz nach mehr als zwanzig Jahren knapp geworden. Selbst im Lager steht an jeder freien Wand noch ein Trockenschrank oder eine seltener gebrauchte Pastamaschine.

Elvira König hilft auch heute noch manchmal mit, wenn sie Lust hat. Getragen wird die Produktion aber seit Langem von 16 erfahrenen Mitarbeitern, die einander an den engen Arbeitsplätzen im Produktionsraum, in einem Trocken- und Verpackungszimmer und einer Küche, in der italienische Kekse gebacken werden, routiniert umkurven wie die Angestellten einer Großküche. Hergestellt werden überwiegend frische Nudeln, darunter auch kleine Mengen Spätzle. Der Schwerpunkt liegt bei Pastaspezialitäten wie den 30 Sorten Ravioli, die oft auf Anregungen von Kunden hin entstanden sind – genau wie haltbare Pasta nach individuellen Wünschen, von der Akkordeonnudel über Engel- und Kirchennudeln bis zum Firmenlogo.

„Das Trocknen ist das Schwierigste“

Die Trockenware wird am Nachmittag hergestellt und über Nacht fünfzehn Stunden lang getrocknet. Das ist – verglichen mit der kaum eineinhalbstündigen Schnelltrocknung der großen Hersteller – schon ein Grund, warum handwerklich produzierte Nudeln besser schmecken. „Das Trocknen ist das Schwierigste beim ganzen Nudelmachen!“, sagt der schlanke 49-jährige Konditor Schuler, der nach einem Ernährungstechnik-Studium erst mal Erfahrungen in der Lebensmittelindustrie gesammelt hat. Im Gegensatz zu den Anlagen der Industrie saugen die Trockenschränke im Nudelhaus einfach die Raumluft an: „Wenn es ein kalter, trockener Wintertag ist, trocknet die Nudel so schnell, dass sie eigentlich reißt, sie bricht. Da muss ich ganz arg aufpassen, dass ich keine Bruchnudeln habe“, sagt Helmut Schuler. „Und im Sommer, wenn es schwül-warm ist, trocknet die Nudel natürlich ganz schlecht!“ Dafür haben die Trossinger Nudeln, die auch nicht gepresst, sondern gewalzt werden und deshalb später viel mehr Wasser und Soße aufnehmen können, immer noch den Charakter hausgemachter Pasta.

Helmut Schulers ständige Herausforderung besteht darin, diesen Betrieb, der nicht jeden Mitarbeiter voll fordern kann und will, wirtschaftlich zu betreiben. Denn der gemeinnützige Verein „Lebenshaus – ökumenische Gemeinschaft für soziale Integration“ verzichtet bewusst auf Zuschüsse und die offizielle Anerkennung als Integrationsbetrieb, um unabhängig und flexibel bleiben zu können. Das bedeutet, dass sich das Trossinger Nudelhaus selbst tragen muss wie eine ganz normale Firma – eine kontinuierliche Gratwanderung.

Exotische Neuentwicklungen sind gefragt

Eigentlich bräuchten sie längst ein größeres Gebäude. Nur: wenn man die damit verbundenen Kosten und Verpflichtungen auf sich nehmen würde, entstünde ein höherer wirtschaftlicher Druck, den auch die Mitarbeiter spüren würden. Außerdem stellt sich die Frage, welche Schwerpunkte man setzt: Wer im Jahr nur 50 Tonnen Mehl verarbeitet – so viel wie große Nudelfabriken an einem halben Tag – muss sich genau überlegen, welche Nischen er bedienen kann. Exotische Neuentwicklungen sind gefragt – aber ein Großteil der Kunden in der Umgebung will lieber das klassische Programm. Und auch bei den Mitarbeitern muss Schuler die Produktivität im Auge behalten und kann nur begrenzt Leute mit eingeschränkten Möglichkeiten einstellen. Dennoch hat hier neben vielen ehemaligen Gästen des Lebenshauses auch eine geistig behinderte Frau eine Stelle gefunden.

Ursprünglich war das Nudelhaus als Durchgangsstation beim Wiedereinstieg in den ganz normalen Arbeitsmarkt gedacht, stattdessen sind viele Mitarbeiter seit Jahrzehnten dabeigeblieben. Den vorgesehenen Wechsel in reguläre Stellen haben sie praktisch dennoch vollzogen, weil das familiäre Projekt selbst ein Stück weit zu einem ganz normalen Betrieb werden musste, um auf Dauer bestehen zu können. Schuler ist froh, dass er so erfahrene Mitarbeiter hat, die mit der kniffligen Pastaherstellung klarkommen – und auch aus deren Sicht ist das Nudelhaus eine Erfolgsgeschichte. Zum Beispiel für jene junge Frau, die vor Jahren aus einer unglücklichen Ehe im Lebenshaus Zuflucht gefunden hat: Heute ist sie die Produktionsleiterin.