Er gehört zu den gefragtesten seiner Zunft: Der bekannte Illustrator Christoph Niemann gewährt in der Waiblinger Stihl Galerie Einblick in seine Gehirnwerkstatt.

Stuttgart - Er faltet Steuerformulare zu Kriegsgerät, beschreibt in geometrischen Mustern, wie man Spaghetti kocht oder entlarvt das Nackenkissen als falschen Freund auf dem Transatlantikflug. Seit rund zwanzig Jahren bringt Christoph Niemann das Zeitgeschehen dahin, wo es hingehört: auf den Punkt. Der Zeichner und Illustrator gilt als einer der gefragtesten Vertreter seiner Zunft. Er arbeitet für international renommierte Blätter wie die New York Times oder das Magazin The New Yorker, aber auch die wechselnden Begrüßungsbildchen auf der Startseite von Google, die so genannten Doodles, durfte er schon entwerfen.

 

Eine Weltkarriere also, aber eine, die in Schwaben begonnen hat. 1970 wurde Christoph Niemann in Waiblingen geboren. Nach dem Studium an der Stuttgarter Kunstakademie übersiedelte er in die USA und lebt heute in Berlin. Nun holt ihn die Stihl Galerie in Waiblingen mit einer ebenso klugen wie kurzweiligen Werkschau zurück in den Südwesten. Rund 160 Arbeiten stellen Niemann, den großen dünnen Schlaks mit dem verschmitztem Lächeln im langen Gesicht, als Dauerkreativen vor: Sein Tag scheint jedes Mal mit einem guten Einfall zu beginnen. So jedenfalls suggeriert es das Bild eines Mannes beim Rasieren, dessen stoppeliges Kinn sich als Mohnbrötchen entpuppt.

Betrachtet man die technische Bandbreite der Werke, wird eines schnell klar: Niemann ist mehr als ein klassischer Illustrator mit spitzer Tuschefeder. Sein Portfolio füllen digitale Zeitschriftencover, die den Bildschirm zur hyperrealistisch verregneten Fensterscheibe machen, Apps und die regelmäßige Präsenz in den sozialen Netzwerken.

Trotz der Expansion in die Kanäle des Multimedialen kennt auch Niemann das Angstgespenst des leeren Blattes. Wie er dieses Trauma aller Kreativen bewältigt, verrät sein selbstironisches Bild-Text-Diagramm über den Schöpfungsprozess.

Feines Gespür für die Absurditäten des Alltags

In Niemanns Gehirnwerkstatt, so erfährt man da, geben zwei Chefs den Ton an: der Freigeist und der Feldwebel. Wo der eine den Gedanken lockere Zügel lässt, um in die weite Welt der Anregungen abzuschweifen, ruft der andere mit der Losung „Üben, üben, üben“ zur disziplinarischen Ordnung. Auf Musenküsse jedenfalls will sich Christoph Niemann nicht verlassen, er setzt sich hin und probiert. Oft sind es gerade die Dinge in Reichweite des Schreibtischs, die ihm die Pointen zuspielen: Da wird das blaue Tintenfläschchen zur Fotokamera und ein breiter Pinsel zum Röckchen einer Ballerina.

Niemanns künstlerische Selbstreflexionen offenbaren gleichsam das konzeptuelle Gerüst der Spaßkunst, weswegen die Schau auch wie eine Übung in angewandter Ideensuche wirkt. Ständig bringt der Künstler das Naheliegende in fremde, schräge oder irritierende Zusammenhänge. Sein Bildwitz erkennt in Zollstöcken Flamingos und in zwei Bananen das Hinterteil eines galoppierenden Pferdes.

Vor allem aber besitzt Niemann ein feines Gespür für die Absurditäten des technischen Alltags. Nicht nur, wenn er eine gigantische Apparatur entwirft, aus der am Ende nur Espresso heraustropft. Dass dem Tausendsassa die Sympathien auch in Waiblingen von allen Seiten zufliegen, liegt aber noch an etwas anderem. Ähnlich wie einst Loriot versteht er es zu entlarven, ohne jemand persönlich zu beleidigen. Selbst Donald Trump kann Niemann nicht wirklich böse sein. Der Zeichner hat die Sterne und Streifen der amerikanischen Flagge zu einer poppigen Karikatur des US-Präsidenten zusammengesetzt.