Schwule und Lesben ziehen am Samstag unter dem Motto „Gleichbeschäftigt“ durch Stuttgart. Die Angst vor Mobbing hält heute noch viele davon ab, im Job über ihre sexuelle Orientierung zu sprechen.

Stuttgart - In den Fabrikhallen bei Daimler herrschen raue Sitten. Das ist eine harte Männerwelt.“ So erklärt ein 32-jähriger Stuttgarter, warum seine Kollegen nicht erfahren sollen, dass er schwul ist. Es fehle das Verständnis. „Ich habe schon Gespräche belauscht, da wird einem ganz anders“, erzählt der Industriemechaniker. „Die gehören alle weg!“ Oder: „Wenn das mein Sohn wäre, den würde ich aus dem Haus jagen!“. Solche Sätze seien gefallen. Deswegen bekenne er sich im Job nicht zu seiner sexuellen Orientierung. Das funktioniere gut – und er fühle sich sicher vor fiesen Sprüchen und anderen Attacken.

 

„So ein Versteckspiel stelle ich mir echt schlimm vor“, sagt Ralf Nagel. An seinem Arbeitsplatz wissen alle, dass er homosexuell ist. Mit seinem Freund war er schon sechs Jahre lang zusammen, als er 1995 zum Paketversand Hermes kam, wo er in der Stuttgarter Niederlassung als Leiter der Unternehmerbetreuung arbeitet. Zur Verpartnerung mit seinem Mann gab es 2001 – wie bei jeder Hochzeit eines Betriebszugehörigen – Blumen und einen Tag Sonderurlaub. Auch Nagels Engagement für den Christopher Street Day (CSD) unterstützt sein Arbeitgeber. Der junge Mann ist auf einem CSD-Plakat zur aktuellen Kampagne mit dem Motto „Gleichbeschäftigt“ zu sehen. Lediglich ein Kollege habe eine kritische Meinung dazu geäußert, die ganze Aktion, dass sei doch Negativwerbung. „Das ist der Beweis, dass unsere Kampagne wichtig ist“, stellt Nagel fest.

Sie sind gegen ein Zwangs-Outing

Wenn Schwule und Lesben am Samstag durch die Landeshauptstadt ziehen, dann auch, um gegen Diskriminierung in den Betrieben zu protestieren und gleichzeitig für einen offenen Umgang mit der sexuellen Identität zu werben. Sie seien aber gegen ein Zwangs-Outing, betont der Organisator Christoph Michl. „Das ist ein sensibles Thema, da hängen Existenzen dran“, erklärt der CSD-Vorstand.

Die Rechtslage ist klar. Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Betriebsverfassungsgesetz darf niemand aufgrund seiner sexuellen Identität diskriminiert werden. Die Angst vor Mobbing ist dennoch groß. Das belegt die Studie „Out im Office?!“ der Universität Köln aus dem Jahr 2006 – der aktuellsten Untersuchung zum Thema Outing am Arbeitsplatz. Mehr als 50 Prozent der Homosexuellen gehen demzufolge bei der Arbeit nicht offen mit ihrer sexuellen Identität um. 10,1 Prozent sprechen gar nicht mit Kollegen über ihre sexuelle Orientierung, 41,8 Prozent nur mit wenigen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Schwulen und Lesben, die sich outen, vorwiegend gute Erfahrungen machen: Fast 92 Prozent gaben in der Befragung an, dass die Kollegen überwiegend positiv reagiert hätten. Sind die Ängste derjenigen, die sich nicht outen, berechtigt, oder nicht? Diese Frage müsse erst noch geklärt werden, sagt der Diplompsychologe Dominic Frohn.

Für „Out im Office?!“ hat Frohn 2230 Lesben und Schwule aus unterschiedlichen Branchen befragt. Das Verhalten des Stuttgarter Industriemechanikers ist danach typisch für homosexuelle Beschäftigte in der Produktion. Elektrotechnik, Fahrzeugbau, aber auch Bundeswehr und Kirchen erwiesen sich als Branchen, in denen die Befragten besonders verschlossen mit dem Thema umgehen, während in Werbung und Gastronomie ein offenes Klima herrscht. Auch die Karriereleiter ist ein Faktor: Ab einem monatlichen Gehalt von 5000 Euro gehen nur unter drei Prozent offen mit ihrer sexuellen Identität um, das ergab die Studie.

Es ließ sich kein heterosexueller Unternehmer finden

„Es gibt keine schwulen deutschen Vorstände in Top-Unternehmen“, sagt der Unternehmer Harald Christ ironisch. Er habe immer darauf gewartet, dass sich ein hochkarätiger Manager outen würde, erzählt der Schirmherr des Stuttgarter CSD – vergeblich. Der 40-jährige Berliner ist relativ unverhofft zur Schirmherrschaft gekommen: Es ließ sich partout kein heterosexueller Stuttgarter Unternehmer oder Vorstand finden, der diesen Posten übernehmen wollte. Christ muss um seine Karriere nicht mehr fürchten: Er hat es in der Finanzbranche zum Millionär gebracht und verwaltet heute sein Vermögen.

Geoutet hat er sich vor drei Jahren, als man versuchte, ihn unter Druck zu setzen. „Maximale Transparenz ist auch maximaler Schutz“, sagt Christ. Er habe den Schritt „nie bereut“. Allerdings gebe es „nicht den Königsweg“ – nicht für jeden sei Outing am Arbeitsplatz möglich.

Die Gewerkschaften raten von Fall zu Fall zu entscheiden

Dieser Einschätzung schließen sich die Gewerkschaften an. Man müsse von Fall zu Fall entscheiden, heißt es. So weist der stellvertretende Gewerkschaftsgeschäftsführer von Verdi-Stuttgart, Peter Klumpp, darauf hin, dass für Angestellte in katholischen Einrichtungen Outing am Arbeitsplatz sogar fatal sein könne. Hier gilt nicht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, sondern Kirchenrecht – und Homosexualität ist ein Kündigungsgrund. Bei der Dienstleistungsgewerkschaft gibt es einen Arbeitskreis Lesben und Schwule. Dieser ist Anlaufstelle für Betroffene, aber auch für Betriebsräte, die unsicher sind, wie sie agieren sollen. Die IG Metall hat solch eine Gruppe nicht – bisher wurde sie auch nicht nachgefragt.

„Wir lehnen jedwede Diskriminierung, die ihren Ursprung in der sexuellen Identität des Einzelnen hat, auf das Schärfste ab“, betont der Bezirkssekretär der IG Metall Baden-Württemberg, Christian Steffen. Entsprechende Beschlüsse von IG Metall und DGB seien ein erster Schritt, aber nicht hinreichend. „Eine Beschlusslage ändert die Realität nicht“, so Steffen. Als notwendig erachtet er zweierlei: Betroffene müssten den Mut finden, ihre Erfahrung mit Diskriminierung offen zu legen und zu klagen. Die IG Metall unterstütze dies und wolle durch „eine unmissverständliche Positionierung eine Ermutigungskultur“ schaffen.