Der Stollen der Familie unserer Autorin Judith A. Sägesser hat eine deutsch-deutsche Historie.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart-Degerloch - Bisher hat mir der Stollen einfach nur geschmeckt. Seit diesem Jahr muss ich auch andächtig an meine Vorfahren denken, wenn ich den weiß gepuderten Laib anschneide. Denn der Christstollen meiner Oma hat Geschichte. Eine deutsch-deutsche, um genau zu sein. Meine Uroma, eine Badenerin, hat nämlich nach Thüringen geheiratet. Ihr Mann war Geschäftsmann. Und für seine Partner und Kunden hat meine Uroma alle Jahre wieder Stollen gebacken. Für die Netten einen großen und für die weniger Netten einen kleinen. Aber das wusste ja keiner.

 

Sie hat zehn Pfund Mehl verarbeitet. Nun gehören in unseren Familienstollen allerdings Zutaten, die es damals im Osten nicht gab. Das ist das Deutsch-Deutsche an der Geschichte. Denn meine Oma und mein Opa haben damals Zitronat und Mandeln, manchmal auch Rum, nach Drüben geschickt. Die Postdurchschläge hat meine Oma noch alle im Schrank. „Geschenksendung, keine Handelsware“ musste sie drauf schreiben und säuberlich auflisten, was in dem Ostzonen-Paket steckt. Vier Kilo durfte man damals pro Monat von der BRD in die DDR senden. Die Stollenzutaten wurden vom Herbst an auf mehrere Sendungen verteilt, schließlich haben sich unsere Verwandten auch noch andere Westwaren gewünscht wie zum Beispiel Schokolade, Strümpfe und Kaffee Hag. Eines Tages kam dann auch mal was zurück von drüben nach hüben: das Stollen-Rezept. So hat meine Oma vor 40 Jahren angefangen mit der Backerei. Bis heute produziert sie mindestens zehn Stück im Jahr.

Dafür siebt sie 750 Gramm Mehl in eine große Schüssel, macht eine Mulde in der Mitte, mischt etwas warme Milch mit 75 Gramm Frischhefe und einem Teelöffel Zucker und leert das Ganze in die Kuhle, bestäubt es mit Mehl und wartet etwa zehn Minuten. Die Zeit nutzt sie, um 300 Gramm Butter in 200 Milliliter warmer Milch zu zerlassen. Sie gibt einen Schuss neutrales Öl dazu, gibt 100 Gramm Zucker und einen Teelöffel Salz an den Rand des Mehls, leert das Milchgemisch in die Mulde und knetet alles gut durch. Sie sagt, es muss einen richtigen Klumpen geben. Den lässt meine Oma mindestens anderthalb Stunden, besser zwei, ruhen. Das sei wichtig, sagt sie. Die Teigmasse sollte sich mindestens verdoppeln. Anschließend knetet sie den Teig erneut, gibt 100 Gramm gemahlene Mandeln, 100 Gramm Zitronat und 300 Gramm am Vortag in Rum eingelegte Rosinen dazu, dann knetet sie weiter, rollt den Teig aus und formt einen Stollen. Den Laib backt sie bei 175 Grad eine Stunde auf einem Blech mit Backpapier. Sie lässt ihn etwas abkühlen und bestreicht den noch warmen Stollen mit 100 Gramm zerlassener Butter, bestreut ihn mit zwei Päckchen Vanillezucker und etwas Zucker. Zum Schluss kommt etwas Puderzucker drauf.