Am Donnerstag kamen rund 21 000 Gläubige zentral in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena zusammen, um einen Gottesdienst zu feiern und sich mit Kirchenerneuerung und Reformation zu befassen.
Stuttgart - Üblicherweise wird der Christustag an 20 Orten in Süddeutschland von etwa 11 000 Menschen begangen. Am Donnerstag kamen jedoch rund 21 000 Gläubige zentral in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena zusammen, um einen Gottesdienst zu feiern und sich mit der Reformation zu befassen.
„Wir feiern diesen Tag immer am katholischen Feiertag Fronleichnam“, sagt Ralf Albrecht. Der Dekan von Nagold ist Vorsitzender des Mitveranstalters Christusbewegung und des Lenkungskreises, der den Christustag organisiert hat. „Weil es ein katholischer und kein evangelischer Feiertag ist, müssen wir die Menschen nicht aus ihren Gemeinden herausholen.“
Nach 1989 findet der Christustag erstmals wieder im Stuttgarter Stadion statt. Auf der Mercedesstraße und rund um die Arena haben etwa 130 Organisationen Stände aufgebaut – darunter die Südslawische Christliche Mission, Global Volunteer Services, Christen bei der Bahn sowie etliche evangelische Zeitschriften.
Der Effekt der Massenveranstaltung
Gegen 10 Uhr, kurz vor Beginn des eigentlichen Gottesdienstes, sind die Haupttribüne, der Innenraum sowie die Cannstatter und die Untertürkheimer Kurve gut gefüllt. Den Effekt einer solchen Massenveranstaltung erklärt Albrecht so: „Die Leute gehen raus und sagen: ,Ich hätte nicht gedacht, dass wir so viele sind.‘“ Ab und an brauche es ein großes Zeichen in Richtung Öffentlichkeit, so der Dekan. Albrecht betrachtet den Christustag nicht wie häufig gemutmaßt als Vorbereitung auf den noch wesentlich größeren Kirchentag in Stuttgart im kommenden Jahr. „Erst 2017 feiern wir 500 Jahre Reformation“, sagt der Mitorganisator, „jedes Jahr bis dahin ist eine Art Vorstufe.“
Noch vor Beginn der Veranstaltung sind aus dem Stadion Posaunen zu hören. In der Cannstatter Kurve sitzt ein Bläserchor, bestehend aus 600 Musikern. Etwa 30 Meter vor dem imposanten Orchester, das sich über drei Sitzblöcke verteilt, befindet sich das Podium von Hans-Ulrich Nonnenmann. Er ist Kirchenmusikdirektor und Landesposaunenwart. „Wir haben vor ein paar Wochen gefragt, wer an diesem Tag mitspielen will. Das ist das Ergebnis“, sagt der Dirigent stolz. Die Klänge am Morgen waren die einstündige und einzige Probe des für diesen Tag gebildeten Ensembles.
Konflikt am Kirchentag 1969
Als prominente Redner sind unter anderem die ehemalige evangelische Bischöfin Margot Käßmann und Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nach Stuttgart gekommen. „Auch wenn du deinen Arbeitsplatz verlierst, auch wenn du krank bist und nicht so schön wie die Models auf dem Laufsteg: dein Leben ergibt Sinn, weil Gott dir Lebenssinn zusagt“, so Käßmann. Kauder sagte: „Die Verfolgung von Christen hat weltweit dramatisch zugenommen. Religionsfreiheit bleibt daher ein wichtiges Thema.“
Seit mehr als 50 Jahren laden evangelische Gruppen im Südwesten an Fronleichnam zu eigenen Festen ein. Eine besondere Rolle erhielt der Christustag nach dem Kirchentag 1969 in Stuttgart, an dem die Konflikte zwischen den fortschrittlichen und den konservativen Lagern der Protestanten mit Macht ausbrachen. Weil streng bibeltreue und evangelikale Gruppen ihr Glaubensverständnis beim Kirchentag nicht mehr vertreten sahen, blieben sie der Veranstaltung fortan fern. „Der Kirchentag ist ein Festival, das die gesamte Bandbreite an Kirche zeigt“, erklärt Albrecht den Unterschied aus seiner Sicht. „Beim Christustag geht es mehr um das Spirituelle und um den Gottesdienst.“
Kirchentag und Christustag 2015 gemeinsam
Im kommenden Jahr werden die beiden Veranstaltungen aber wieder gemeinsam in Stuttgart stattfinden. Aus Sicht des Nagolder Dekans ist dieser Umstand vor allem dem Termin geschuldet: „Beides findet an Fronleichnam statt. Da wir den Christustag weder ausfallen lassen noch eine Gegenveranstaltung sein wollen, feiern wir selbstverständlich gemeinsam.“
Umfrage unter Besuchern: Gemeinsam glücklich
Es ist das gemeinsame Erlebnis, das die rund 21 000 Teilnehmer des Christustags in Stuttgart verbindet. „Ich habe zufällig den Flyer bekommen“, berichtet die 28-jährige Steffi Maurer aus Wiesbaden. Die Vielfalt der Menschen, die an diesem Tag zusammenkommen, sei faszinierend, sagt sie. „Eine solche Veranstaltung zeigt, wie viele Christen in Deutschland aktiv sind.“
Der 25 Jahre alte Valerio Krüger ist aus Rüsselsheim nach Stuttgart
gekommen. In seiner Heimatgemeinde ist er in der Jugendarbeit aktiv. „Der Reiz an einer so großen Veranstaltung ist es, andere Christen kennenzulernen und sich miteinander auszutauschen“, sagt er. Zudem seien die Redner und Prediger für ihn ein Grund gewesen, zum Christustag zu kommen. „Ich war auf den Koreaner Kim Chin Kyung und auf Hans-Joachim Eckstein gespannt.“Helmut Walnerfactum/Granville Helmut Walner ist wegen seiner Tochter zum Christustag gefahren. „Sie arbeitet ehrenamtlich in der Organisation mit“, erklärt der 52-Jährige aus Bad Teinach-Zavelstein im Schwarzwald. Auf das Erlebnis, mit 21 000 Menschen einen Gottesdienst zu feiern, habe er sich sehr gefreut.
Die 21-jährige Jana Kilpper kommt aus
Weissach bei Leonberg. Auch für sie steht das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund. „Ich habe große christliche Veranstaltungen schon erlebt. Die Atmosphäre ist jedes Mal etwas ganz Besonderes.“Wohl eine der weitesten Anreisen haben Jürgen Brandt und Wiebke Lorei auf sich genommen. Das Ehepaar ist extra aus der Gemeinde Timmendorfer Strand in Schleswig-Holstein angereist. „Wir sind zu Ehren Jesu Christi gekommen“, sagt die 52-Jährige, die sich als Tochter Jesu versteht; ihr
Mann sei ein Sohn desselben. Freinehmen mussten sich die beiden für die Reise nicht. „Wir sind Privatiers“, sagt der 49-Jährige. Und: da Fronleichnam ein katholischer Feiertag ist, sei ihnen dieser ohnehin egal. „Jeder soll die Bibel lesen“, sagt die 52-Jährige entschieden, „dann zeigt sich, dass die Weisheiten und Argumente von Atheisten jeglicher Grundlage entbehren.“