Entführung, Folter, Haft – Die Lebensgeschichte des Deutsch-Libanesen liest sich wie ein Filmdrehbuch. Bayerns Justiz bringt das CIA-Opfer Khaled el Masri nun wieder ins Gefängnis. Man hat den Eindruck: Mit allen Mitteln.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Kempten - Gefehlt und gebüßt hat Khaled el Masri wiederholt, seit er Anfang 2004 nach seiner Entführung und monatelanger Folter in Mazedonien und Afghanistan zurück nach Neu-Ulm gelassen wurde, zu seiner Frau und den Kindern. Erst rannte er, auf der Suche nach Gerechtigkeit, erfolglos gegen die Justiz in den USA an. Dann schlug er, in der Überzeugung, die Geheimdienste seien weiter hinter ihm her, den Ausbilder einer Fortbildungsmaßnahme zusammen, zündete den Metro-Markt in Neu-Ulm an – und am Ende verwirkte er seine Bewährung, als er am 11. September 2009 den Neu-Ulmer Oberbürgermeister Gerold Noerenberg in dessen Amtszimmer verprügelte. Die Anklagen, die Masri in wirren Briefen vorher formuliert hatte, verstand niemand mehr. Masri verschwand in der JVA Kempten.

 

2013 wäre er wieder freigekommen. Es wurden aber nur jämmerliche vier Tage. Ende Juli, nach einer Auseinandersetzung mit einem Vollzugsbeamten, holte ihn die Strafanzeige der Kemptener Gefängnisleitung ein. Er wurde der Körperverletzung und Bedrohung angeklagt, doch das Amtsgericht sprach Masri am 14. Oktober von den Vorwürfen frei. Er konnte gehen. Das wollte die Staatsanwaltschaft Kempten nicht zulassen, sie legte Berufung gegen das Urteil ein, und am 18. Oktober fassten Fahnder ihn am Ulmer Hauptbahnhof. Der Richter sah eine akute „Fluchtgefahr“.

Nach der Attacke: zweiminütiges Brennen auf der Wange

11. Dezember 2013, Landgericht Kempten, Khaled el Masri – seine Entführung liegt nun genau zehn Jahre zurück – sitzt also wieder auf der Anklagebank. Er ist nun 50 und noch grauer geworden und noch verschlossener, wenn das überhaupt geht. Er antwortet auf keine Frage, sieht niemanden an, nicht den Richter, nicht einmal seinen Pflichtverteidiger. Umso ausführlicher spricht der 47-jährige JVA-Beamte, der geschlagen worden sein will. Es war ein Juliabend, Ramadanmonat, Masri fastet und fragt den Beamten nach einer Schmerztablette. Der bietet ihm ein wirkstoffgleiches Zäpfchen an, obwohl die Tabletten 20 Meter weiter in seinem Büro liegen. Das habe der Anstaltsarzt festgelegt, so der Zeuge. Masri wird wütend und soll den Beamten mit zwei Fingern gegen den Kiefer „geschlagen“ haben. Später wird der Beamte zu Hause den Angriff im „Selbstversuch“ wiederholen und ein zweiminütiges „Brennen“ der Wange notieren.

Masri kommt in Einzelhaft, Kontaktsperre, seine Zelle wird erfolglos nach einem illegalen Schmerztablettenlager durchsucht. Der Beamte geht am nächsten Morgen zum Anstaltsleiter und beschwert sich. Der Chef lehnt eine Strafanzeige ab. Gegen 16 Uhr bringt derselbe Beamte Masri zusammen mit einem Kollegen das Essen. Masri rastet aus, als er den Beamten wiedersieht, droht angeblich, alle maßgeblichen Beamten in der JVA stünden „auf meiner Liste“ und dass er Kehlen durchschneiden werde. Der zweite Beamte erinnert sich nur, dass Masri gegen den Kollegen ausfällig geworden sei.

Protokolle der ersten Polizeivernehmungen klingen deftig

Der Richter erkundigt sich, ob Masri therapeutische Hilfe angeboten worden sei. Nein, sagt der Zeuge, der Häftling sei ja auch immer „völlig uneinsichtig“ gewesen und zeige „überhaupt kein Unrechtsbewusstsein“. Die Protokolle der ersten Polizeivernehmungen klingen deftig, sie wurden im Juli von einem Polizeibeamten in Neu-Ulm aufgenommen. Er ist, wird im Gerichtssaal bekannt, intern schon seit 2006 für Masri eingeteilt. Auf wessen Weisung er diesmal gearbeitet habe, fragt der Verteidiger. Der Oberstaatsanwalt interveniert lautstark, das sei Dienstgeheimnis, aber der Richter lässt antworten. Die Führung des Kemptener Polizeipräsidiums habe ihn beauftragt, sagt der Polizist. Der Kollege des angeblich geschlagenen Aufsehers sagt, er habe beim Durchlesen seine Protokolls mehrere „emotionale Begriffe“ wie „Angst oder Drohung streichen lassen“. Der Verteidiger fragt ungläubig: Waren die Protokolle etwa vorformuliert? Die Antwort bleibt aus.

Dann die Plädoyers: der Verteidiger beantragt erneut den Freispruch, der Oberstaatsanwalt verlangt ein Jahr und drei Monate Haft. Ein Freispruch, warnt er mit Verweis auf die Prominenz des Täters, führe dazu, „dass wir bald niemanden mehr haben, der in einer Justizvollzugsanstalt arbeiten will“. Zwanzig Minuten später kassiert der Richter den Freispruch des Amtsgerichts und spricht eine Haftstrafe von sieben Monaten aus. Die Schilderung des geschädigten Beamten sei völlig „nachvollziehbar“, Masris Vergangenheit „kein Rechtfertigungsgrund“, der Angeklagte überhaupt ein „Bewährungsversager“.

„Herr Masri, stehen Sie bitte auf“, sagt der Richter, bevor er sein Urteil verliest. Doch der bleibt einfach sitzen und schließt die Augen, als wäre er unendlich müde.