Der Filmkünstler Clément Cogitore verpackt seine Zeitkritik in opulente Bilder – jetzt ist seine Videoinstallation „The Evil Eye“ in der Galerie Hauff zu sehen.

Stuttgart - Nackt liegt sie auf dem Boden des Rechenzentrums. Das größte und böseste Auge, das man sich vorstellen kann, hat die junge Frau in den Blick gefasst: das Auge des großen Bruders. „The Evil Eye“ heißt die Videoinstallation in der Galerie Hauff, und wie man spätestens jetzt ahnt, geht es dem Film- und Fotokünstler Clément Cogitore auch um die verlorene Privatsphäre in einer immer totalitärer auftretenden Digitalkultur. Normalerweise vermag dieses Thema, so ernst und drängend es auch ist, nicht mehr richtig wachzurütteln, jedenfalls dann nicht, wenn der kritisch-theoretische Flügel der Gegenwartskunst sich seiner annimmt. Anders bei Cogitore. Der 1983 in Colmar geborene Franzose ist hellwacher Zeitdiagnostiker und opulenter Bilderträumer zugleich. Für seine reich instrumentierten Medienprojekte wurde Cogitore schon beim Filmfestival in Cannes geehrt, zuletzt erhielt er den prestigeträchtigen Prix Marcel Duchamp.

 

Das Geheimnis seiner Kunst liegt darin, dass er sich nicht mit politischem Sendungsbewusstsein in eine Aussage verbeißt, sondern mehrdimensional denkt und viele Assoziationen anbietet. So gelingt ihm nun auch bei Hauff ein bestrickend allegorisches Welttheater. Mit Schlangen, die durch Serverfarmen schleichen, aufziehenden Hurrikanen und einem irritierend erotischen Tanz zu den Klängen eines Requiems. Als Akteurinnen treten lauter junge Frauen auf, manche verwandeln sich plötzlich in Greisinnen mit schlechten Zähnen, während am Horizont die Klimakatastrophe dräut. Auch eingestreute Textpassagen aus der biblischen Apokalypse sowie aus Dantes „Inferno“ stellen die Uhren auf Endzeit. Das Wasser steht dem Jahrhundert bis zum Hals. Zumindest erzeugt der Kamerablick von einem Hotel-Swimmingpool auf eine Großstadt für einen kurzen Moment genau diesen Eindruck.

Viel Pathos mit Ironie dazwischen

Das klingt nach sehr viel Pathos, doch es ist ein Pathos, dem die Ironie zur Seite springt. Denn all die verheißungsvollen Szenen stammen aus Bilddatenbanken wie Gettys oder Shutterstock und sind ursprünglich für die Werbeindustrie gemacht. Die nachdenklichen und verletzlichen Schönheiten, die der Künstler auf das Ende einer dystopischen Welt warten lässt, könnten einem genauso gut in der Zahnpastareklame oder im Imagefilmchen einer Versicherung begegnen. Durch Cogitores Eingriffe aber verdreht sich die seichte, sexuell grundierte Marketingatmosphäre des Ausgangsmaterials in ihr düsteres Gegenteil. Die Bestellnummern aus den Datenbanken werden jedes Mal, wenn eine Figur auftritt, mit eingeblendet. Im neuen Kontext bekommen die Zahlen etwas von Häftlingsnummern. Fünfzehn Minuten nur dauert das Ganze, trotzdem ist es großes Kino!