Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Warum jedoch kehrt eine Linke, die sich der internationalen Solidarität verpflichtet sieht, nationalistische Züge hervor?
Weil sie nicht versteht, dass internationale Solidarität nicht heißen kann, dass sich die Völker Europas gegen den Merkelismus zusammenrotten. Syriza und Anel nähren sich an den überhaupt nicht zu leugnenden Leiden des griechischen Volkes, also der kleinen Leute, die über ein mehrjähriges Austeritätsprogramm mächtig gebeutelt worden. Dass da eine Reaktion als Wähler erfolgt, ist völlig logisch. Der Fehler ist die Zuspitzung, die Griechenland als Ganzes gegen Europa führt. Ich kann mir eher vorstellen, dass man sagt: es gibt in ganz Europa berechtigte Interessen der Menschen, die eine würdige Arbeit und wohlfahrtsstaatliche Versorgung verlangen können, gegen ein System, das im Wesentlichen durch Finanzmärkte getrieben wird – das hielte ich für eine vernünftige Aufstellung der Linken.
Was eint die linksradikale Partei Syriza mit den Rechtspopulisten von Anel sonst noch?
Syriza-Chef Tsipras behauptet, Anel sei der einzig zur Verfügung stehende Koalitionspartner gewesen. Was so nicht zutrifft, er hat wohl nicht lange genug gesucht. Der nationalistische Kern von Syriza und der von Anel ist der gemeinsame Nenner – ungeachtet ganz vieler Unterschiede beim Thema Einwanderung und Staatsangehörigkeitsrecht, die bald für Konflikte sorgen werden. Der Grundfehler ist, wenn man von homogenen Interessen „des“ griechischen Volkes gegen „die“ Europäer ausgeht, statt anzuerkennen, dass es Interessengegensätze zwischen Privilegierten und Prekären quer durch Europa gibt.
Zerstören diese Gegensätze noch den europäischen Gedanken – umgekehrt gibt es doch Staaten in Osteuropa, die liebend gern in Europa integriert sein wollen?
Seit 1990 galt zunächst auch für Südeuropa und die arabischen Mittelmeeranrainer, dass Europa als die Lösung vieler Probleme gegolten hat. Das ist vorbei. Europa gilt heute mehr als der Verursacher von Problemen. Ganz undifferenziert werden die Fehler in der Bankenrettung auf die EU projiziert. Ich bin stets erstaunt, wie man diese supranationale Union zum Sündenbock macht für Fehler in den Finanzmärkten. Da sägen wir am Ast, auf dem wir sitzen: Europa muss jetzt einig sein und darf sich nicht von außen und innen die Solidarität untergraben lassen. Darauf müssen auch die Politiker in Griechenland, Italien und Spanien Rücksicht nehmen, dass wir uns nicht noch auseinander dividieren lassen. Das ist genau die Strategie von Wladimir Putin.