Der „begabte Rausquatscher“ bekräftigt seine Stuttgart-Kritik: Das SWR-Fernsehen zeigt an diesem Donnerstag ein so umfassendes wie ehrliches Porträt von Claus Peymann.

Stuttgart - Er läuft und läuft und läuft: „König Lear“ ist im Stuttgarter Schauspiel ein Publikumserfolg und treibt die Auslastung des Hauses in die Höhe. Und ohne Shakespeare und seiner Tragödie zu nahe zu treten: dass sie in diesem Fall zum Hit avanciert ist, liegt vor allem am Regisseur, der ähnlich wie Lear mittlerweile ein König ohne Land ist, nun aber eine triumphale Heimkehr erlebt. Denn schon damals, als er noch ein Reich besaß, das Stuttgarter Theater von 1974 bis 1979, huldigte ihm das Volk hemmungslos: „Vielleicht ist niemals zuvor und niemals danach ein Theaterdirektor so vom Publikum geehrt und gefeiert worden wie Claus Peymann.“

 

Der Satz fällt in der neunzigminütigen Dokumentation, die das SWR-Fernsehen an diesem Donnerstag leider erst kurz vor Mitternacht zeigt. Sie hätte eine frühere Ausstrahlung verdient: „König Claus – Peymanns Leben für das Theater“ zeichnet das so umfassende wie ehrliche Porträt des Mannes, dessen Wirken theaterhistorischen Rang hat. Fünf Jahrzehnte leitete der Kunstberserker die wichtigsten deutschsprachigen Bühnen. Eine seiner markantesten Stationen war Stuttgart, weshalb der aktuelle Hype um „Lear“ wohl nicht zuletzt als Verlängerung der mehrstündigen Applaus-Orgie zu verstehen ist, mit der Peymann 1979 verabschiedet wurde.

Stuttgart, die vom „Autokrebs“ zerfressene Stadt

Das Publikum hat den Intendanten innig geliebt, die Politik – mit Ausnahme von Manfred Rommel – innig gehasst. Für sein Porträt ist der Regisseur Andreas Ammer ins Archiv gestiegen und hat den damaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth hervorgekramt, der Peymann wegen seiner angeblichen RAF-Sympathien für untragbar hielt – und aus Stuttgart vertrieb. Und überhaupt: Ministerpräsidenten! Mit ihnen legt sich der unerschrockene Theatermann an, wo immer es geht. Als er jetzt auf die Stuttgart-21-Baustelle direkt neben dem Schauspielhaus blickt, bekräftigt er – ohne Namen zu nennen – die gegenüber unserer Zeitung erstmals erhobene Kritik an Winfried Kretschmann: „Stuttgart ist eine vom Autokrebs zerfressene Stadt, mit diesem Schandmal am Bahnhof. Man glaubt nicht, dass es hier eine grüne Regierung gibt. Man denkt, hier sind Nordkoreaner am Werk, die Mitmenschen quälen.“ Und als wolle er seine Selbsteinschätzung als „begabter Rausquatscher“ bestätigen, setzt er noch eins drauf: „Ein architektonischer Amoklauf. Dagegen ist Kafka ein Weihnachtsmärchen. Diese Schreckenswüste übersteigt meine Fantasie. Menschen spielen hier keine Rolle.“

Peymanns Stadtspaziergänge finden während der Lear-Proben statt, dem Ausgangspunkt der aufschlussreichen Doku. Peymann ist kein Mensch, der sich verstellt, auch nicht vor der Kamera. Als während eines Interviews im Hintergrund gelärmt wird, bittet der achtzigjährige „König Claus“ nicht höflich um Ruhe, nein, er befiehlt sie. Und er weiß das: „Meine große Schwäche ist meine Ungeduld und meine Aggressivität“, sagt er bei einer Leseprobe, bevor er – und das offenbart die ganze Ambivalenz seines Charakters – das Wort an die jungen Schauspieler richtet: „Ich warne Sie: Sie dürfen keine Angst vor mir haben.“

Das freilich dürfte nicht immer leicht fallen bei diesem von Tobsuchtsanfällen heimgesuchten Künstler. „Im Grunde ein Offizierstyp“, sagt der Entertainer Harald Schmidt, der in dem sehenswerten Porträt noch in einem anderen, völlig unerwarteten Zusammenhang auftaucht. Nachdem sich Peymann als außerhalb des Theaters völlig einsamen Menschen beschrieben hat, sagt er: „Wenn ich mir einen Freund vorstellen könnte, dann ihn: Schmidt.“

„König Claus“ läuft an diesem Donnerstag um 23.45 Uhr im SWR-Fernsehen.