Clint Eastwood wird achtzig Jahre alt – Anlass für ein Wiedersehen mit „Dirty Harry“.

Stuttgart - Der Faschismus hatte schon mal kürzere Haare und überhaupt widerlichere Klamotten. In "Dirty Harry" von 1971 ist der Faschismus eigentlich immer ganz adrett und bürgerlich gekleidet, nicht zu lässig, nicht zu spießig; wie ein Unidozent mit liberalen Ansichten, aber ohne Anbiederungstrieb gegenüber seinen Studenten. Der Faschismus sieht vor allem sehr selbstbewusst entspannt aus, hochgewachsen, drahtig, mit breiten Schultern, aber ohne die stupide, muskelkrampfende Ladestockvertikalität der Drillplatzfanatiker. Und die Haare reichen immerhin so weit an den Hemdkragen, dass der Wind ein bisschen mit ihnen spielen kann und der wandelnde Faschismus auch schon mal darauf angesprochen wird. Der wandelnde Faschismus?

Ja, so und fieser wurde Clint Eastwood, der am Montag 80 Jahre alt wird und längst jedermanns Lieblingswertkonservativer ist, 1971 in Europa und den USA von Filmkritikern tituliert, als er in der Titelrolle von "Dirty Harry" den knallharten Einzelgängercop aus San Francisco spielte, den grimmigen Menschenjäger, der bei dem Wort Justizapparat an seine Smith & Wesson Model 29 denkt, der seinen Gegnern diese Waffe in Duellmomenten zeigt, so wie ein religiöser Fanatiker auf Kreuzzug den Ungläubigen das Symbol seiner Religion entgegenreckt. Gerechtigkeit ist für Harry Callahan die Bewegung seines Zeigefingers über den Druckpunkt des Abzugs hinaus.

Filmemacher mit eigenem Kopf


Als Gerhard Midding und Frank Schnelle 1996 einen deutschen Aufsatzband über Eastwood veröffentlichten, trug der den prägnanten Titel "Der konservative Rebell". Als der am 31. Mai 1930 in San Francisco geborene Fabrikarbeitersohn Eastwood 1992 als Regisseur und Hauptdarsteller den Spätwestern "Unforgiven" vorlegte, konnte man darin ja auch ohne viel Deutungswahn eine Abrechnung mit dem konservativen Amerika und seinen Geschichtsklitterungen erkennen.

Immer wieder hat der späte Eastwood, den man nun als "Auteur" ansprechen durfte, als Filmemacher mit eigenem Kopf, den US-Rechten zu schlucken gegeben, 2006 etwa mit dem Doppelfilm "Flags of our Fathers" und "Letters from Iwo Jima" , der an amerikanischen Heldenmythen kratzte und dem einstigen Kriegsgegner Japan ein menschliches Gesicht gab. Da liegt es nahe, gleich das ganze Frühwerk von Eastwood unter den Generalverdacht zu stellen, es sei ironisch unterhöhlt, es spiele nur mit den Motiven von Selbstjustiz, Rassismus und Unduldsamkeit, es übertreibe seine Werte bis in die Karikatur.

Ein Wiedersehen mit "Dirty Harry" aber offenbart, dass weder der Faschismusvorwurf noch die Ironieentschuldigung dieses Werk ganz beschreiben. Don Siegels Film, der zum Auftakt einer ganzen Serie wurde, ist kein besonders guter Krimi. Es geht um einen bösartig Verrückten, der die Stadt San Francisco erpresst. Erst schießt er von Dächern aus zufällig ausgewählte Menschen nieder, dann entführt er ein Mädchen und droht, es qualvoll in seinem Verlies verhungern zu lassen. Einmal kann Inspektor Callahan ihn stellen und verhaften, aber weil der Cop sich dabei nicht an die Gesetze gehalten hat und nicht einmal die beschlagnahmte Tatwaffe als Beweismittel zulässig wäre, muss der Mörder (Andrew Robinson) wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Dirty Harry Callahan jagt ihn weiter und erschießt ihn schließlich.

Eastwood's Paraderolle "Dirty Harry"


Das wird nicht nur vom Drehbuch ziemlich hanebüchen erzählt, auch bemüht sich Don Siegel selten um so etwas wie inszenatorische Glaubwürdigkeit. Er setzt immer wieder Eastwood als Dirty Harry in Szene, er stilisiert ihn ohne Hemmungen. Wobei die Ansichten von bewaffneter Coolness, von Vigilantentum mit Sex-Appeal, von selektivem Sadismus besser gealtert sind als die Action-Sequenzen, die das heutige Auge in sehr viel mehr Einzeleinstellungen zerlegen, in viel dynamischere Schnittfolgen zerhacken möchte.

Eastwood hatte in Europa mit Sergio Leone Spaghetti-Western gedreht, er war in USA alles andere als ein Star, er brauchte dringend einen Hit. In San Francisco war ein echter Serienkiller am Werk, dem die Polizei nicht auf die Spur kam. Und auch wenn das Drehbuch außer dem Täterspitznamen Scorpio wenig gemein hat mit dem realen Kriminalfall, so wollte "Dirty Harry" doch auf eine reale Verunsicherung reagieren und eine Polizei zeigen, die alles im Griff hatte, gerade weil sie Bürgerrechte und Dienstvorschriften dauerhaft missachtete. Diese Motivationen von Produzenten und Hauptdarsteller verhindern, dass sich "Dirty Harry" ins Ironische freischwimmt.

Aber dann steht Eastwood über dem schon angeschossen daliegenden schwarzen Bankräuber und provoziert ihn mit dem vielleicht, vielleicht auch nicht schon leer geschossenen Colt, doch nach einer Schrotflinte zu greifen: "Nun frag dich doch einfach, ob heute dein Glückstag ist!" Plötzlich ist die ganze Konstellation, Weiß gegen Schwarz, Stehend gegen Liegend, Russisches Roulette gegen Polizeivorschriften zur Verhaftung so überspitzt, dass man befreit grinsen möchte. Dieser Harry Callahan scheint ganz am Rand der harten Visage auch ein wenig zu schmunzeln, als wolle er gleich zwinkern. Aber vielleicht gilt dieses geahnte Amüsement auch der Tatsache, dass die Liberalität keinen Boden mehr unter den Füßen ihrer Empörung hat, wenn der Killerwahn ein wenig selbstironisch lächeln kann - bevor er vielleicht doch noch abdrückt.

Dirty Harry
Warner DVD/Blu-ray. 98 Minuten Film. Interviews, Audiokommentare, diverses Zusatzmaterial. Etwa 12 bis 15 Euro.