An der Decke hing eine Kirchturmsuhr, auf dem Klo pinkelten die Herren gegen einen Wasserfall: Die Dekoration des Unbekannten Tiers war so ungewöhnlich wie der gesamte Club im Metropol-Gebäude. Vor 20 Jahren wurde dort die letzte Party gefeiert. Die Netzgemeinde feiert aus diesem Anlass eine Legende.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Was ist aus den wundersamen Dingen geworden, die in den 1990ern das „Tier“ an der Ecke Lautenschlager-/Bolzstraße zu einem der schrägsten und experimentellsten Nachtorte von Stuttgart machten? Die kreisenden Räder vom Schankraum etwa, die Kirchturmuhr oder die schwarzen Installationen des fischlosen Aquariums?

 

Das Stadtmuseum wäre glücklich, bekäme es die Inneneinrichtung eines einst zukunftweisenden Clubs. „Wir haben nichts aufbewahrt“, sagt Johannes Zeller, einer der vier „Tier“-Gründer, „alles kam auf den Schrottplatz.“ Ein Revival der Location kann er sich nicht vorstellen. „Damals haben wir um 22 Uhr aufgemacht“, erklärt er, „heute geh’ ich um 22 Uhr ins Bett.“

Wo sich einst der Stuttgarter Hauptbahnhof befand

Heute kann man „Zelle“, wie ihn alle nennen, als Veranstaltungsorganisator buchen. Firmen machen reichlich Gebrauch davon. Eine seiner Ideen sieht der 52-Jährige im Fluxus in der Calwer Passage, in der alternativen Einkaufsmeile, verwirklicht. „Was dort geschieht, das hatten wir für das Metropol-Gebäude geplant“, erinnert sich Zeller. Doch es fehlte ihm damals an einem Geldgeber.

Geschichtsträchtig ist das Areal, um dessen Nutzung gerungen wurde. Auf dem Gelände stand zwischen 1848 und 1922 der Hauptbahnhof. Einige Torbögen in der Fassade erinnern daran. 1925 entstand hier der Ufa-Palast. Im Zweiten Weltkrieg brannte das Haus fast komplett aus. Ende der 1940er Jahre wurde es nach dem Wiederaufbau in den „Metropol-Palast“ mit Café, Kinosaal und Varieté umgewandelt.

Anfang der 1980er kauften die TWS das Gebäude, um ihre Hauptverwaltung zu erweitern. Der Denkmalschutz aber stoppte die Abrisspläne. Der mittlerweile in fünf kleinere Kinos unterteilte Saal gilt als einer der letzten seiner Art aus den goldenen 1920ern.

Am 17. Mai 1990 eröffnete das Unbekannte Tier

Die TWS versuchten, das Haus loszuwerden – doch es fand sich kein Käufer. Schließlich wurde das Bankhaus Ellwanger und Geiger beauftragt, ein Gesamtmietkonzept zu entwickeln. Teile des Metropol-Gebäudes standen nun lange leer. Dies brachte Tommy Labusch, der mit Philippe Kayser auf der anderen Straßenseite den Palast der Republik in einer früheren Toilette betrieb, auf die Idee für den großen gastronomischen Schlag. Die Wirte-Kollegen Johannes Zeller und Christoph Ulmer, die Erfolg mit dem Casino in Heslach hatten, stiegen auch noch mit ein. Am 17. Mai 1990 eröffneten sie im alten Wienerwald das Unbekannte Tier.

Dort, wo sich die Grillstelle der Hähnchen-Kette befand, kam hinter einer Spanplatte eine zentimeterdicke Fettschicht zum Vorschein. Das Leitungsnetz war ein Labyrinth. Die Decke wurde freigelegt. Tommy Labusch hatte sich den Namen für den Club ausgedacht. Das Unbekannte Tier – das klang ungewöhnlich, war einprägsam, hatte aber nichts zu bedeuten. Mit den Welsen, die im Aquarium auf der Theke schwammen, hatte das nichts zu tun. Sie blieben nicht lang. Weil sich einige Besucher beschwerten und meinten, der laute Club sei nichts für Fische, wurden diese ausquartiert. „In das leere Aquarium kamen wechselnde Installationen“, erinnert sich „Zelle“.

Vor genau 20 Jahren musste das „Tier“ für immer schließen. Das „Jubiläum“ der letzten Party sorgt im Netz gerade für vielfältige Reaktionen. Im Stuttgart-Album, dem Geschichtsprojekt unserer Zeitung, wird eine Legende gefeiert, die sechs Jahre lang Clubgeschichte in Stuttgart geschrieben hat.

Ufuk Akci, ein häufiger Besucher, denkt an „entspannte Menschen und gute Musik“ zurück. Sascha Gessert erinnert sich, wie auf der Tanzfläche zwei Typen zu „Public Enemy“ abgegangen sind: „Einer im feinen Anzug, der andere im Heavy-Metal-Outfit – das war das Tier!“ Und Simone Mayer schreibt: „Diese Location war das Beste, was Stuttgart zu bieten hatte.“

Erinnerungen an ein magisches Dreieck

Das „Tier“ gehörte mit dem Palast der Republik und dem Zum Zum, dem Schnellimbiss mit der einarmigen Currywurst-Verkäuferin Milanka Grubor, zum magischen Dreieck der Nacht. „Dieses Dreieck ist ein Teil meiner Jugend, hat mich groß und stark gemacht“, hat Karl-Heinz Meyer gepostet.

Im Zum Zum, das im Jahr 2004 abgerissen wurde, arbeitete die Serbin Grubor vor ihrem Unfall mit zwei Armen und danach mit einem Arm weiter. ohne zu klagen.

Manche sagen, sie habe dies mit Handicap eifriger getan als Menschen, die mit zwei Armen alle Hände voll zu tun haben. Rekordverdächtig zerteilte sie Currywürste und gab gleichzeitig das Geld raus – in der Erinnerung immer noch schneller. Die beliebte Milanka Grubor ist nach dem Tod ihres Mannes zur Tochter nach Belgrad gezogen.

Und was ist aus den Gründern des Unbekannten Tiers geworden? Außer Johannes Zeller, der Veranstaltungen aller Art organisiert, ist nur noch Christoph Ulmer in Stuttgart, wo er einen Kiosk betreibt. Tommy Labusch arbeitet heute als Koch im Schwarzwald. Philippe Kayser, der mit Freundeskreis gespielt hat, lebt seit 2005 in Berlin als Komponist, Produzent und Musiker.

20 Jahre später lassen viele, die damals jung waren, im Netz detailreich ihre wilde Zeit hochleben. Und doch gibt ein Kommentator zu bedenken: „Wer sich erinnert, war nicht dabei.“

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