Das ist nicht immer so gewesen. Als die beiden noch Kinder waren, stand der Altersunterschied von fünfeinhalb Jahren zwischen ihnen. Johannes beschäftigte sich vor allem mit dem zwei Jahre jüngeren Simon, die Brüder tobten, turnten und tollten umher, maßen ihre Kräfte, auch auf der Schanze und in der Loipe. Die Schwester? Lief nebenher. Aber nicht nur. Sie orientierte sich auch an ihren Brüdern. Eiferte ihnen nach. Und nahm sie sich zum Vorbild. „Ich habe immer genau beobachten können, was im Sport möglich ist“, sagt Coletta Rydzek (22). Und dabei ist es geblieben. Bis heute.
Lesen Sie hier: So lief Olympia 2018 für Johannes Rydzek
Simon Rydzek, der Mittzwanziger, hat sich anders orientiert. Vor acht Jahren hörte er mit der Kombination auf, wechselte das Element. Er machte seinen Master in Chemie, promoviert aktuell in Bayreuth. „Er hat seinen Weg gefunden“, meint Johannes Rydzek – über den sich allerdings dasselbe sagen lässt. Der 27-Jährige gehört zu den erfolgreichsten Kombinierern der Geschichte. Nur ihm gelang es, bei einer Weltmeisterschaft alle vier Titel zu holen (2017 in Lahti), außerdem wurde er 2018 in Pyeongchang Doppel-Olympiasieger. „Was er im Sport erreicht hat, ist das Optimum“, sagt Coletta Rydzek, „allerdings habe ich auch beobachten können, wie viel Arbeit hinter diesen Erfolgen steckt. Und was man alles tun muss, um an der Spitze zu bleiben.“ Sie selbst ist von großen Siegen noch ein gutes Stück entfernt.
Im März feierte die Langläuferin ihr Debüt im Weltcup, im Sprint in Drammen. Ein Start im Kreis der Besten, das war eines ihrer Ziele, nachdem sie 2017 bei der Juniorinnen-WM Bronze geholt hatte, danach aber einen Winter lang wegen eines Ermüdungssyndroms komplett pausieren musste. Doch beim Debüt soll es natürlich nicht bleiben. Aktuell zählt Coletta Rydzek zum B-Kader, sie hofft darauf, früher oder später den Sprung ins Weltcup-Team zu schaffen. Und die Sprintspezialistin, die beim Zoll angestellt ist, träumt von einem Start bei der nordischen Ski-WM 2021. In Oberstdorf, vor der Haustüre. „Dort einen Platz im deutschen Team zu haben“, sagt sie, „das wäre der absolute Hammer.“ Seite an Seite mit ihrem großen Bruder natürlich.
Johannes springt auf der Schanze der Form hinterher
Auch für Johannes Rydzek sind die Titelkämpfe im Februar 2021 ein wichtiges Datum. Aber zugleich noch ziemlich weit weg. Was auch mit der jüngeren Vergangenheit zu tun hat. Denn der Topathlet hat eine Saison hinter sich, in der er Leichtigkeit und Selbstvertrauen verloren zu haben schien, was für einen Springer und Läufer keine gute Kombination ist. Vor allem die WM in Seefeld war schwierig. Rydzek, in allen vier Rennen der Titelverteidiger, blieb ohne Einzelmedaille, wurde nicht für den Zweier-Teamsprint nominiert und holte mit der Staffel Silber. Er selbst beurteilt die Saison besser als viele Beobachter, weil er als Vierter bester Deutscher im Gesamtweltcup war und neunmal auf dem Podest stand. Er sagt aber auch: „Ich habe gelernt, dankbar zu sein für die Dinge, die ich erleben durfte. Und ich habe gelernt, dass Erfolge nicht selbstverständlich sind.“ Sondern ständig neu erarbeitet werden müssen.
An diesem Wochenende starten die Kombinierer im finnischen Ruka in die neue Saison, in der kein Großereignis ansteht, keine Medaillen verteilt werden. Und die deshalb umso wertvoller werden könnte für Rydzek. Er hat sich vorgenommen, nicht ständig an die Heim-WM zu denken, sondern zu alter Stärke zurückzufinden, was so einfach nicht werden wird. Wegen einer Überlastungsreaktion im Mittelfuß konnte er im Sommer rund acht Wochen weder joggen noch springen, als Alternative ging es vermehrt in den Kraftraum und aufs Rad. Konditionell ist Rydzek fit, doch seiner Form auf der Schanze springt er hinterher – am Freitag bei der Premiere in Ruka stürzte er gar ab, lag vor dem Lauf 6:29 Minuten hinter Jarl Magnus Riiber. Eine Ewigkeit. „Ich erwarte von mir selbst erst mal nicht zu viel“, sagt Rydzek, „ich gehe die Saison mit Demut und Bescheidenheit an – auch wenn ich sicher genügend Erfahrung und Können habe, dass es sich im einen oder anderen Wettkampf ausgehen könnte.“ Und wenn nicht? Kommt womöglich Schwester Coletta ins Spiel.
Wer sich mit den beiden Geschwistern unterhält, der spürt, wie gut sie sich verstehen. Wie sie sich helfen und stärken wollen, sich gegenseitig Selbstvertrauen und Sicherheit geben. Das ist vor allem in den Phasen wichtig, in denen es nicht von alleine läuft. „Sie sind sich vom Typ her sehr ähnlich“, sagt Vater Michael Rydzek, „beide sind zielstrebig, ehrgeizig, willensstark. Eben so, wie man sein muss, wenn man erfolgreich sein will.“
Lesen Sie hier: So will Johannes Rydzek nach Peking
Die Rydzeks waren schon immer eine sehr sportliche Familie und viel draußen unterwegs. Ihre Spielwiese war die Natur. Die Eltern ebneten ihren Kindern den Weg, den Schritt in den Leistungssport aber gingen diese aus eigenem Antrieb. Ohne Drängen. „Den Anstoß haben sie sich selbst gegeben, sie hatten den Willen in sich“, sagt Michael Rydzek, „und wir haben sie gerne unterstützt.“
Das tun die Eltern noch heute. Die größten Erfolge ihres Sohnes zum Beispiel haben sie in Lahti und Pyeongchang an der Strecke miterlebt, und bei ihrer Tochter fiebern sie natürlich ebenfalls stets mit. Weshalb sich auch Mutter und Vater Rydzek auf die Titelkämpfe in 15 Monaten vor der eigenen Haustüre freuen: „Wenn beide bei der Heim-WM starten könnten, dann wäre das natürlich ein einmaliges Erlebnis.“