Heike Backes hat Diabetes, und sie hat zwei Hunde als Lebensversicherung. Sie warnen ihr Frauchen, wenn die Werte zu tief sinken.

Löffingen - Mal sehen, ob es klappt: der Hund mit dem langen schwarz-braun-weißen Fell streift über eine Wiese bei Löffingen im Südschwarzwald. Bald steuert der Collie auf Heike Backes zu, die etwas abseits auf einer Bank sitzt. Er setzt sich vor sein Frauchen und beginnt, mit der Pfote an ihrem Bein zu kratzen. Das Tier bettelt nicht um ein Leckerli, es warnt seine Besitzerin. Die Vorführung ist gelungen. An ihrem Knöchel hat Heike Backes nämlich ein Baumwolltüchlein versteckt. Behandelt ist es mit ihrem Schweiß bei einem Blutzuckergehalt von 60 mg/dl. Von diesem Wert an wird es für die 51-jährige Diabetikerin allmählich kritisch. Pepper, die Hündin, ist darauf trainiert, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Besser gesagt: sie wird immer besser. Das hat der Test auf dem Trainingsgelände gezeigt.

 

Vor sieben Jahren wird die Ernährungswissenschaftlerin Heike Backes aus Schramberg mit der Diagnose Diabetes Typ 1 konfrontiert. Bei dieser Erkrankung werden die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Die Folge ist ein Mangel an Insulin, das man nun ständig von außen zuführen muss, um zu überleben. Das Hormon senkt den Blutzuckerspiegel. Eine Unterzuckerung ist die häufigste Nebenwirkung bei der Behandlung. Ein normaler Wert liegt bei 80 bis 120 mg/dl. Sinkt der Spiegel auf einen Wert unter 40, etwa infolge großer körperlicher Belastungen, wird es für Diabetiker gefährlich. Es kommt zu Zittern, innerer Unruhe, Kaltschweißigkeit, Herzklopfen, Verwirrtheit, Sehstörungen. Wird nicht rechtzeitig gegengesteuert, folgen Atemnot, Kreislaufstörungen und Bewusstlosigkeit. Die Fähigkeit von Pepper und ihrer Freundin Romi – Heike Backes hat zwei Collies – kann lebensrettend sein. Sie erkennen die Gefahr am Körpergeruch.

„Die Nase eines Hundes fasziniert mich“, sagt Uwe Friedrich. Der 48-Jährige weiß, wie Hunde ticken. Sein Opa war Diensthundeführer beim Militär, der Vater bildete Jagdhunde aus, er selbst war jahrelang Hundeführer beim Polizeipräsidium in Stuttgart, hat dort Drogen- und Sprengstoffspürhunde angeleitet. Vor 15 Jahren machte er sich selbstständig. Er schult jetzt Vierbeiner zu Spezialisten im Erkennen von Schimmelsporen und Bettwanzen, macht Familienhunde zu Lungenkrebs-Diagnostikern, hat den ersten Kardio-Warnhund für ein schwer herzkrankes Kind ausgebildet. Und er hat Romi und Pepper zu Diabeteshunden für Heike Backes trainiert.

Ernstfall im Urlaub

Den ersten Ernstfall erlebt sie im Kärntenurlaub vor zwei Jahren. Sie hat damals keinen Stress, doch trotz normaler Dosierung wirkt das Insulin stärker als sonst. Sie will gerade aufstehen, sitzt noch auf dem Bett, da kommt Romi zu ihr und kratzt an ihrem Bein. Heike Backes misst zur Kontrolle ihren Blutzuckerspiegel, und tatsächlich liegt der Wert bei 60. Für sie ist es entscheidend, dass ihr Hund sie frühzeitig warnt. Fällt der Blutzucker zu schnell in den Keller, könnte es zum Handeln bereits zu spät sein. So ging es dem Hoffenheimer Fußballprofi Boris Vukcevic im September 2012. Ein Fall, der Schlagzeilen machte. Der damals 22-jährige Diabetiker verursachte damals infolge einer Unterzuckerung einen Autounfall, erlitt schwere Kopfverletzungen und schwebte lange in Lebensgefahr. Nach sieben Wochen im Koma wachte er wieder auf.

Heike Backes erfährt 2011, dass es Diabeteshunde gibt. In doppelter Hinsicht ein Glücksfall für sie. „Ich lebte allein mit zwei Katzen. Da ich aber schon immer gerne einen Hund gehabt hätte, kam mir der Gedanke, mir einen speziell für diesen Zweck zuzulegen.“ Heike Backes kauft im März 2011 einen Welpen beim Züchter. Die Langhaar-Collie-Hündin in Tricolor nennt sie Romance in Black, kurz Romi. Rasch sind die beiden unzertrennlich. Im Alter von drei Monaten drückt der kleine Hund mit seinem Frauchen die Hundeschulbank, nach einem weiteren Vierteljahr beginnen die ersten „Schnüffeleien“ bei Uwe Friedrich.

Dieser ist zunächst skeptisch, ob es mit Romi etwas wird. „Nicht jeder Hund eignet sich.“ Ob einer das Zeug zum Diabeteshund hat, ist nicht allein vom Geruchssinn abhängig. Wichtig ist, dass sich ein Hund im Alltag nicht ablenken lässt. Doch Romi ist anfangs recht unkonzentriert, bellt viel. „Ihre Motivationsfähigkeit war auch nicht gerade die allerbeste“, sagt der Trainer. Doch Heike Backes gibt nicht auf, beharrlich arbeitet sie mit dem Collie weiter. Dann stellen sich Erfolge ein. Als Romi 15 Monate alt ist, kratzt sie das erste Mal. „Mit Romi hätte es nicht jeder Hundehalter geschafft“, sagt Friedrich anerkennend.

Pepper kommt als Welpe ins Haus

Dann kam Pepper. „Es macht einfach mehr Spaß mit zwei Hunden als mit einem Hund“, sagt Heike Backes, die Pepper wie Romi schon im Welpenalter von neun Monaten bekam. „Zuerst hatte Romi Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass da noch ein kleiner Hund ist“, sagt Heike Backes. Doch wie in jeder guten Familie raufte man sich zusammen. Romi sieht aus wie der berühmteste Hund der Welt – Lassie.

Welcher Hund sich als Diabeteshund eigne, lasse sich nur im Einzelfall beurteilen, verschiedene Faktoren, etwa die sozialen Eigenschaften, spielten dabei eine Rolle, sagt Uwe Friedrich. Gut geeignet seien oft Retrieverrassen, aber auch Mischlinge kämen in Frage. „Es muss ein cooler, nervenstarker Hund sein, der sich im Alltag von äußeren Reizen nicht beeindrucken lässt.“ Bei seinem Training benutzt Friedrich sechs Plastikdöschen. In einem dieser Behälter befindet sich der Geruchsträger, auf den der Hund reagieren soll. Die anderen Döschen sind Dummys. Wenn die Ausbildung abgeschlossen ist, sind die Absolventen in der Lage, das richtige Döschen zu erriechen.

Hunde sind Nasentiere, sogenannte Makrosmatiker. Große Hunde haben mehr als 220 Millionen Riechzellen – 40-mal so viel wie der Mensch. Da ihre Nasenschleimhaut viel verästelter ist, kann der Hund eine Million Mal besser riechen als der Mensch. Die Schleimhäute der beiden Nasenlöcher gleichen getrennt voneinander Gerüche ab, die im Riechzentrum dann auch separat verarbeitet werden. „Der Hund riecht stereo“, sagt Uwe Friedrich. Während bei Menschen nur ein Prozent der Gehirnrinde für das Riechen eingesetzt wird, sind es bei einem Hund zehn Prozent.

Ein biologisches Wunderwerk

Das biologische Wunderwerk Hundenase könnte zu einem medizinischen Zukunftsthema werden. So spielt sie heute auch schon in der Krebsdiagnostik eine Rolle. Vor einigen Jahren ist der Arzt Rainer Ehmann in der Bibliothek der Lungenfachklinik Davos auf einen mehr als hundert Jahre alten Aufsatz eines Mediziners gestoßen. Dessen Hund unterschied Patienten offenbar bereits im Sprechzimmer – dass Ärzte damals ihre Hunde mit in die Klinik nahmen, war keine Seltenheit. Ehmanns Entdeckung wird zum Ausgangspunkt einer Doktorarbeit an der Uni Tübingen. Für die Studie sammeln die Forscher Atemproben von 220 Probanden, darunter Lungenkrebspatienten, gesunde Personen und Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Die vier Hunde (zwei Schäferhündinnen, ein Labrador, ein Australian Shepherd), die für die Tests trainiert werden, erkennen mit einer Trefferquote von 72 Prozent die Proben der Lungenkrebskranken. Das bestätigt die Annahme, dass Lungenkrebs spezielle organische Verbindungen produziert, die durch die Atemluft abgegeben werden.

Im Lauf der Studie erkennen die Hunde gleichermaßen Proben von Patienten, deren Tumore sich noch in einem früheren Stadium befinden, als auch solche von Personen, bei denen die Erkrankung bereits weiter fortgeschritten ist. „Dieses Ergebnis ist für uns besonders interessant, denn eine frühe Diagnose ist sehr wichtig für eine erfolgreiche Therapie des Lungenkarzinoms“, sagt Professor Godehard Friedel, der Chefarzt der Abteilung für Thoraxchirurgie an der Klinik Schillerhöhe.

Heike Backes’ Vertrauen in die Collies ist riesengroß. „Die Quote von Romi und Pepper liegt bei 100 Prozent“, sagt sie. Gleichwohl warnt Uwe Friedrich davor, blind auf den Diabeteshund zu vertrauen. „Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Der Diabetiker muss mit seiner Krankheit umgehen können. Der Hund sollte eine zusätzliche Sicherheit sein, nicht die ganze Verantwortung allein tragen.“

Ohne die Hunde geht es nicht mehr

Heute gibt es auch technische Möglichkeiten zur dauerhaften Zuckermessung, sogenannte CGM-Geräte. Dabei misst ein im Unterhautfettgewebe angebrachter Sensor kontinuierlich die Zuckerkonzentration im Gewebe und funkt die Daten an ein Empfangsgerät. Auf dem Display zeigt ein Pfeil, ob der Zucker steigt oder fällt. Wird ein kritischer Wert erreicht, piepst das Gerät. In der Regel lehnen die Krankenkassen bislang die Kostenübernahme für Glukosesensoren ab und sind lediglich bereit, für herkömmliche Blutzuckermessgeräte mit Lanzette und Teststreifen zu zahlen. Auch hat sich noch keine Kasse an den Unterhaltskosten für einen Diabeteshund beteiligt oder sein Training bezahlt.

Heike Backes misst regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel. Eine technische Überwachung allein kommt für sie aber nicht in Frage. Ohne Romi und Pepper geht es nicht mehr. Seit sie ihre Hunde hat, ist für sie auch ein Kindheitstraum wahr geworden. Die beiden Bodyguards mit der kalten Schnauze und der feinen Nase sind ihr Freunde fürs Leben geworden.