Herr Ceylan, Ihr Buch „Ankommen“ steht auf Platz vier der „Spiegel“-Bestsellerliste. Welchen Nerv haben Sie mit Ihrer sehr persönlichen Biografie getroffen?
Ich glaube, ich habe verschiedene Nerven getroffen. Mit dem Thema Mobbing, mit dem Thema Glaube und nicht zu vergessen mit dem Thema Liebe. Es sind verschiedene Themen drin, die den ein oder anderen motiviert haben, neu über das eigene Leben nachzudenken. Ich denke, ich konnte viele damit abholen, indem ich gezeigt habe, dass ich in meinem Leben auch schwere Zeiten hatte.
Sie schildern Ihre Erfahrungen mit Mobbing und Rassismus. „Du Türk“ nannte man Sie früher abfällig in der Schule. Was würden Sie Ihrem Kind sagen, wenn es so etwas erleben würde?
Ich würde natürlich ganz klar sagen, dass es Menschen gibt, bei denen es schwer ist, sie mit Argumenten zu überzeugen. Oft ist es besser, auf Abstand zu gehen und das zu ignorieren. Ich rede jetzt schon mit meinem Sohn, der noch im Grundschulalter ist, über solche Dinge, aber noch nicht so intensiv. Wir haben sehr auf die Wahl der Schule geachtet. Das ist natürlich trotzdem keine Garantie. Es gibt oft Rassisten unter denjenigen, die eigentlich gebildet genug sind, um es besser zu wissen.
Sie haben sich damals Ihren Eltern nicht anvertraut. Warum nicht?
Weil ich mich geschämt habe und ich nicht als Muttersöhnchen gelten wollte. Das ist ja auch das, was ich den Leuten jetzt zeigen möchte: Wenn ihr Mobbingopfer seid oder diskriminiert werdet, ruft Hilfe. Das werdet ihr nicht alleine schaffen.
Stattdessen haben Sie sich Billy genannt, weil der Name Bülent so „undeutsch“ klang. Haben Sie Ihre Herkunft ein Stück weit verleugnet?
Ja, ich habe meine Herkunft natürlich verleugnet oder verdrängt. Ich hatte als Teenager eine Identifikationskrise. So schön es ist, eine Mischung aus verschiedenen Kulturen zu sein, so schwer war das für mich. Warum sehe ich so anders aus? Warum habe ich keinen deutschen Namen?
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Ihr türkischer Vater war das, was man früher einen Gastarbeiter nannte. Wie erging es ihm Ende der fünfziger Jahre in Deutschland?
Mein Vater hatte es gewiss nicht leicht. Er konnte kein Deutsch, es gab keine Abendsprachschule, keine Integrationskurse. Er musste schauen, dass er Geld verdient, er war Betonmischerfahrer. Er hat sich sehr schnell integriert, war im Skat- und im Kegelverein. Er wollte dazugehören. Sein Aussehen hat ihm das erleichtert. Er hatte blaue Augen und helle Haut. Damals war er einfach der „Türke“, aber er hat dazugehört. Manche haben zu ihm gesagt: „Du bist doch Deutscher, Turan, du bist doch kein Türke!“
Dann hat er eine Art freundlich-versteckte Form des Rassismus erlebt?
Ja, genau. Das ging mir auch oft so. „Mensch, Bülent, du bist doch kein Türke, du bist doch Deutscher!“ – das nervt ziemlich.
Vom Außenseiter-Jungen aus der türkisch-deutschen Patchworkfamilie zu einem der bekanntesten Comedy-Stars in Deutschland – welchen Einfluss hatte Ihre Herkunft?
Mein Multikulti-Hintergrund hat sicherlich zu meinem Erfolg beigetragen. Aber am Anfang war es eher hinderlich, weil es hieß „Wir haben doch schon einen Türken“, das war zu dem Zeitpunkt Kaya Yanar, er hatte quasi die Multikulti-Schublade schon besetzt. Aber auch meine ganz persönliche Familiengeschichte hat mich stark geprägt. Ich habe gelernt durchzuhalten, wegen des Mobbings, wegen der Existenzsorgen, die wir hatten, als mein Vater bankrott war. Ich habe ja trotzdem lernen und Abitur machen müssen, obwohl zu Hause kein Stein mehr auf dem anderen stand. Manchmal weiß ich selbst nicht, wie ich das geschafft habe.
Denken Sie inzwischen beim Witzeschreiben zweimal nach, ob das rassistisch, frauenfeindlich oder diskriminierend sein könnte?
Die Genderdebatte beeinflusst mich natürlich. Was ist politisch korrekt und was nicht, diese Frage schwingt heute stärker mit als früher. Natürlich gibt es Wörter, die gingen noch nie, wie etwa das N-Wort. Aber nehmen wir das Beispiel Zigeuner. Ich hatte entsprechende Zuschauer in meiner Show und habe sie gefragt: „Hey, wie soll ich denn jetzt eigentlich richtig sagen?“ Und sie sagten: „Na ja, Zigeuner!“ Es ist manchmal komisch, wie wenig Probleme die Gemeinten mit einer vermeintlich diskriminierenden Bezeichnung haben. Das ist fast schon unfreiwillige Comedy.
Aber wenn man an die Black-Live-Matters-Bewegung denkt, weiß man, dass es eine hohe Sensibilität seitens der Betroffenen gibt.
Ja, das ist richtig, deswegen gerate ich hin und wieder ins Schleudern und überlege mir es mehrmals, ob ich das jetzt so sagen kann. Oft konfrontiere ich mein Publikum damit und frage einfach, was ich sagen kann und was nicht.
Wie gehen Sie als Künstler mit Existenzängsten um, gab es immer einen Plan B?
Ich habe Philosophie und Politik studiert, und das auch so lange, bis ich gemerkt habe, jetzt zündet es mit der Karriere. In der Philosophie bin ich aufgegangen, und ich habe immer die Möglichkeit gesehen, eventuell Dozent an der Uni zu werden. Ich war gut darin. Mein Vater hat immer gesagt: „Geld regiert die Welt“, im Sinne von: Ohne genügend Geld ist das Leben mühsam. Aber ich wusste auch, dass ich das machen muss, was mir Spaß macht. In mir war immer etwas, das auf die Bühne wollte.
Das Gespräch führte Simone Höhn.
Deutsch-türkischer Comedy-Star
Person
Bülent Ceylan wurde 1976 als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters († 2012) in Mannheim geboren. Er wuchs mit vier Halbgeschwistern in einfachen Verhältnissen im Stadtteil Waldhof auf. Nach dem Abitur studierte er Politik und Philosophie. 2002 startete sein erfolgreiches Programm „Döner for one“, mit dem er seinen Durchbruch hatte.
Buch
Bülent Ceylan, Astrid Herbold: „Ankommen. Aber wo war ich eigentlich?“, Fischer-Verlag, 18 Euro