Die Comic Con zieht Tausende auf die Messe. Die zweitägige Veranstaltung ist dank des Publikums auch eine sehr spezielle Show. Manche Verkleidung kostet 1000 Euro.

Stuttgart - Für viele beginnt diese Messe nicht erst in den Hallen auf den Fildern, und auch nicht an einem der beiden Messetage. Schon am Vortag haben sich die jungen Leute aus Erfurt in Stuttgart einquartiert, wie auch die Hamburger Bibliothekarinnen, die nun morgens zeitig in der S-Bahn unterwegs sind. Als Shego und Minerva etwa, täuschend ähnlich den entsprechenden Figuren aus „Kim Possible“ und „Harry Potter“. Die Erfurter Fraktion wiederum ist diversen Manga-Animes und dem Killerspiel „Dead by Daylight“ entstiegen. Einen „Tribut an unsere Lieblingsheldinnen und Helden“ nennt das Nina von der Waterkant.

 

Die Anfahrt wird also zum Messe-Vorspiel, womit schon mal klar ist: Zur Comic Con, einst als reine Comic-Messe gestartet, geht man nicht nur zum Bummeln, Shoppen, Stöbern. Nein, hier ist Cosplay angesagt, die persönliche Performance in möglichst originalgetreu nachgemachten Kostümen von Film- und Fantasy- oder animierten Manga- und Comic-Serienhelden, zum Großteil aus der schwer überblickbar gewordenen Welt der Streaming-Plattformen. Die Welt der Kids also, die seit bald einer Generation nicht mehr fernsieht, sondern streamt. Und in den zwei Tagen auf den Fildern springt diese digitale Fiction über in eine lebensgroße, analoge Welt von scheinbar unendlicher Vielfalt. „Stuttgart ist da das große Ding“, versichern auf dem Weg zur Coronakontrolle nicht nur die drei Ladys aus Prag, das betont auch Corinne aus Luzern. Als Harley Quinn taucht die 21-jährige Wirtschaftsstudentin ein in die Batman-Welt und freut sich „auf die unglaublich vielen Leute, die heute auch so etwas machen“. Dann raspelt sie mit der Becker-Faust durch die Luft und ruft sehr vernehmlich: „Yes, ich habe unglaublich gute Laune!“

Das Publikum ist auch Akteur

Diese gelöste Atmosphäre findet sich auch in den Hallen, wo in den Ausstellergassen ein Gedränge herrscht, als sei Corona eine Erinnerung von vorgestern. Das Besondere: Hier wandelt das Publikum nicht einfach von Anbieter zu Anbieter, sondern ist zu einem erheblichen Teil selbst Akteur, macht die Messe damit zu einer großen Szenerie voller Parallelbühnen – und die Aussteller nebenbei quasi zur Kulisse. Wie ein großes, sich ständig wandelndes Schauspiel, aus lauter Parallelwelten, simultan durch die Hallen strömend.

Wer als Außenstehender versuchen wollte, nicht nur Einzelheiten zu fassen, sondern sich insgesamt einen Reim darauf zu machen, weiß schnell nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Abgesehen davon, dass die Spiel- und Verkleidungslust hier offensichtlich sonst verborgene Parallelwelten in eminenter Vielfalt zur fröhlich gestimmten Community zusammenführt. Aber das geht selbst dem Mittdreißiger so, der selbst viele Jahre Teil der Szene war: „Ich erkenne vielleicht noch zehn Prozent der Figuren, der Rest ist für mich völlig neu“, sagt er. Ursächlich sei „der Boom der digitalen Plattformen, aus denen sich jeder seine eigene Welt bauen kann“. Und die hier sei „sehr bunt und kreativ und will nichts Böses“. Auch seine Frau hat beste Laune: „Wenn ich all die Mädels in den knappen Kostümchen sehe, bin ich froh, dass ich das hinter mir habe und mich jetzt warm anziehen kann.“

1000 Euro für den Auftritt

Da ist zum Beispiel Isabelle, eine 22-jährige Stuttgarterin mit einer „Passion für Hochzeitskleider“, die fast 1000 Euro ausgegeben hat. Als Emma aus dem düsteren Waisenkinder-Manga „The promised Neverland“ wandelt sie durch die Halle. Vergleichsweise günstig ist dagegen Kevins oberkörperfreies Outfit als Puma D. ACE. Kommunikativ gestimmt ist eine verkleidete Kölnerin. Sie erkennt eine Figur aus dem Spiel „Overwatch“: Ashe, die Gang-Leaderin, die schon weiß, was mit Bösewichten im Jahr 2077 passieren wird. Fotos, Social-Media-Kontakt – und schon ist der Bund zwischen Niederrhein und Ostalb geschlossen. So gehe das dauernd. „Man knüpft Kontakte und sieht sich auch sonst. Oder spätestens das nächste Mal in Stuttgart.“

Es ist aber auch eine ganz normale Messe, mit einschlägigen Produkten für Spielenachschub und Fan-Produkte, vom „Konsolen-Dealer“ bis zum Manga-Spezialisten. Der Mittelaltermarkt hat eine eigene Bühne. Es gibt Live-Auftritte von fast 20 Darstellern. Autogramme bekommt man für 35 Euro aufwärts. Für Comic-Fans sind große und kleine Verlage präsent, Zeichner lassen sich beim Arbeiten über die Schulter schauen. In der Sammlerecke schließlich schlägt die Comic Con den Bogen zu ihren Anfängen: mit „haufenweise Kilopreise“. Das Kilo für zehn Euro. Auch hier ist der Andrang gewaltig.