Mit der 1980 gestarteten, 1991 vollendeten Graphic Novel „Maus“ hat der Amerikaner Art Spiegelman mutig ein Tabu gebrochen. Er hat eine Bildgeschichte über den Holocaust erzählt – mit Tieren in der Rolle von Menschen. Heraus kam ein moderner Klassiker.

New York - Man überlebt den Holocaust vielleicht, aber man entkommt ihm nicht. Die Todeslager überschatten nicht nur das innere Leben der Entronnenen, sie verändern auch die Beziehungen zu anderen Menschen, selbst zu den eigenen Kindern. Auch der am 15. Februar 1948 geborene Art Spiegelman ist in einer Familie aufgewachsen, in der die große Katastrophe der Zivilisation im 20. Jahrhundert mehr oder weniger still immer mit am Tisch saß. Nach dem Selbstmord seiner Mutter bedrängte er den aus Polen stammenden Vater, endlich zu erzählen, was einst alles geschehen war – mit dem klaren Unterton: bevor das alles ungesagt ins Grab sinken würde. Vater Spiegelman hatte da bereits zwei Herzinfarkte hinter sich.

 

Dass Art Spiegelman den Bericht des Vaters nicht einfach in sich hineinfressen würde, war da schon klar. Und vielleicht wären ein Roman oder ein Drehbuchüber die Leiden von Hannah und Vladek Spiegelman jenseits einer mehr oder weniger starken selbsttherapeutischen Wirkung für den Verfasser pietätvoll leise untergegangen in den Massen der Buch- und Filmproduktionen. Aber Spiegelman ist Zeichner, und seine Holocaust-Erzählung wurde deshalb ein Comic. Mehr noch, es wurde ein Comic in der Tradition jener meist ja witzigen Bilderwelten, in denen putzige Tierchen so leben wie Menschen. In „Maus“, wie das Projekt dann hieß, übernahmen tatsächlich Katzen und Mäuse die Rollen der Nazis und ihrer jüdischen Opfer. Mehr Tabubruch ging kaum.

Im Schutz von New York

Aber vielleicht war es wirklich wichtig, dass „Maus“ in New York entstand und ab 1980 in Fortsetzungen in Spiegelmans unterfinanziertem Alternativcomic-Magazin „Raw“ erschien. Wer weiß, wie vehement anderswo eine Empörungsfraktion das Ende des vermeintlich frevlerischen und die Toten verhöhnenden Projekts gefordert hätte. Aber in New York profilierte sich damals wie heute ein wichtiges Magazin der gebildeten Kreise, der „New Yorker“, gerade auch über seine Cartoons, über die Frische, mit der verfremdende Zeichnungen einem Welten, Menschen, Launen und Ideologien erklären konnten. Und in New York hatte man auch schon begriffen, dass jemand wie Will Eisner mit seinen gezeichneten Großstadtgeschichten in schwarz-weiß aktuelle Weltliteratur lieferte. Und so fand „Maus“ auch Fürsprecher.

Bis 1991 arbeitete Spiegelman an der in zwei Bänden in die Buchhandlung kommenden Graphic Novel. Er hat mit ihr viel verändert, hat den Massenmord aus Ritualen des Gedenkens und Mahnens herausgerissen und eben nicht banalisiert. „Maus“ ist ganz und gar herzzerreißend. Es ist auch ein großer Beweis für die thematische Unbegrenztheit und große Differenziertheit von Comics. Seit „Maus“ kann nun wirklich niemand halbwegs Informierter mehr glauben, Bildergeschichten seien Fastfood.

Dass alle folgenden Arbeiten Spiegelmans dann im Schatten von „Maus“ standen, dass er keine zweite derart wichtige Geschichte hinbekam: das ist auch sehr rührend. „Maus“, diese große Gedenkstätte für die Toten und Überlebenden, steht nicht eingequetscht zwischen anderem.

Info: Auf Deutsch ist „Maus“ von Art Spiegelman beim Fischer-Verlag, Frankfurt a. M., in einer Gesamtausgabe erschienen. 300 Seiten, 14,95 Euro.