Der US-amerikanische Comiczeichner Craig Thompson erzählt in seinem neuen Werk „Weltraumkrümel“ eine Science-Fiction-Abenteuergeschichte. An diesem Dienstag ist er in Stuttgart zu Gast.

Stuttgart - Zum Helden geboren ist dieses Kerlchen wahrlich nicht. Elliot ist zwar hochintelligent, führt Traumtagebuch und dokumentiert gerne mit feinsinnigen Kommentaren seine Belesenheit. Aber sobald es ein bisschen brenzlig wird, fällt er in Ohnmacht. Ausgerechnet auf ihn aber wartet ein Trip, der ihn in die Endlosigkeit des Weltalls führt – und das, obwohl Elliot zu allem Überfluss auch noch ein Hühnchen ist.

 

Die putzige Fantasiefigur ist einer der zentralen Protagonisten aus Craig Thompsons jüngster Graphic Novel „Weltraumkrümel“, und sie beweist, dass es nicht strahlende Heroen braucht, um eine Abenteuergeschichte zu erzählen. „Ich mag Storys, an deren Ende die Underdogs gewinnen“, sagt Thompson. Superhelden würden ihn dagegen eher langweilen. Wer bangt auch schon um Typen, die über so außergewöhnliche Kräfte verfügen, dass sie sich spielend aus jeder noch so heiklen Situation befreien können? Dann lieber ein übersensibles Hühnchen, das allerlei schlaue Sentenzen im Kopf hat.

Thompsons jüngstes Werk beweist erneut, dass er keiner ist, der es sich allzu leicht machen würde – nicht sich und auch nicht seinem Publikum. Anstatt bei Altbewährtem zu verharren verlangt der Vierzigjährige seinen Lesern immer wieder die Bereitschaft ab, ihm auf unerwarteten Pfaden zu folgen. International bekannt wurde Thompson im Jahr 2003, als er die autobiografisch angelegte Graphic Novel „Blankets“ veröffentlichte, in der er fast schon verstörend intime Einblicke in seine schwierige Jugend in der amerikanischen Provinz gewährte. 2011 erschien „Habibi“, ein fast 700 Seiten umfassender Wälzer, in dem es um Liebe, den Orient und sexuelle Gewalt ging; zugleich war das Buch eine Verbeugung vor der islamischen Kalligrafie, was im Ganzen nicht unbedingt auf den Autor von „Blankets“ schließen ließ. Und nun wieder etwas völlig Anderes: „Weltraumkrümel“, ein buntes Science-Fiction-Abenteuer, das sich vorwiegend an jüngere Leser richtet.

Die Geschichte spielt nicht gerade im Kinderparadies

Nachdem er „Habibi“ abgeschlossen hatte – ein ambitioniertes Projekt, das sehr viel Recherche erforderte –, habe er ein verspielteres Buch angehen wollen, erzählt Thompson. Dieses Vorhaben habe sich dann rasch zu dem Plan entwickelt, eine Geschichte zu erzählen, die auch jüngere Leser anspricht. Zugleich wurde dieses Unterfangen für ihn zu einer Reise in die eigene Vergangenheit: zurück zu den Geschichten, die er als Zehnjähriger verschlungen hatte.

Die Welt von „Weltraumkrümel“ ist trotzdem nicht gerade ein Kinderparadies. Der Comic erzählt von einem Mädchen namens Violet, das mit ihren Eltern in einem tristen Trailerpark irgendwo im All lebt. Violets Vater ist eine Art Erntearbeiter, dessen Job schlecht bezahlt, aber dafür umso gefährlicher ist, die Mutter schuftet in einer Fabrik. Die Handlung führt so, auch wenn sie im Reich des Fantastischen spielt, in die allzu reale Welt der Leute, die trotz harter Arbeit kaum mit ihrem Lohn über die Runden kommen – in das Milieu also, das man im Amerikanischen bisweilen verächtlich als „White Trash“ bezeichnet.

Das Mädchen mit dem lila Haar

Er habe Motive aus Geschichten, die ihn als Kind fesselten, mit Themen verbunden, über die er als Erwachsener nachdenke, sagt Thompson. Dass gesellschaftliche Probleme wie die Zerstörung der Umwelt oder die Existenz unterschiedlicher sozialer Klasse in „Weltraumkrümel“ eine Rolle spielen, habe sich aus dieser Konstellation ergeben und sei nicht pädagogisch oder moralisch motiviert. „Allerdings glaube ich, dass das Problem sozialer Ausgrenzung für Kinder noch wichtiger ist als für Erwachsene“, sagt er. Denn gerade Kinder seien für derartige Erfahrungen sehr sensibel.

Trotz ihres sozialen Hintergrunds ist Violet aber keineswegs ein Trauerkloß. Abenteuerlustig kämpft sich das aufgeweckte Mädchen mit dem lila Haar durch den Plot: Als ihr Vater eines Tages von seinem gefährlichen Tagwerk nicht nach Hause zurückkommt, macht sich Violet gemeinsam mit zwei schrägen Freunden – Zacchäus, einem Alien, dessen Heimatplanet Lumpapalooza zerstört wurde, und besagtem Elliot – auf die gefährliche Suche nach dem im Weltall Verschollenen.

In der Schule ein Außenseiter

Strahlende Superhelden sind diese Drei nun wirklich nicht. Die Sympathie für Außenseiter zeichnete indes auch Thompsons frühere Arbeiten aus, was angesichts seiner Biografie kaum verwundert. Thompson wuchs in einer christlich-fundamentalistischen Familie auf, viel Wärme von Seiten seiner Eltern erfuhr er als Heranwachsender nicht. „Blankets“ erzählte davon, wie er als Teenager in der Schule selbst zu den Außenseitern zählte, wie er sich dann zum ersten Mal verliebte und schließlich von den rigiden religiösen Werten seines Elternhauses emanzipierte.

Sein persönlicher Hintergrund erklärt zudem, warum für Thompson das Thema Familie auch in dem neuen Buch eine exponierte Rolle spielt. Dieses Motiv ziehe sich durch alle seine Arbeiten, sagt er: „Am ehesten wohl im Sinne einer langen Reise, in der es darum geht, eine Familie zu finden.“ Für ihn war diese Reise ein schmerzvoller Prozess. „Blankets“ brachte ihn zwar seinen Geschwistern näher, weil er während der Arbeit an dem Buch mit diesen viele Gespräche über die gemeinsame Kindheit führte. Mit seinen Eltern kam es durch die Veröffentlichung dagegen zum Bruch, erst Jahre später besserte sich das Verhältnis.

Inspiriert wurde Thompson von einer befreundeten Familie

Als Inspiration für die Familie in „Weltraumkrümel“ diente Thompson, der selbst keine Kinder hat, allerdings nicht das eigene Elternhaus, sondern ein befreundetes Paar und deren kleine Tochter Violet. „Die Drei repräsentieren das Ideal einer Familie für mich und haben meinen Glauben an diese Institution wiederhergestellt“, sagt Thompson.

Ein ähnlich harmonisches Bild würde auch die Familie der fiktiven Violet bieten – wären da nicht die Gefahren, die in den Weiten der Galaxie lauern, und eben die chronischen Geldprobleme der Eltern. Obgleich letzteres die reale Lage zahlloser Familien in den USA widerspiegelt, will sich Thompson nicht als besonders politischen Menschen bezeichnen, auch wenn er, wie er sagt, zumindest in dem Maße an Politik interessiert sei, dass er auf keinen Fall einen wie Donald Trump als Präsidenten erleben möchte. „Aber ich glaube nicht daran, dass die Politik wirklich in der Lage ist, etwas zu bewegen“, sagt er. Vielmehr käme es auf das Handeln jedes Einzelnen an. Zumal Superhelden in der realen Welt noch viel seltener anzutreffen sind als in Comic-Geschichten.