Die Gaston-Figur ist ein Klassiker der Komik. Nun erscheinen all seine Pleiten in einer Prachtausgabe. Erfunden wurde Gaston von André Franquin, einem der stilprägendsten Comic-Zeichner Europas.

Stuttgart - Irgendwann ist es dann so weit: ein Angestellter in der Friedhofsverwaltung sieht, dass unsere Liegezeit abgelaufen ist, freut sich über das für Nachrücker frei werdende Plätzchen und lässt unseren Grabstein in die Schotterherstellungsablage abtransportieren. Die Ewigkeit mag für einige von uns noch ewige Geborgenheit in  himmlischen Sphären bedeuten. Aber über unser irdisches Angedenken sollten wir uns alle keinen Illusionen hingeben. Wir sind so schnell vergessen wie, äh, Moment, wie . . . nun, eben wie all das, was uns erst gar nicht mehr einfällt.

 

Angesichts solch trüber Aussichten darf man schon einmal darüber nachdenken, welche Karriereentscheidungen uns wenigstens für ein paar Jahrzehnte der Nachwelt im Gedächtnis bleiben lassen. Ist Bundeskanzlerin die richtige Wahl? Filmstar, Dynamiterfinder, Dopingsünder? Gewisse Chancen hat man da gewiss. Aber man sollte einen weniger klatschspaltennotorischen Beruf nicht übersehen: den des Büroboten.

Nichts anderes nämlich war Gaston, ein schluffiger Bloß-keinen-Stress-machen-Typ, der 1957 beim belgischen Verlag Dupuis seinen Dienst aufnahm. Seinen Kollegen ging er durch Faulheit, Pflichtvergessenheit und Schusselei auf den Senkel. Aber der Rest der Menschheit, zumindest jener glückliche Teil, der Comics liest, erfreut sich bis heute an seinen Aussetzern, Fehlschlägen, Murkserfindungen und Streitereien mit Kollegen.

Gaston ist keine Leuchte und treibt Unfug

Gastons stets nur wenige Bilder umfassende Abenteuer, die der Comic-Künstler André Franquin (1924–1997) zu Papier brachte, waren auch in Deutschland stets präsent. Aber mit den Jahren wächst die Verehrung. Gerade hat der Carlsen Verlag die bislang prächtigste Gaston-Sammlung herausgebracht, fünf Hardcover im Schuber, alle Gaston-Strips nebst anregenden Vor- und Nachworten und allerlei Zusatzmaterial.

Allerdings ist Gaston, der hierzulande zunächst unter dem Namen Jo-Jo in den „Fix und Foxi“-Heften auftauchte, keine Leuchte. Will heißen, alles, was er anstellt, ist Unfug im begrenzten Zirkel. Die Faszinationskraft von Gaston liegt nur sehr bedingt in dem, was er tut, und sehr viel mehr in dem, was er nicht tut. Gaston ist ein Verweigerer, einer, der nicht Tritt fasst in der Leistungsgesellschaft, sich ihr aber auch nicht entziehen mag. Gaston bleibt im Redaktionsbüro, eine fleischgewordene Dauermahnung, dass die Arbeit nicht den Wert des Menschen definieren sollte.

Wenn man genauer hinsieht, bleibt Gaston nicht nur, er okkupiert das Büro, er drängt sich ihm auf. In den ersten Strips weiß keiner seiner Kollegen, wer der Kerl ist, wo er herkommt, wer ihn hereingelassen hat, was er hier soll. Gaston gehört dazu, weil er behauptet dazuzugehören. Irgendein Typ, er will vergessen haben, wer, wann und wo, habe ihm gesagt, er solle hier anfangen. Auch wenn ihm keiner glauben mag: Gaston geht nicht mehr weg. Er ist eine schicksalhafte Heimsuchung der Effizienzwirtschaft durch den Geist des Gemütlichkeitsbedürfnisses.

Vom vordigitalen Arbeiten mit Schreibmaschinen

Die Redakteure um ihn her – anfangs sind das die Herren Spirou und Fantasio, deren damalige Abenteuer Franquin ebenfalls zeichnete und die er hier bei ihrem Alltagsjob zwischen den Expeditionen ins Ungeheuerliche zeigt – ärgern sich über ihn oder behandeln ihn als hochmobilen Pflegefall. Sich selbst begreifen sie als gehetzte Leistungsträger, wie ihre Nachfolger auch, die in den deutschen Übersetzungen Demel, Bruchmüller und Bolte heißen.

In unseren heutigen Augen aber hat auch ihr vordigitales Arbeiten mit Schreibmaschinen, Durchschlagpapier, Tintenfässern und Klebebändern etwas Urgemütliches, Handfestes, Selbstbewusstes. Das Prekäre eines auf Klickzahlen angewiesenen Sendens hinaus in die virtuelle Unfassbarkeit ist ihnen fremd. Sie sind sich ihres Sinns und Publikums noch gewiss.

Bei allem Spaß aber spürt man die dunkle Seite des Strips. Der begnadete Zeichner Franquin wurde von Zweifeln und Depressionen gequält. In Gaston offenbarte er sein Selbstbild als Außenseiter. So stabil wie sein Held, für den er 1968 Spirou und Fantasio aufgab, was Gaston prompt zu neuen Höhen führte, war er jedoch nicht. Über Monate und Jahre verdüsterte sich seine Seele so, dass er keinen einzigen Gaston-Gag zu Ende bekam. Und doch ist er bis zu seinem Tod immer wieder in die Redaktionswelt zurückgekehrt. Denn das ist die wichtigste Botschaft, die der an allem scheiternde Bürobote zu überbringen hat: man darf sich nie ganz entmutigen lassen.