In dem tragikomischen Band „Meine Beschneidung“ blickt der Syrer Riad Sattouf auf ein traumatisches Kindheitserlebnis zurück. Es geht ihm nicht um Pro oder Kontra, sondern um eine sehr persönliche Erfahrung. Deshalb ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte.

Stuttgart - Damals waren meine Cousins und ich cimmerische Krieger, denn wir hatten mindestens zehnmal ,Conan der Barbar‘ gesehen, den sich meine Eltern auf Video ausgeliehen hatten.“ So schreibt der 1978 geborene, in Syrien aufgewachsene und jetzt in Paris lebende Riad Sattouf in seinem Band „Meine Beschneidung“. Der Erzähler fährt in seiner Mischung aus Text und Comic fort: „Wir pinkelten oft draußen, Seite an Seite. Alles lief prima, bis man eines Tages meine Herkunft in Zweifel zog.“ Riads Penis, so stellen seine Spielkameraden fest, sehe aus „wie ein Rüssel“, der achtjährige Junge gerät deshalb in Verdacht, gar kein Cimmerier zu sein, sondern ein böser Israeli.

 

Die autobiografische Geschichte des Zeichners und Regisseurs Riad Sattouf ist 2008 in Frankreich und im Oktober 2010 in Deutschland herausgekommen, sie ist also nicht auf die aktuelle Debatte zu- oder in diese hineingeschrieben. Aber einen wichtigen Beitrag liefert Riad Sattoufs Buch trotzdem, gerade weil er keine Pro- oder Kontra-Argumente in Stellung bringt, also nicht „über“ die Beschneidung diskutiert, sondern sie sozusagen aus der Binnenperspektive zeigt, nämlich als individuelle Erfahrung eines Betroffenen.

Sattouf zeichnet ganz bewusst kindlich-naiv

„Du lässt dich beschneiden, das ist Tradition“, befiehlt ohne weitere Begründung der lieblos-autoritäre Vater, ein Universitätsprofessor. Dass dies für Riad eine prägende, ja, eine traumatische Erfahrung wird, daran lässt er als erwachsener Autor allerdings keinen Zweifel.

Im Erzähltext blickt Riad Sattouf zurück auf Vergangenes, in den ebenso reduzierten wie prägnanten Zeichnungen jedoch erlebt er als kleiner Junge bedrängende Gegenwart. Der erste Eindruck kann da täuschen, die in scheinbar naiv-netten Zeichnungen umgesetzte Kinderperspektive schiebt die Geschichte zwar ins Komische – und erinnert dabei an Mark Twains „Tom Sawyer“ –, aber das ist auch Tarnung für jene Ängste und Albträume, die in realistischem Stil für manchen Leser zu viel an Zumutung wären. Es geht ja auch so drastisch genug zu, wenn fünf Verwandte den Jungen festhalten und sich der Beschneider ans Werk macht: „Er legt das Tuch auf meine Beine. Er zückt das Rasiermesser und schneidet mir die Spitze ab! Ein enormer Blutstrahl schießt hervor und besudelt das weiße Tuch.“

Die Psyche ist angeschlagen

Dieses Ritual erscheint bei Riad Sattouf, auch wenn er sich dazu nicht explizit erklärt, weniger als religiöse Pflicht denn als männerbündische Tradition. Und es gehört wie selbstverständlich zu einem Umfeld, in dem Lehrer „haarsträubenden Unsinn über die Israelis“ erzählen und ihre Schüler mit Stöcken blutig schlagen, in dem auf öffentlichen Plätzen Gehängte ausgestellt sind, in dem der Vater eines Freundes im Gefängnis sitzt und in dem Kinder keine Fragen stellen können. „Die Erziehung, die uns unsere Eltern, die Schule, kurz, diese ganze traditionelle Gesellschaft angedeihen ließ, führte dazu, dass es uns schwerfiel, über unsere Gefühle zu sprechen“, so schreibt Sattouf, der mit seinen Sorgen vor der Beschneidung und mit seiner Pein danach allein bleibt.

„Man legte mir einen Verband an. Es tat höllisch weh, wenn ich pinkeln musste“, erinnert sich Riad Sattouf. Der Eingriff ist auch nicht gut gegangen, die Wunde will nicht heilen. „Wovor ich am meisten Angst hatte, war, dass mein Pimmel abfaulen und zu Staub zerfallen würde“, schreibt er. Irgendwann wird der Dorfarzt hinzugezogen („Hihi! Und wenn ich so schneide, schnipp, ist der Piephahn ab!“), die physischen Schmerzen vergehen dann auch langsam, die Psyche aber ist angeschlagen, Riad regrediert: „Mein Verhalten änderte sich. Ich wurde wieder etwas kindlicher, war gern alleine und spielte auf ganz einfache Art, ohne mir dabei Geschichten auszudenken.“

Riads Fall ist kein Einzelfall

Ein individueller Fall, wie gesagt, und außerdem passiert vor mehr als zwei Jahrzehnten in einem anderen Land. Trotzdem fällt es schwer, Riads Beschneidung als längst vergangenen Einzelfall abzutun. Die technischen Umstände des Eingriffs mögen in Deutschland heute anders sein, aber hat sich auch in den Köpfen jener etwas geändert, die ihn propagieren? Als Riad sich die zum Ritual versammelten Erwachsenen anschaut, stellt er fest: „Eine absolute Passivität, nicht die geringste Spur von Bereitschaft, irgendetwas infrage zu stellen.“

Den vom Vater versprochenen Plastikroboter hat Riad Sattouf übrigens nie bekommen. Dafür musste er erkennen, dass auch die Israelis beschnitten sind, dass man sie also gar nicht unterscheiden kann von den Cimmeriern.