Ohne Stan Lee fehlten der Welt einige ihrer schillerndsten Helden. Spider-Man, Iron-Man, Thor, Hulk und die X-Men zum Beispiel. Nun ist der Comicautor, der als Redakteur des Marvel-Verlags die Popkultur maßgeblich geprägt hat, im Alter von 95 Jahren gestorben.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Er ist ein rüstige Rentner in Sam Raimis erstem „Spider-Man“- Film, der ein verängstigtes Kind vor herabstürzenden Trümmern schützt, als sich irgendwo weit oben der Grüne Kobold und Spider-Man zwischen Wolkenkratzern spektakulär bekämpfen. Er ist ein Postbote in „Fantastic Four“, ein General in „Captain America“, wird in „Iron Man“ mit Playboy Hugh Hefner verwechselt, spielt in „Hulk“ einen Polizisten und in „Marvel’s The Avengers“ einen Passanten, der nicht glauben möchte, dass in Manhattan tatsächlich gerade Iron Man, Captain America und Thor versuchen, die Welt vor einer Invasion Außerirdischer zu bewahren: „Superhelden in New York City?“, fragt er und schüttelt ungläubig den Kopf: „Wer hat sich bloß so einen Blödsinn ausgedacht!“

 

Er war’s. Von all den Eitelkeit, die sich Stan Lee erlauben durfte, waren ihm solche Gastauftritte in Hollywood-Blockbustern die liebsten. Er hat sich zwar auch in der wunderbaren Nerd-Serie „The Big Bang Theory“ selbst gespielt und wurde in einem „Spider-Man“-Videospiel selbst zum Superhelden. Vor allem aber ließ dieser große Comic-Impresario keines der Actionspektakel aus, in denen sich die von ihm erfundenen Superhelden in den letzten Jahren tummeln, um mit einem kuriosen Auftritt seine Fans zu erfreuen. Zuletzt in dem Film „Venom“, in dem er, als er gerade mit seinem Hündchen Gassi geht, nebenbei dem Helden ein paar Tipps für dessen Liebesleben gibt. Es sollte sein letzter Kinoauftritt werden. Am 12. November ist Stan Lee im Alter von 95 Jahren in Hollwood Hills in Los Angeles gestorben.

Einer der kreativster Köpfe der Popkultur

Der Mann, der am 28. Dezember 1922 im New Yorker Apartment seiner aus Rumänien stammenden Eltern als Stanley Martin Lieber zur Welt kam, zählte spätestens seit den 1960ern zu den einflussreichsten kreativen Köpfen der US-amerikanischen Popkultur. Er hat mit den Figuren, die er für den Marvel-Comicverlag erfand, ein Heldenuniversum geschaffen, das heute populärer denn je ist. Von Anfang an waren die Marvel-Superhelden irgendwie anders, hatten nichts gemein mit diesem Strahlemann im roten Cape, den der DC-Verlag durch Metropolis fliegen ließ, der der erste und stärkste aller Comic-Superhelden sein sollte und deshalb auch ganz schlicht Superman genannt wurde.

Für einen ungebrochenen Heroismus dieser Sorte hatten Stan Lee und mit ihm der Marvel-Verlag nie viel übrig. Lee bevorzugte abseitige Charaktere und Außenseiter, Geschichten, in denen Gut und Böse oft ganz nah beieinanderliegen, und Helden, deren Schwächen fast genauso groß sind wie ihre Superkräfte. Dem Teenager Peter Parker, der als Spider-Man auf Verbrecherjagd geht, dichtete er pubertäre Verwirrungen an, die diesem fast genauso schwer zu schaffen machen wie der Grüne Kobold, Doc Ock, der Sandman oder all die anderen skurrilen Gegner, die Lee und seine Kollegen auf ihn losließen.

Der Vater des expandierenden Marvel-Universums

Von der Marvel-Verlagszentrale in Manhattan aus schickte er immer neue Comic-Helden in die Welt hinaus. Die heute berühmtesten stammen aus den 1960er Jahren – wie zum Beispiel Die Fantastischen Vier (1961), Spider-Man (1962), Hulk (1962), Thor (1962), die X-Men (1963), Iron-Man (1963), Daredevil (1964) oder der Silver Surfer (1966). Fast alle der Superstars des immer weiter expandierenden Marvel-Universums hat sich Stan Lee ausgedacht. Er hatte 1941 als 19-Jähriger bei Marvel angefangen, war zunächst dafür verantwortlich, dass die Tintenfässchen der Zeichner stets gefüllt waren. In den 1960er Jahren bildete er dann zusammen mit den Zeichnern Jack Kirby und Steve Ditko das Marvel-Dreamteam, prägte die Marke nachhaltig. In dem gewaltigen, mehrere Kilo schweren Bildband „The Marvel Age of Comics 1961-1978“, der 2017 im Taschen-Verlag erschienen ist, steht darum neben Spider-Man und Co. vor allem Stan Lee im Mittelpunkt.

Er habe den Zeichnern oft nur kurze Exposés als Vorlage gegeben, verriet er im Vorwort des ebenfalls prächtig gestalteten Bildbands „Die Marvel Chronik – 70 Jahre Heldentum“, der 2008 im Stuttgarter Panini-Verlag erschien: „Nach dieser Handlungsskizze zeichneten sie dann ohne weitere Anweisungen meinerseits die eigentlichen Comics“, erklärte er die übliche Arbeitsteilung, „wenn sie fertig waren, bekam ich die gezeichneten Seiten, und ich fügte die ganzen Dialoge, Bildunterschriften und hier und da einen Sound-Effekt hinzu.“ Und fertig war die Superheldenstory.

Früh die Comicrechte für TV- und Kinoableger vermarktet

Kreativ war Lee, der bis zum Geschäftsführer bei Marvel aufstieg, aber nicht nur beim Erfinden von Superhelden, sondern auch bei deren Vermarktung. Schon in den 1980ern begann er damit, TV- und Filmprojekte für Marvel zu vermitteln. Seit 1993 produzieren die Marvel Studios Fernseh- und Kinoableger der Comicstorys – und boten Stan Lee Raum, um seine kleinen Eitelkeiten zu pflegen. Etwa wenn er in „Fantastic Four – Rise of The Silver Surfer“ bei einer Gala abgewiesen wird, weil ihm der Mann von der Security nicht glauben will, dass der Mann mit der markanten Brille wirklich dieser berühmte Stan Lee ist.

Noch im November soll im Taschen-Verlag der Prachtband „The Stan Lee Story“ erscheinen, der als Collector’s Edition von 1 000 nummerierten Exemplaren, jeweils signiert von Stan Lee, erhältlich sein wird (444 Seiten, 1250 Euro).