Roboter sollen lernen, unbekannte Gegenstände zu greifen und damit zu hantieren. Computer sollen virtuelle Figuren realistisch in Bewegung bringen. Ein Besuch am Tübinger Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme.

Stuttgart/Tübingen - Stefan Schaal hat einen Wunsch, der sich sehr bescheiden anhört: Er möchte, dass seine menschengroße Roboterfrau Athena eines Tages über eine grüne Wiese laufen kann. Davon, sagt er, ist Athena aber noch ein gutes Stück entfernt. Denn Roboter können bis heute etwas nicht, was selbst kleine Kinder beherrschen: Sie können sich nicht an neue, nicht vorgegebene Umweltbedingungen anpassen, zum Beispiel an unebenes Gelände. Und sogar eine Wiese sei in diesem Sinne schon unebenes Gelände.

 

Auch Athenas Kollege Apollo, ein Roboter ohne Unterleib, aber mit Augen, Armen und Greifhänden mit Fühlsensoren, soll in Schaals Labor Dinge lernen, für die schon ein vierjähriges Kind „extrem kompetent“ ist, wie Schaal sagt. Er soll „durch Wahrnehmen und Manipulieren“ selbst herausfinden, was ein Bauklotz und was eine Bohrmaschine ist, wie man Dinge einander zuordnet und wie man sie manipuliert.

Nun ist ja bekannt, dass Roboter in modernen Fabriken sehr fix Dinge anfassen und manipulieren können. Doch diese Roboter tun nichts, was nicht vorher programmiert worden ist. Das macht sie schnell und effektiv. Doch Schaal und seine Kollegen am Tübinger Standort des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) wollen mehr erreichen. Sie wollen technischen Systemen einen Dreischritt beibringen, der eine Art Motto für ihre Arbeit ist: Wahrnehmen – Handeln – Lernen. Und mit dem Gelernten wieder wahrnehmen und bestenfalls besser handeln. Deswegen steckt das Wort „intelligent“ im Namen des Instituts.

Wenn Computer menschliche Fehler machen

Geschäftsführender Direktor des Instituts – das Standorte in Tübingen und in Stuttgart hat – ist der Amerikaner Michael J. Black. Sein Thema sind wahrnehmende Systeme (perceiving systems). Black findet ein anschauliches Beispiel dafür, wie weit die Wahrnehmung technischer Systeme von der des Menschen entfernt ist. Ein Mensch, so Black, kann optischen Täuschungen erliegen. Ordnet man Gegenstände oder Linien andeutungsweise in Dreieckform an, ergänzt das menschliche Gehirn, was fehlt, und „sieht“ Dreieckslinien, wo keine sind. „Ich wäre froh“, sagt Black, „wenn unsere Computer eines Tages die gleichen Fehler machen würden. Dann wären diese Computer intelligent.“

Black bringt seinen Computern etwas höchst Anspruchsvolles bei: den menschlichen Körper realistisch wahrzunehmen und abzubilden, sowohl in Ruhe wie in Bewegung. In einem 3-D-Scanner werden Körperformen einschließlich der Verteilung von Muskeln und Fett detailliert aufgenommen; in einem 4-D-Scanner werden zusätzlich Bewegungsabläufe aufgenommen und als Muster gespeichert. Blacks Arbeitsgruppe reichert die Ergebnisse mit Daten aus einer groß angelegten Erfassung der Körpermaße von 100 000 US-Amerikanern an und schafft damit die Datenbasis für virtuelle Figuren (Avatare), deren Bewegungen recht realistisch wirken und die durch wenige Parameteränderungen größer und kleiner, dicker und dünner gemacht werden können. Eine Technik der Bewegungsanalyse, die Black „optical flow“ nennt und schon in seiner Doktorarbeit vorgestellt hat, ist schon in Kinofilmen eingesetzt worden. 1999 bekam der Film „Hinter dem Horizont“ mit Robin Williams einen Oscar für die besten visuellen Effekte. Kein Wunder, dass Black Anfang Mai auf der Animationskonferenz FMX 2015 in Stuttgart einen Vortrag halten wird. Das Thema: Wie man einen digitalen Menschen konstruiert.

Robotik 2.0

Black geht es aber nicht um Spezialeffekte im Kino, sondern um Grundlagenforschung zu dem, was er Robotik 2.0 nennt, um Maschinen, die zum Beispiel ausweichen können, wenn ein Mensch ihnen zu nahe kommt. Es gehe darum, dass Maschinen ihre Umgebung besser interpretieren und sich flexibler anpassen könnten. Vorbild ist die Natur. Selbst Bakterien können Strukturen ausbilden, gemeinsam agieren und Nahrung suchen. Black spricht von „robusten“ technischen Systemen, was viel mit Anpassung und dem Dreischritt aus Wahrnehmen, Handeln und Lernen zu tun hat.

Die Natur, sagt Black, baue ihre Organismen aus einem begrenzten Fundus von Bauformen auf. Der Mensch sei dagegen freier; er könne neue Materialien einsetzen, er habe das Rad erfunden, was die Natur nie getan habe, und er könne sogar, wenn er wolle, einer Maschine acht Beine und Flügel geben. Natürlich seien die Steuerungssysteme einer Bakterie andere als die eines Autos. Doch in der Forschung könne der Vergleich Synergien ergeben.

In solchen Synergien liegt für ihn der Vorteil der Zusammenarbeit der Standorte Stuttgart und Tübingen und der Nähe des Standorts Tübingen zu den Kliniken und den Neurowissenschaften sowie zum MPI für biologische Kybernetik. In dessen Räumen forscht – bis in gut zwei Jahren der Institutsneubau fertig ist – der dritte Direktor des Tübinger MPI-IS neben Schaal und Black, Bernhard Schölkopf. Sein Gebiet sind Grundlagen des Lernens und Schlussfolgerns, zusammengefasst unter dem Begriff empirisches Schlussfolgern (empirical inference). Zurzeit ist Schölkopf im Ausland.

Anwendungen auch in der Medizin

Michael Black ist sicher, dass seine digitalen, realitätsnahen Abbilder von Menschen und deren Bewegungen nicht nur die Filmindustrie interessieren. Ein hochauflösender 3-D-Scan dauert nicht länger als ein Foto mit Blitzlicht. Ein Vergleich von Aufnahmen, die mit zeitlichem Abstand gemacht wurden, kann dem Hautarzt Hautkrebsrisiken zeigen. Es gibt sogar erste Überlegungen, Avatare in der Therapie von Magersucht einzusetzen. Manche Therapeuten meinen, Magersüchtige nähmen ihren Körper verzerrt wahr. Black hat beobachtet, dass Avatare als virtuelle Spiegel die Selbstwahrnehmung verändern: Machte man den Avatar von Testpersonen ein paar Kilo schwerer, waren diese anschließend, wenn der Avatar wieder Normalmaß zeigte, felsenfest überzeugt, man habe einige Kilos zu viel weggenommen. Ob der Effekt therapeutisch eingesetzt werden kann, ist allerdings noch nicht geprüft.

Doch Anwendungen dieser Art wird Black Unternehmensgründern überlassen. An einer solchen Ausgründung aus der Forschung war er selbst beteiligt. Die Firma namens Body Labs hat sich in New York im Umfeld der Modeindustrie angesiedelt. Denn seine Avatare kann Black auch bekleiden und zeigen, wie die Klamotten sitzen, ob sie passen und welche Falten sie in der Bewegung werfen. Die Hersteller von Sportkleidung hätten „nicht viele realistische Modelle dafür“, sagt er erstaunt.

Grundsteinlegung für ein neues Gebäude

Gründung
Das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) ist im März 2011 gegründet worden. Die Stuttgarter Niederlassung ist das wissenschaftlich neu aufgestellte frühere MPI für Metallforschung. Schwerpunkt in Stuttgart sind die Materialforschung und daraus abgeleitete Roboter-ähnliche Effekte in kleinsten Maßstäben. In Tübingen steht das Wahrnehmen, Handeln und Lernen von Computersystemen im Vordergrund.

Neubau
In Tübingen entsteht derzeit auf dem Max-Planck-Campus für 41 Millionen Euro ein neues Gebäude für die derzeit 253 Mitarbeiter der dortigen Niederlassung. Am heutigen Montag ist Grundsteinlegung; Grußworte angekündigt haben Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, Unirektor Bernd Engler und der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Martin Stratmann.