Vor drei Jahren hat der IBM-Computer Watson in einer US-Quizshow die menschlichen Kontrahenten geschlagen. Seitdem versucht die Firma mit ihm Geld zu verdienen: als Assistent im Krankenhaus oder bei der Kripo.

Stuttgart - Die Internetsuche wird intelligenter. In Zukunft fragt die Maschine zurück, was der Nutzer genau will und sucht. So hat der US-amerikanische Outdoorspezialist The North Face angekündigt, eine neue Art von Produktsuche auf seiner Website zu integrieren. Der Nutzer schreibt in natürlicher Sprache seinen Wunsch, etwa: „Im Oktober will ich zwei Wochen durch Vermont wandern. Was brauche ich dafür?“ Im anschließenden Dialog zwischen Mensch und Maschine wird die Ausrüstungsliste aus dem Produktbestand des Händlers für die Tour erarbeitet: Zelt, Schuhe, Kleidung, Ausrüstung. Die Software könnte im Prinzip die Wandererfahrung und -ambitionen des Nutzers ebenso berücksichtigen wie das typische Wetter in Vermont im Oktober.

 

Hinter der neuen Suche steht das Softwaresystem Watson von IBM. Das hatte bereits 2011 auf sich aufmerksam gemacht, als Watson in der US-amerikanischen Quiz-Sendung Jeopardy seine menschlichen Kontrahenten schlug. Im Prinzip arbeitet Watson in drei Schritten. Erst versucht der Computer, die Sprache zu verstehen: Was sagt und will der Nutzer? Dann sucht er in Datenbanken, verknüpft Informationen und bildet eine Hypothese für die richtige Antwort. Schließlich lernt die Maschine hinzu, indem sie Reaktion des Nutzers in den Wissensbestand integriert.

In der Quiz-Sendung war zu sehen, wie Watson seine Top-drei Antwortfavoriten mit Wahrscheinlichkeitsbalken präsentiert. Eine zwanzigköpfige Forschergruppe von IBM hatte bis dahin schon vier Jahre an der Quiz-Maschine gefeilt. „Die damaligen Hardwareanforderungen waren groß“, erklärt Frank Hartmann von IBM in Deutschland. Schließlich sollte die Maschine in weniger als einer Sekunde antworten. Andere Anwendungen erlauben mehr Antwortzeit, und darauf haben sich die Entwickler konzentriert. Inzwischen ist Watson ein eigenständiges Geschäftsfeld bei IBM. Mehr als 2000 Mitarbeiter werkeln an dem System, das aus Hunderten von Modulen besteht, die für jedes Projekt spezifisch zusammengefügt werden.

Der Computer wertet klinische Studien aus

Eine der ersten Anwendungen war Watson Oncology – ein Computersystem, das den Arzt bei der Diagnose und Therapiewahl von Krebserkrankungen unterstützt. „Ich war erst skeptisch, dass wir bei den Anwendungen zuerst in die Medizin gingen, wurde aber schnell eines besseren belehrt“, erklärt Hartmann, der Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Watson berät. Werden sich die Mediziner von einer Maschine reinreden lassen? Die Ergebnisse am Sloan Kettering Center in den USA, einer führenden Krebsklinik, waren viel versprechend. „Die Ärzte schätzen Watson als Hilfestellung und zweite Meinung“, sagt Hartmann. Das liegt wohl auch daran, das kein Arzt alle medizinischen Studien mehr überblickt. Watson kann dabei helfen: Der Arzt lädt mit dem Tablet-Computer die Krankenakte eines Patienten in das Computersystem. Dieses wertet die Daten samt aller verfügbarer Studien aus. Fehlt ein medizinischer Parameter in der Akte, so fragt Watson diesen beim Arzt nach. Das verfeinert das Bilden von Hypothesen, die in eine Diagnose und einen Therapieplan münden. Das letzte Wort hat natürlich der Arzt. Das Sloan Kettering Center hat nach dem Pilotbetrieb die Kooperation mit IBM ausgeweitet.

Weitere Anwendungen folgten. Die Bundeswehr wertet nach Angaben von Hartmann Afghanistan-Einsätze mit Watson aus. Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen konnte mit einer Watson-Installation eine Betrügerbande der organisierten Internetkriminalität dingfest machen. Dazu hatten die Beamten die Serverdaten, auf denen verdächtige Aktivitäten liefen, mitgeschnitten. Watson sollte aus diesem Datenwust relevante Informationen gewinnen. Ziel war, diese Daten so zu verknüpfen, dass die LKA-Beamten auf eine konkrete Person zugreifen konnten. Hartmann erläutert das am Beispiel eines Banküberfalls, bei dem ein blaues Fahrzeug eine Rolle spielt. Aus Tausenden von Metadaten anderer Quellen könnte Watson schließen, ob ein anderes blaues Fahrzeug, das woanders gesehen wurde, damit in Zusammenhang stehen könnte. Auch hier spielt Watson die Rolle des Assistenten.

IBM ist sicherlich das größte Unternehmen, das Big-Data-Anwendungen voran treibt. Mit dem Institut für musterbasierte Prognosetechnik (Ifmpt) in Oberhausen hat erst unlängst eine deutsche Firma auf sich aufmerksam gemacht, die das Schürfen in den Datenbergen für die Kriminalitätsbekämpfung nutzbar macht. Die Software Precobs analysiert Einbrüche und gibt den Polizeibehörden Hinweise, wo und wann auf Datenbasis vergangener und aktueller Straftaten die nächsten Einbrüche wahrscheinlich sind. Die Polizei kann dort ihre Präsenz zur Prävention und Abschreckung verstärken.

Watson kombiniert vorhandenes Wissen neu

Zürich setzt das System ein, München testet. Aus beiden Städten äußern sich die Behörden positiv zur neuen Technik. Zunächst müssen die Beamten die Software mit allen zugänglichen Daten zu Einbrüchen füttern: Tatorte, Tatzeiten und Vorgehen der Verbrecher. Das Computerprogramm stellt dann Verknüpfungen her und erkennt Muster, die der Mensch vielleicht nicht erkennt. „Künftige Kriminalitätsbekämpfung wird immer stärker von automatischen Analysesystemen unterstützt werden“, heißt es beim Ifmpt.

Big-Data-Anwendungen stellen hohe Anforderungen an die Hardware. Das System Watson kann je nach Ausbaustufe aus bis zu zehn Serverschränken mit 15 Terabyte Arbeitsspeicher und 2800 Prozessoren bestehen. Das Betriebssystem ist Linux. Die Kosten fangen bei 100 000 Euro an und erstrecken sich bis in den zweistelligen Millionenbereich. Weltweit sind laut Hartmann rund 15 bis 20 große Systeme installiert, daneben Hunderte kleinere Anwendungen. Die Hardware dafür soll laut IBM mittlerweile nur noch so groß sein wie drei Pizzaschachteln.

Der Normalbürger kommt mit Watson bisher nur sporadisch in Kontakt und merkt nicht, dass der Rechenknecht im Hintergrund werkelt. In den kommenden Monaten will IBM den Studenten an der Universität von Texas Schützenhilfe bieten. In einem Frage-Antwort-Dialog können die Studierenden ermitteln lassen, welche Studiengänge und -kurse für sie denkbar wären – in Abhängigkeit von Bildungsstand, Interessen und finanziellen Möglichkeiten. Denkbar wäre Watson laut Hartmann auch als Lehrer, der erkennt, wie gebildet der Gegenüber ist, und sich bei den Antworten und Erklärungen an den Vorkenntnissen orientiert.

IBM verweist auch gern auf Watson als Chefkoch. Datenbasis waren hier Kochbücher und -rezepte. „Aus der Kombination hat Watson neue Menüs kreiert“, sagt Hartmann. Insbesondere galt es für den Computer, durch neue Zutatenkombinationen ganz neue Geschmackserlebnisse zu ermöglichen. Sterneköche kochten die Rezepte nach. „Die waren skeptisch und hatten zunächst mit dem Kopf geschüttelt“, sagt Hartmann. Doch im Ergebnis waren die Köche beeindruckt.

Das zeigt auch die Einschränkungen des Computersystem. Es kombiniert Vorhandenes neu. Es schafft nichts komplett Neues. „Das Wissen muss in den Daten schon enthalten sein“, erklärt Hartmann.