Als Hobbypilot ein simuliertes Flugzeug steuern – das gibt es schon lange. Doch das Genre ist gewachsen. Nun zeigt der „American Truck Simulator“ eindrücklich, was so viele Spieler an diesen Simulationen begeistert.

Stuttgart - Die Vereinigten Staaten, so heißt es, sind das Land, in dem die aberwitzigsten Wünsche wahr werden können. In der Realität erweist sich dieses Versprechen nur allzu oft als trügerisch – beim Computerspiel „American Truck Simulator“ erfüllt es sich jedoch. „Endlich hast du die Chance, deinen Traumberuf zu erleben: einen Truck zu fahren!“, begrüßt uns das Spiel. Wenige Augenblicke später sitzen wir in einem imposanten Lastwagen der Marke Peterbilt und rauschen über einen verstaubten Wüstenhighway, die Handflächen vor Aufregung feucht. Der Einwand, dass der Beruf des Kraftfahrers im echten Leben eher mies bezahlt und schlecht für den Rücken ist, also vielleicht gar nicht zu den absoluten Traumjobs gehört, ist da längst vergessen.

 

Simulationsspiele für den Computer verkaufen sich blendend, was selbst für diejenigen, die viel Freizeit vor dem Rechner verbringen, nur schwer nachzuvollziehen ist. Vor dem „American Truck Simulator“, den das kleine tschechische Entwicklerstudio SCS Anfang Februar veröffentlicht hat und der binnen weniger Tage tausendfach von Käufern auf der Spieleplattform Steam rezensiert wurde, gab es den „Euro Truck Simulator“, den „Landwirtschaftssimulator“, den „Construction Simulator“ und nicht zuletzt diverse Sport-, Flug- und Jagdsimulatoren. Die Liste ließe sich noch weiterführen, das Genre ist so populär, dass es inzwischen auch dadaistische Titel wie einen Ziegen- und einen Operationssimulator hervorgebracht hat. Bei letzterem darf der Spieler unbeschwert von jedweder Sachkenntnis am narkotisierten Patienten ein veritables Schlachtfest anrichten.

Blut spritzt beim „American Truck Simulator“ keines, wenn hier eine Körperflüssigkeit fließt, dann ist es Schweiß. Denn dieses Spiel verlangt harte, ehrliche Arbeit. Immerhin nimmt ein Tutorial Neulinge an die Hand, die Steuerung des Trucks ist intuitiv, vorausgesetzt, man besitzt zumindest ein Gamepad. Von der Bedienung via Tastatur ist abzuraten, wer es richtig authentisch haben mag, hat auch die Möglichkeit, ein Lenkrad zu verwenden.

Termindruck: die Ware muss geliefert werden!

Doch sobald die technischen Fragen geklärt sind, erteilt der Simulator dem Spieler erst einmal eine Lektion in Sachen Kapitalismus. Da wir nur wenig Dollar im Portemonnaie haben und keinen eigenen Lkw besitzen, müssen wir uns bei anderen Spediteuren verdingen. Diese versorgen uns zwar mit Aufträgen und Fahrzeugen, doch ist der Lohn sehr bescheiden, denn der Boss möchte für das eingesetzte Kapital seinen Teil des Mehrwerts einstreichen – und das nicht zu knapp.

Dank aber der gerade in den USA verbreiteten Praxis der Banken, großzügige Kredite bei kaum oder gar nicht vorhandenen Sicherheiten zu vergeben – gab es deswegen nicht kürzlich erst eine Finanzkrise? – haben wir bald schon 130 000 Dollar auf dem Konto. Mit dem Geld geht es zum Händler, und schon sitzen wir in unserem eigenen Truck, allerdings zunächst einem noch eher schwachbrüstigen Modell.

Auf eigene Rechnung zu arbeiten erhöht die Einkünfte des Spielers ungemein, auch wenn er nun unter permanentem Termindruck steht, da die Kreditraten regelmäßig fällig werden. Zeit zum zweckfreien Herumfahren bleibt so nicht. Das ist ein bisschen schade, da es viel zu sehen gibt. Im Vergleich zum „Euro Truck Simulator 2“, dem unmittelbaren Vorgänger, sind die Städte in der US-Variante deutlich größer und detaillierter ausgefallen.

So stockt einem bei der ersten Fahrt über die Golden Gate Bridge in San Francisco buchstäblich der Atem. Dabei ist das Wahrzeichen der Stadt gar nicht so einfach zu finden. Lange irrt man durch das bergauf und dann wieder hinabführende Straßengeflecht der kalifornischen Metropole, ehe man plötzlich – staunend – der pittoresken Brücke entgegenfährt. Noch schöner indes sind die Touren durch die Wüste Nevadas, entlang schimmernder Staublandschaften. Gerade in einer sternenklaren Nacht ist das ein atmosphärisch einmaliges Erlebnis, das dem Spieler die grenzenlose Freiheit verheißende Weite Nordamerikas eindrücklich vermittelt.

Warum nicht heiße Ware aus Mexiko schmuggeln?

Diese Weite ist indes nur Illusion, denn noch ist der Umfang des Simulators recht überschaubar. Enthalten sind lediglich zwei Staaten im Westen: Nevada und Kalifornien. Weitere sollen laut Hersteller folgen, wobei damit zu rechnen ist, dass dies zumindest teilweise über kostenpflichtige Downloads geschehen wird. Einige Fans der Spielereihe haben ihren Unmut über den geringen Inhalt bereits kundgetan.

Dieser nährt sich auch aus dem Umstand, dass zur Veröffentlichung nur Lastwagen zweier Marken zur Auswahl standen. Schon Mitte Februar lieferte SCS allerdings ein weiteres Modell via Gratis-Update nach; dies lässt auf eine vorbildliche Downloadpolitik schließen. Nach wie vor ist es aber so, dass die Fahrten kürzer ausfallen als beim Vorgänger, was einer höheren Kompression der Spielwelt geschuldet ist. Die knapp 400 Meilen zwischen Los Angeles und San Francisco sind in der Simulation in wenigen Minuten zurückgelegt.

Zumindest geht dadurch das Kerngeschäft des „American Truck Simulator“ flott voran: Man holt einen Hänger in einem Lager der Stadt A ab und befördert diesen dann in die Stadt B. Drückt man dabei zu sehr aufs Pedal, zieht das Strafzettel nach sich; dasselbe passiert, wenn man bei einer langen Tour das Gähnen des Avatars ignoriert und auf eine Rast verzichtet. Längerfristig motivierende Ziele wie der Kauf potenterer Lastwagen oder schmückenden Equipments rücken so in die Ferne.

Die Entwickler haben hier allerdings Chancen ausgelassen: Wie aufregend wäre es, bestünde etwa die Möglichkeit, „heiße“ Ware von Mexiko in die USA zu schmuggeln! Oder wenn am Straßenrand bisweilen Anhalter stünden, mit denen man bei einer Fahrt entlang der Pazifikküste plaudern könnte! Trotzdem: die Stunden fliegen beim „American Truck Simulator“ nur so dahin. Eine unterhaltsamere Verlängerung des Berufslebens hinein in den Feierabend ist derzeit kaum zu haben.