Kein Spiel hat bisher den Krieg so radikal in Frage gestellt wie „This War of Mine“. Hier wird nicht geballert, sondern der Spieler schlüpft in die Rolle von Zivilisten im täglichen Kampf ums Überleben.

Stuttgart - Krieg ist in Videospielen eine Selbstverständlichkeit – eine existenzielle Tatsache, die hingenommen werden will. Das gilt für die großen Egoshooter wie die „Battlefield“- oder „Call of Duty“-Reihe, aber auch für einen eigentlich eher feinsinnigen Titel wie „Civilization“, bei dem man zwar nicht mit gezückter Waffe zu eliminierende Feinde aufspürt, dafür aber per Mausklick einen Genozid durchführen oder einen Atomkrieg entfesseln kann. Es geht offenbar aber auch anders.

 

Ein Kofferradio wird zum Luxusgut

Umso gewaltiger ist der Bruch mit der gewohnten Spielerfahrung, den „This War of Mine“ auslöst: Kein Spiel hat bislang so radikal den Krieg in Frage gestellt, wie dieser phänomenale Titel, den die kleine polnische Firma „11 bit studios“ entwickelt hat. Von heldenhaften Soldaten und spektakulären Gefechten hört man hier allenfalls durch das Propagandaprogramm im Radio, sofern man im Spielverlauf irgendwann ein solches auftreiben kann. In „This War of Mine“ erlebt der Spieler einen militärischen Konflikt nämlich nicht aus der Perspektive einer bis auf die Zähne bewaffneten Killermaschine, sondern aus derjenigen von Zivilisten – und merkt deswegen sehr schnell, wie knapp all das werden kann, was eben noch selbstverständlich gewesen ist, sobald die Waffen sprechen. Ein einfaches Kofferradio avanciert dann schnell zu einem Luxusgut.

Die Simulation versetzt uns in ein fiktives Land, irgendwo im postsowjetischen Osteuropa. Aus dem Nichts ist hier ein Bürgerkrieg ausgebrochen, über Nacht wurden aus Nachbarn plötzlich Todfeinde. Der Spieler dirigiert die Geschicke einer kleinen Gruppe von Leuten, die gerade noch als Lehrer, Automechaniker, Journalisten oder Musiker gearbeitet haben, und sich nun zufällig in einem verlassenen Haus zusammengefunden haben, wo sie Schutz vor den Bomben suchen.

Tagsüber lungern wir also in diesem Haus herum – zu gefährlich wäre es, sich auf die Straße zu wagen, da an der nächsten Ecke ein Scharfschütze lauern könnte und die Stadt unter Artilleriebeschuss liegt. Stattdessen durchsuchen wir den Keller oder den Dachboden nach Gerümpel, mit dem wir uns notdürftig ein Bett oder einen kleinen Ofen zimmern können.

Erst wenn die Nacht einbricht, machen wir uns auf, um in der Nachbarschaft Lebensmittel, Werkzeuge, Rohstoffe und anderes brauchbares Material aufzutreiben. Wir durchkämmen zerbombte Wohnblocks und treffen in den Überresten eines Supermarkts oder einer Tankstelle auf andere Verzweifelte, die wie wir nach Konserven und Wasser Ausschau halten.

Besonders viel ist es nie, was auf diese Weise zusammenkommt. Tag für Tag verschärft sich der Überlebenskampf: der Hunger wird quälender, jemand wird krank und benötigt dringend Medikamente (die natürlich kaum vorhanden sind) und auch der psychische Druck steigt stetig: Immer wieder konfrontiert „This War of Mine“ mit dem Grauen, etwa wenn wir auf einem unserer nächtlichen Streifzüge aus einem Versteck heraus beobachten, wie ein Soldat eine junge Frau erst anzüglich anquatscht, dann immer zudringlicher wird – während wir genau wissen, dass wir, würden wir jetzt eingreifen, dies höchstwahrscheinlich nicht überlebten.

Man ahnt, was Krieg bedeuten kann

Die Erlebnisse, die Zivilisten in einem Kriegsgebiet machen, lassen sich wohl kaum durch ein Computerprogramm adäquat simulieren. Die wachsende Beklemmung indes, die Verzweiflung, die sich einstellt angesichts der Aussichtslosigkeit des täglichen Kampfes gegen den Mangel, die Konfrontation mit moralischen Zwickmühlen – diese Erfahrungen, die „This War of Mine“ vermittelt, lassen aber zumindest erahnen, was Krieg heißen kann. „Fuck the War“ steht in greller Schrift an eine Wand gesprüht, ganz nahe des Hauses, das den Protagonisten des Spiels Zuflucht gewährt. Eine bloße Parole; aber als Ausdruck politischen Protests zugleich eine Erinnerung daran, dass Krieg kein Schicksal und auch keine Naturkatastrophe, sondern menschengemacht ist – weswegen Widerstand gegen den Krieg möglich und in den meistens Fällen auch notwendig ist. Hat es jemals schon ein Videospiel gegeben, das derartige Gedanken provoziert hätte?