Bisher konnten Spieler nur davon träumen, nicht nur per Avatar, sondern selbst völlig in virtuelle Spielwelten einzutauchen. Eine Reihe neuer Entwicklungen kleiner Firmen soll eben dieses Erlebnis möglich machen. Dazu gehört zum Beispiel auch das realistische Erlebnis von Explosionen.

Stuttgart - Mit der 3-D-Brille „Oculus Rift“ ist der Startschuss gefallen. Derzeit entstehen viele neue Technologien entstehen, mit denen lang gehegte Wünsche von Computerspielern in Erfüllung gehen. Seit vergangenem Jahr wird nun allmählich wahr, wovon Spieler bisher nur träumen konnten: komplett in die virtuelle Welt eines Spieles einzutauchen, als sei man körperlich dabei. Möglich wird dies durch Entwicklungen vor allem von kleinen Firmen, die sich durch freiwillige Beiträge von Spielern über das sogenannte Crowdfunding (siehe Kasten) finanzieren.

 

Ein Beispiel ist die 3-D-Brille „Oculus Rift“ der Firma Oculus VR. Dabei schaut der Spieler durch zwei speziell gekrümmte Linsen auf ein smartphonegroßes Display anstatt auf einen Computerbildschirm. Ein Sensor erfasst die Kopfbewegungen und erlaubt dadurch, dass man sich in alle Richtungen umsehen kann. In dem noch in diesem Jahr erscheinenden Weltraumspiel „Elite Dangerous“ wirkt das so real, als sei man tatsächlich in einem Raumschiff im Weltall unterwegs. Man möchte regelrecht die im Cockpitdach angebrachten Haltegriffe anfassen, und ertappt sich dann beim Greifen in die Luft.

Ein Novum, das die Spielbranche aufrüttelt

Dies ist ein echtes Novum, denn bisher steuerte der Spieler lediglich Avatare durch die Spielwelt, wo er nun praktisch „selbst“ entlanglaufen kann. „Oculus Rift“ rüttelt damit die Spielbranche auf und hat einen ungeahnten Entwicklungssturm im Bereich virtuelle Realität ausgelöst, der die Branche belebt, nachdem jahrelang häufig nur Fortsetzung auf Fortsetzung von Computerspielen folgte.

Eines dieser aktuellen Produkte, das die 3-D-Brille „Oculus Rift“ ergänzt, ist das Stem-System von Sixense. Dabei handelt es sich um eine kabellose Bewegungsverfolgung, die gleichzeitig volle Bewegungsfreiheit erlaubt. Der Spieler befestigt dabei bis zu fünf sogenannte Stem-Controller an Armen, Beinen und Kopf, die mit Bedienknöpfen, Joystick und haptischem Feedback ausgestattet sind. Basierend auf einem elektromagnetischen Feld werden die Controller kontinuierlich in ihrer Lage und Position zu einer stationären Basis bestimmt, jeweils in drei Achsen. In einem Radius von immerhin 2,5 Metern soll damit natürliche und intuitive Interaktion in Spielen und virtueller Realität möglich werden, indem die Position des gesamten Körpers sowie auch dessen Orientierung jederzeit verfolgt werden. Eine mitgelieferte Software ermöglicht es zudem, nahezu alle gängigen Spiele in der virtuellen Realität zu erleben.

Zwei neue Spielplattformen

Einen darüber hinaus gehenden Ansatz verfolgen aktuell gleich zwei Hardware-Innovationen: der sogenannte „Cyberith Virtualizer“ oder das „Virtuix Omni“, beides Spielplattformen, die bereits im Frühjahr 2015 in Serienproduktion gehen sollen. Im Aussehen an Laufställe für Kinder erinnernd, soll der Spieler mit ihrer Hilfe – ganz ohne Joystick, Maus oder Tastatur – durch die virtuelle Welt streifen können. Spieler werden somit zum Teil des Computerspiels. Das „Virtuix Omni“ und der „Cyberith Virtualizer“ sind omnidirektionale Laufflächen, die in einem 360-Grad-Kreis beschritten werden können. Bei beiden Systemen wird der Spieler von einer Ringkonstruktion umgeben, in der er springen, knien oder sich drehen kann. Auch sitzen soll möglich sein, um virtuell ein Autorennen zu bestreiten oder ein Flugzeug zu steuern.

Alle Bewegungen werden mit einer Genauigkeit von unter einem Zentimeter ins Spiel übertragen. Um die Bewegungen des Spielers jederzeit erfassen und ins Spiel übertragen zu können, nutzt etwa der „Cyberith Virtualizer“ Sensoren in der Grundplatte, in den seitlichen Stützstreben und in der Ringkonstruktion. Außerdem verfügt er über Vibrationseinheiten, die den Spieler zum Beispiel Einschläge in der Nähe spüren lassen. Im Zusammenspiel mit der „Oculus Rift“-Brille und einem Surround-Sound-Kopfhörer sollen der „Cyberith Virtualizer“ und das „Virtuix Omni“ eine komplette Immersion wahr werden lassen – also das vollständige Eintauchen in eine virtuelle Welt. Wie im echten Leben kommen die Geräusche dann aus der Richtung, in der sie entstehen, und der Spieler kann sich zu ihnen hinwenden.

Dünne Handschuhe für das Fingertracking

„Control VR“ ist dagegen eine Technologie, die speziell das Tracking der Hände verfeinert. Mit dünnen Handschuhen können Eingaben in Raumschiff-Panels vorgenommen werden, der Spieler kann virtuell Tennis spielen oder sich in Zeichensprache unterhalten. Die Basis dafür stellt ein genaues Arm- und Fingertracking mit speziellen Trägheitssensoren dar, bei dem selbst filigrane Bewegungen erkannt und wiedergegeben werden. Dabei soll die Verzögerung zwischen der Handbewegung und der Umsetzung im Spiel minimal sein.

Den letzten Schliff und das ultimative Abtauchen in eine Spielewelt soll schließlich die „KOR-FX“ Spieleweste ermöglichen. Sie lässt den Spieler seine virtuelle Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erleben. Fährt etwa ein großes Fahrzeug vorbei, so spürt man die Vibration im Brustkorb. Noch stärker wirken Kugeleinschläge oder Explosionen, bei denen man sogar die Richtung ausmachen kann, aus der sie kommen. Die dahintersteckende Technologie setzt Geräusche aus Spielen oder Filmen in fühlbare Rückmeldungen um. Geräuschumwandler, sogenannte Transducer, sind für den haptischen Impuls verantwortlich, der in den Brustkorb des Spielers ausstrahlt. Die Übertragungsstärke lässt sich individuell anpassen, sodass der Spieler nicht etwa durch einen Schuss tatsächlich umgeworfen wird.

In Zukunft wird es für Computerspieler damit möglich sein, selbst durch Spielewelten zu wandeln, die ihn faszinieren. Vielleicht nutzt der eine oder andere dann die neuen Techniken sogar für morgendliches Joggen durch eine mittelalterliche Welt wie „Skyrim“ oder macht einen kleinen Spaziergang auf einem fremden Planeten wie im Spiel „Elite Dangerous“.

Der Weg zu virtuellen Welten

Virtuelle Welt
Ziel der meist von privaten Spielenthusiasten entwickelten Innovationen ist es, nicht nur optisch, sondern komplett mit dem ganzen Körper in die virtuelle Welt einzudringen. Das hierfür erforderliche Geld kommt meist durch Internet-Aufrufe zur finanziellen Beteiligung zusammen, dem Crowdfunding.

Wirtschaft
Große Unternehmen zeigen sich dabei bisher weit weniger innovativ, sie wagen sich nur langsam auf neues Terrain. Sie scheuen das Risiko und warten eher ab, wie sich der Markt entwickelt. Sie müssen zudem darauf achten, nicht etwa eigenen Produkten in der Firma Konkurrenz zu machen. Und nicht zuletzt sind Entscheidungswege viel länger und brauchen entsprechend mehr Zeit.