Er zählt zu den Großen der jungen Garde amerikanischer Country- und Folksongwriter. Warum das so ist, hat Conor Oberst jetzt auf seinem Gastspiel in Stuttgart beantwortet.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Was also ist passiert, seit Conor Oberst erstmals in Stuttgart zu Gast war? Die Location ist größer geworden, 2004 gastierte er in der restlos ausverkauften Rosenau (in der seinerzeit die Betreiber des Traveller’s Club das Konzert ausgerichtet haben), diesmal im großen Saal des Theaterhauses, in dem ihn ein fast durch die Bank außerordentlich reifes Publikum bestaunt, das sich vermutlich noch an Läden wie den Traveller’s Club erinnern kann und mithin Herrn Oberst fast zum Saaljüngsten degradiert. Zudem hatte er damals auch noch keinen Mundharmonikabefeuchter dabei – denn allen Ernstes sitzt auf der Bühne im Hintergrund ein Assistent, dessen einziger Daseinszweck darin besteht, mithilfe eines Goldfischglases (ohne Fisch drin glücklicherweise) regelmäßig das Blasinstrument zu benetzen und dem Musiker anzureichen.

 

Nun zählt die Mundharmonika in der Popmusik aus guten Gründen nicht zu den allerbeliebtesten Instrumenten; zu viele Jugendfreizeit- und Lagerfeuerassoziationen schwingen da mit, zudem allzu oft Gedanken an den aktuellen Literaturnobelpreisträger. Auch Conor Oberst musste sich einst den Vergleich als „junger Bob Dylan“ gefallen lassen, obwohl er da noch nicht mal Mundharmonika spielte. Und er hat ihn schließlich auch selbst am Lodern gehalten, denn als der „alte“ Bob Dylan jüngst gerade seinen Preis nicht entgegennahm, veröffentlichte der „junge Bob Dylan“ zeitgleich sein aktuelles Album „Ruminations“, ein keinesfalls rundweg gelungenes Solowerk, eingespielt mehrheitlich auf Piano und Mundharmonika.

Das Blatt wendet sich rasch

Leicht unheilvolle Befürchtungen folglich gibt’s zu Beginn des Konzerts, als Conor Oberst sich ans Klavier setzt und dazu die Mundharmonika bläst. Entwarnung folgt allerdings schon beim dritten Stück, als er zur Klampfe greift, mit der er den Großteil des Konzerts bestreitet und den Abend fortan in eine gänzlich andere Richtung lenkt. Begleitet wird er vom Songwriter Miwi La Lupa, der bereits im Vorprogramm gespielt hat, kurzzeitig von der Songwriterin Phoebe Bridgers, die ebenfalls das Vorprogramm bestritten hat, sowie in sehr seltenen Momenten von dezenten Bassdrumbeats aus dem Schlagzeugcomputer. Diese ungewöhnliche Anordnung gelingt prächtig. Miwi La Lupa spielt hervorragend Gitarre, er nutzt die tiefe E-Saite seiner E-Gitarre fast wie ein E-Bassist zur Grundierung, er streut Miniaturmelodien in Obersts Harmonien, er agiert in einem wundervollen Zusammentreffen zwischen dezenter Begleitung und präsenter Impulsgebung.

Oberst, der jetzt „schon“ 37 Jahre alt ist, wirkte bereits zu Beginn seiner Karriere, als knapp Zwanzigjähriger, außerordentlich reif und komplett. Und so zeigt er sich auch jetzt im Theaterhaus. Filigran und akkurat spielt er seine Akustikgitarre, mal wehen die Klänge wie ein Hauch dahin, mal klingen die Akkorde wie gemeißelt. Dazu, vordergründig scheint das wie ein Gegensatz, de facto ist aber gerade das Obersts Gütesiegel, kommen sein verhuschter Habitus und die zerbrechliche Stimme, mit der dieser großartige Songwriter seine teils lakonischen und teils bitterschroffen Verse singt und eine betörende Melange zusammenrührt.

Besonders gut gelingt ihm auch der Duettgesang mit Miwi La Lupa. Theoretisch könnte da auch der Gesang im Trio mit Pheobe Bridgers mithalten, die von Oberst – der sich im Theaterhaus ohnehin angenehm gesprächig zeigt – als aufstrebendes Talent gepriesen wird; praktisch kommen aber Erinnerungen an die wirklich grandiosen Duette aus Obersts Oeuvre auch mit den Bright Eyes dazwischen, etwa den „Land Locked Blues“ mit Emmylou Harris.

Eine hoch verdiente Pause

Nach fünfzig Minuten gibt es eine kurze Pause, deren dramaturgischer Sinn sich nicht erschließt, zumal Conor Oberst extrem arbeitnehmerunfreundlich ohnehin erst um halb Zehn auf die Bühne kommt. Danach geht’s weiter, mit der launig von ihm als Pflichtprogramm angekündigten weiteren Vorstellung des neuen Albums, ein wenig Bright-Eyes-Repertoire, noch mehr traurigen Weisen über Depressionen, enttäuschte Liebe und viel zu viel Heroin sowie einer Coverversion des „Rockefeller Druglaw Blues“ von den Felice Brothers. Conor Oberst weiß, wovon er da singt, und das letzte, was an diesem Abend beeindruckt, ist die hier wie in so vielen Momenten aufscheinende Vertrautheit, mit der er dieses als „Intimate Solo Performance“ angekündigte Konzert trotz des großen Saals tatsächlich zu kammermusikalischer Innigkeit führt.

Zum Abschied nach zwei wie im Flug vergangenen Stunden gibt’s wohlwollenden, aber nicht überbordenden Applaus, Kusshändchen zum Abschied und Saallicht statt einer Zugabe. Was bleibt, ist die eingangs aufgeworfene Frage, was sich geändert hat. Der Abend ist ordentlich besucht, aber längst nicht ausverkauft, achthundert Besucher sind ins Theaterhaus gekommen – auch nach 25 Jahren Berufskarriere, neun teils umjubelten Alben mit den Bright Eyes und zehn Alben als Solokünstler hat Conor Oberst offenbar Schwierigkeiten, ein richtig großes Publikum zu finden. Und das, obwohl er doch als großer Name einer neuen Generation US-amerikanischer Singer-/Songwriter gilt. Das ist ein bisschen desillusionierend. Es soll aber den Gesamteindruck nicht schmälern, dass Conor Oberst ein wirklich toller und virtuoser Musiker ist, dem mal wieder zuzuschauen ein großes Vergnügen gewesen ist.