Der Trainer Jürgen Klinsmann begegnet im Halbfinale der Copa America den Argentiniern um ihren Superstar mit der ihm eigenen Begeisterung – und einem starken US-Team.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Houston - Dieses Spiel ist so ganz nach Jürgen Klinsmanns Geschmack. Der 51-jährige Schwabe mag es ja, wenn alle um ihn herum glauben, ein großes Ziel nicht erreichen zu können. Das spornt ihn an, das lässt ihn auch zu großer Form auflaufen. So war das schon früher als Spieler, so war es später als Bundestrainer, und so ist es auch jetzt als Coach der US-amerikanischen Fußball-Nationalmannschaft.

 

Groß ist also die Kulisse in Houston, noch größer ist die Anerkennung für das bisher Erreichte, aber am größten ist die sportliche Herausforderung, den Coup bei der Copa America Centenario zu vollenden. „Gigantisch“, findet Klinsmann das Halbfinale gegen Argentinien in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (3 Uhr/Sat.1).

Überhaupt ist „gigantisch“ Klinsmanns Lieblingswort, wenn er über sein Team beim Turnier der besten 16 amerikanischen Fußballnationen spricht. Es entspricht seinem Hochgefühl in diesen Tagen. Und es entspricht seiner Haltung, die Spieler beflügeln zu wollen, ohne dass sie den Boden unter den Füßen verlieren. „Wir sind unglaublich stolz, hier im eigenen Land unter die besten vier Mannschaften gekommen zu sein“, sagt Klinsmann, „aber jetzt ist unser Erfolgshunger noch größer.“

Der Traum vom Titel

Klinsmann will nach dem Viertelfinalerfolg gegen Ecuador alles. Er hält die US-Elf für gut und reif genug. Anders als noch vor zwei Jahren, als er den Amerikanern die Realität vor Augen führen musste und ihnen schon im Vorfeld erklärte, dass sie wohl nicht die WM gewinnen werden. Das passte so gar nicht zum Selbstverständnis der Menschen in seiner Wahlheimat und brachte dem deutschen Fußballlehrer den Vorwurf des „Anti-Amerikanismus“ ein.

Doch nun sieht sich Klinsmann auf seinem langen und steinigen Weg mit dem US-Team an einem Punkt, der zum Traum vom Titel berechtigt. „Argentinien ist zwar ein schwerer Brocken, aber wir haben keine Angst“, sagt der Coach. Diese Botschaft voller Selbstbewusstsein trichtert er auch den Spielern ein: Sich nicht einschüchtern zu lassen von den großen Namen und mutig gegen Lionel Messi und Co. zu spielen.

Speziell jetzt wieder vor dem Halbfinale (das zweite bestreiten Kolumbien und Chile) ist Klinsmann der Berufsoptimist und begeisternde Projektleiter, aber im Grunde arbeitet er schon seit fünf Jahren auf diesen emotionalen Moment hin. „Wir müssen jetzt zupacken“, sagt Klinsmann und verweist auf den Lernprozess, der die US-Mannschaft so weit gebracht hat. Zuletzt gehörte ein ganzes Paket an Freundschaftsspielen gegen Spitzennationen dazu.

Mit John Brooks steht die Berliner Mauer

Gute Auftritte legten die US-Boys dabei hin – und erzielten gute Resultate wie beim 2:1-Sieg gegen Deutschland vor einem Jahr. Doch gegen Argentinien tritt der Ernstfall ein: 70 000 erwartungsfrohe Zuschauer im überdachten und klimatisierten NRG Stadium der texanischen Metropole, ein Gegner, der sich seit 23 Jahren nach einem internationalen Triumph sehnt, ein Superstar, der sowohl aus dem WM-Endspiel 2014 als auch aus dem Copa-Finale 2015 als der große Verlierer hervorging.

„Ich denke, wir müssen einfach so weitermachen wie bisher“, sagt Messi. Nicht mehr und nicht weniger müsse der Favorit liefern, glaubt der fünfmalige Weltfußballer vom FC Barcelona. Gegen „physisch starke Gegner“, wie Messi betont. Dazu gehört auf US-Seite allen voran John Brooks von Hertha BSC, den Klinsmann bisher als „den besten Innenverteidiger der Copa“ einstuft. Offenbar kein Vorbeikommen gibt es an dem 23-jährigen Abwehrspieler, den die US-Medien deshalb als „Wall of Brooks“ bezeichnen, die Brooks-Mauer aus Berlin.

Auch der Gladbacher Fabian Johnson spielt laut Klinsmann gut. „Sehr konstant, egal auf welcher Seite“, sagt der Trainer. Das Dortmunder Talent Christian Pulisic setzt er dagegen mit Vorsicht ein. Auf Bobby Wood, der in der neuen Saison für den Hamburger SV auflaufen wird, muss Klinsmann im Halbfinale allerdings verzichten. Der Stürmer von Union Berlin ist ebenso gesperrt wie der frühere Schalker Jermaine Jones und Alejandro Bedoya (FC Nantes).

Drei Stammkräfte, über deren Fehlen einer wie Klinsmann jedoch nicht klagt. Nicht jetzt. Trotz der Kritik, die zuletzt auf ihn eingeprasselt ist. Das passt einfach nicht zu dem „gigantischen“ Gefühl des Wachstums, das Klinsmann und die US-amerikanische Fußballnation ergriffen hat.