Corinna Harfouch tritt in Stuttgart wieder mit ihrer Schwester Catherine Stoyan auf. In „Was geschah mit Baby Jane?“ spielen sie zwei verschwisterte, einander zutiefst hassende Filmstars – ein Besetzungscoup. Die Premiere findet am Samstag im Kammertheater statt.

Stuttgart - Die Suppe ist scharf. Corinna Harfouch atmet tief durch, auch der Tee ist heiß. Probenpause, Mittagessen in einem indischen Restaurant. Der Regisseur Christian Weise kämpft mit einer Erkältung, draußen ist Schmuddelwetter. Sie kenne das nicht anders hier, sagt Harfouch und meint es gar nicht böse. Kerzengerade und hochkonzentriert sitzt sie da, auch ohne Maske so gut aussehend wie auf der Kinoleinwand.

 

In schöner Regelmäßigkeit ist Corinna Harfouch für ein paar Wochen in Stuttgart zu Gast – als Schauspielerin, als Regisseurin und als Vorleserin. Und das meistens zu einer Jahreszeit, in welcher der Himmel über der Stadt in Grau gepackt ist. Für Höhlenbewohner – und mit der Höhle ist die Probebühne gemeint – sei das Wetter sowieso egal, meint der Film- und Theaterstar. Was Harfouch nach Stuttgart zieht? Die Arbeit. Und das Publikum, das sehr offen sei. „Hier haben die Leute mehr Freude an unserer Art von Theater“, sagt die Spielerin. Theater, das seinen Stoff erzählt und nicht dekonstruiert, ergänzt ihr Regisseur.

Stuttgart ist die Stadt, in der auch Harfouchs Schwester Catherine Stoyan lebt und spielt. 2006 haben die beiden erstmalig gemeinsam auf der Bühne gestanden: „Herr Ritter von der traurigen Gestalt“, ebenfalls inszeniert von Christian Weise, war vor sieben Jahren ein Riesenerfolg. Jetzt spielen Catherine und Corinna wieder zusammen. Am Samstag hat ihr zweites Gemeinschaftswerk im Kammertheater Premiere: „Was geschah mit Baby Jane?“

Was Bette Davis nicht hätte tun sollen

Das Stück ist starker Tobak und beruht auf einer filmischen Vorlage. Zwei Schwestern leben im selben Haus und sind sich in tödlicher Feindseligkeit ausgeliefert. Die eine war eine gefeierte Schauspielerin, die jetzt im Rollstuhl sitzt, die andere hatte nur eine kurze Karriere als Kinderstar und ist mittlerweile eine bösartige Alkoholikerin. In dem Thriller aus dem Jahr 1962 „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ von Robert Aldrich lief die gealterte Bette Davis als wüste Trinkerin noch einmal grässlich grimassierend zur Hochform auf – was die große Diva besser gelassen hätte, wie Harfouch findet, die nun das Besteck passgenau als Dreieck auf die gefaltete Serviette legt. Ordnung in den Gedanken, Ordnung auf dem Tisch. Dann fährt sie analysierend fort: Die Art von Bette Davis, sich vorzudrängeln, hätte dem Plot nicht gutgetan.

Corinna Harfouch aber spielt jetzt die Rolle, die damals Joan Crawford innehatte. Ihre Figur heißt Blanche und ist von den beiden die begabtere und berühmtere Schauspielerin, die von ihrer kleinen Schwester auf den Tod gequält wird. Angeblich verstanden sich Davis und Crawford auch im wirklichen Leben als Rivalinnen, sagt Christian Weise – und wurden möglicherweise deshalb auch exakt so besetzt.

Und jetzt spielt Harfouch im Kammertheater die berühmte Diva, während Stoyan deren weniger berühmte kleine Schwester gibt. Liegt eine biografische Lesart da nicht nahe? „Es wäre ausgeschlossen, das Stück zu spielen, wenn Catherine und ich uns tatsächlich in einer Konkurrenzsituation befänden“, sagt Corinna Harfouch entschieden. „Wir können unsere Rollen nur aus Liebe und Sympathie füreinander erfinden.“ Uninteressant, ja geradezu absurd wäre es deshalb, suchte man in dieser auf der Basis von Roman und Film erarbeiteten Fassung nach biografischen Bezügen.

Harfouch und ihre Schwester spielen: Schwestern

Dass sie mit ihrer Schwester, die sie als Schauspielerin sehr schätzt, wieder spielen wollte, sei der Grund für die Wahl des Stoffs gewesen. So viele Stücke, in denen zwei gleichberechtigte Frauenfiguren aufträten, gäbe es eben nicht, erklärt Harfouch, während Weise in der Selbstverständlichkeit, mit der Harfouch und Stoyan sich als Schwestern spielen, einen Vorteil sieht: „Die beiden Frauen müssen sich über bestimmte Gesten nicht mehr verständigen.“

Harfouch erzählt von einer Lehrerin, die mit über siebzig Jahren noch an der Volkshochschule unterrichtet, nur deshalb, um noch wahrgenommen zu werden. Und darum gehe es doch in „Baby Jane“, sagt die Schauspielerin, die klug und druckreif spricht: „Mich interessiert, wie man mit Bedeutungsverlust fertig wird. Und mit den Verletzungen, die aus der Kindheit stammen. Das sind zutiefst menschliche Empfindungen.“ Nicht immer sind Weise und Harfouch bei diesem Mittagessen einer Meinung, hier aber schon: „Diese menschliche Problematik, sie prägt sich bei Schauspielerinnen und Celebritys nur stärker aus als bei anderen Menschen. Deswegen lesen wir ja Zeitschriften wie die ,Gala‘“, sagt der Regisseur.

„Baby Jane“ ist auch ein Abschied, denn vermutlich werden Harfouch, Stoyan und Weise in Zukunft nicht mehr in Stuttgart zusammenarbeiten. Diese besondere Kon- stellation ist nämlich eng mit dem Intendanten Hasko Weber verknüpft, der im Sommer nach Weimar geht. So sei das eben, meint Harfouch lakonisch. Aber jetzt genießt sie noch das Zusammensein mit ihr nahen Menschen, wie sie das nennt. Auch den Sohn hatte sie schon zu sich auf die Bühne nach Stuttgart geholt, er ist Musiker. Ja, sie organisiere das regelrecht, von den Lieben umgeben zu sein, gesteht sie.

Ansonsten herrscht viel Rastlosigkeit in Harfouchs Leben. Im Moment sind es zwar weniger die Drehtage, die den Terminkalender füllen, dafür aber umso mehr die Arbeiten am Theater. Als bloße Zugnummer will sie sich dabei aber nicht einspannen lassen: „Ich will als Schauspielerin engagiert werden, nicht als Berühmtheit.“ Und schon demnächst setzt Corinna Harfouch andernorts fort, was sie in Stuttgart mit der Inszenierung von „Der Schmerz“ begonnen hat: die Arbeit als Regisseurin. Einen Stoff von Etel Adnan wird sie in Berlin auf die Bühne bringen, Tänzer werden dabei sein, zwei ältere Damen – und abermals ihre Schwester Catherine.