Menschen berühren sich ständig unbewusst im Gesicht. Wie gefährlich ist das – und was hilft dagegen?

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Anleitungen zum richtigen Händewaschen neben Waschbecken, ausverkaufte Desinfektionsmittel im Supermarkt, Menschen, die bei Begegnungen Abstand halten. Hygiene wird in Corona-Zeiten großgeschrieben. Doch einen wichtigen Rat von Infektionsexperten ignorieren viele permanent: die Empfehlung, sich so selten wie möglich ins Gesicht zu fassen. Denn die Schleimhäute von Augen, Nasen und Mund sind ideale Eintrittspforten für Krankheitskeime und damit auch für das Coronavirus.

 

Ein möglicher Infektionsweg sieht so aus: Ein infizierter Mensch hustet in seine Hand und kontaminiert sie mit Viren. Mit einem Finger dieser Hand betätigt er einen Aufzugknopf. Ein anderer Mensch, der wenig später denselben Knopf drückt, hat darauf einen Teil der Viren an seinen Fingern hängen. Reibt er sich damit seine Augen oder greift sich an Nase oder Mund, können die Krankheitserreger in seinen Körper gelangen und ihr zerstörerisches Werk beginnen. In Zeiten der Corona-Pandemie sollten wir uns also erst recht nicht ins Gesicht fassen. Rein intellektuell dürfte das den meisten klar sein. Warum fällt es uns im Alltag trotzdem so schwer?

Wer sich spontan ins Gesicht fasst hat meist Stress

Der Leipziger Hirnforscher Martin Grundwald hat untersucht, wie Gesichtsberührungen die Hirnaktivität beeinflussen. Demnach verändern sich dabei bestimmte elektrische Potenziale in unserem Oberstübchen – nämlich jene, die mit der Speicherung von Informationen im Arbeitsgedächtnis und dem emotionalen Befinden in Verbindung stehen. Spontane Gesichtsberührungen scheinen uns zu helfen, mit kognitiver Überforderung und Stress umzugehen. Auch das Arbeitsgedächtnis funktioniert danach wieder besser. Das erklärt, warum sich ein Hänger beim Denken oder Sprechen oft überwinden lässt, wenn man sich mit der Hand ins Gesicht fasst oder durchs Haar fährt. „Auf diese Weise gelangt der Mensch wieder ins innere Gleichgewicht“, meint Grundwald. Studien zufolge greift sich ein durchschnittlicher Mensch mehrere Hundert Mal pro Tag ins Gesicht.

Die meisten Tiere berühren sich nur selbst, wenn es einen konkreten Grund gibt – etwa ein störendes Insekt, das sie entfernen wollen. Eine Ausnahme bilden unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen. Auch sie berühren häufig ohne sichtbaren Anlass ihr Gesicht oder andere Körperstellen. Offenbar fühlen sich Primaten öfter gestresst als weniger hoch entwickelte Tiere. Die Corona-Krise versetzt momentan viele Menschen in einen nie da gewesenen Stresszustand. Der Drang zum Stressabbau durch Selbstberührungen dürfte derzeit also eher noch größer sein. Deshalb kursieren Tipps, wie man die hygienisch bedenklichen Griffe zu Nase, Augen oder Mundregion verhindern könnte. So kann man etwa versuchen, sich intensiv selbst zu beobachten, was bei Bewegungen, die meist unbewusst ablaufen, ziemlich anstrengend ist.

Ein Papiertaschentuch beugt der Übertragung von Viren vor

Andere empfehlen große Brillen, die zumindest die Augenpartie schützen, oder raten zur Selbstüberwachung über eine Webcam, die Alarm schlägt, wenn die Hand sich zum Gesicht bewegt. Hilfreich sind unter Umständen auch andere Formen des Stressabbaus – etwa durch körperliche Aktivitäten oder kreative Tätigkeiten. Ganz vermeiden lassen wird sich die wohltuende Gewohnheit aber auch mit solchen Tricks nicht. Umso wichtiger ist es, die Hände nach jedem Kontakt mit potenziell kontaminierten Flächen zu waschen. Und wenn das Auge tatsächlich mal heftig juckt, sollte man es nur mit einem frischen Papiertaschentuch berühren.

Wer sich so gut wie möglich vor dem neuen Coronavirus schützen will, sollte ernsthaft ins Auge fassen, zumindest einen dieser Ratschläge zu befolgen.