Der österreichische Ferienort Ischgl wurde im Frühjahr zu einem Synonym eines unkontrollierten Coronavirus-Ausbruchs. An der Reaktion der Behörden hagelte es heftige Kritik. Nun gibt es erste Schadenersatz-Klagen, darunter von deutschen Touristen.

Wien - Die massive Verbreitung des Coronavirus vom Tiroler Skiort Ischgl in viele Länder der Welt hat ein juristisches Nachspiel. Ein österreichischer Verbraucherschutzverein reichte beim Landesgericht Wien erste Zivilklagen gegen die Republik Österreich auf Amtshaftung ein, wie der Obmann der Organisation, Peter Kolba, am Mittwoch sagte. Die Klagen seien im Namen von Einzelpersonen erfolgt, die sich im vergangenen Winter in Ischgl infiziert hatten. Sie werfen den Behörden und verantwortlichen Politikern vor, zu spät und nicht angemessen reagiert zu haben und fordern nun Schadenersatz.

 

Bei den vier Klagen handele es sich um erste Musterprozesse, aber vorerst nicht um eine Sammelklage. „Das sind nur die ersten Klagen, weitere werden folgen“, sagte Kolba. Insgesamt hätten sich mehr als 6000 Tirol-Urlauber aus 45 Ländern bei dem Verein gemeldet. Der Großteil davon stammt aus Deutschland.

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Der Corona-Ausbruch in Ischgl, das auch „Ibiza der Alpen“ genannt wird, galt als Hotspot und trug zur Verbreitung des Virus in Europa bei. Vor allem in überfüllten Apres-Ski-Bars dürfte das Virus den idealen Nährboden für eine Verbreitung gefunden haben. Aber auch Gondeln und Ski-Busse gelten als Ort der Ansteckung. Hunderte Österreicher und Tausende ausländische Touristen infizierten sich. Der erste Fall in Ischgl wurde am 7. März entdeckt, Tage nachdem bereits Island gewarnt hatte, dass sich Urlauber dort infiziert hätten. Die ersten Fälle in Österreich wurden Ende Februar gemeldet. Kanzler Sebastian Kurz kündigte schließlich am 13. März eine sofortige Quarantäne für Ischgl und das umliegende Paznaun-Tal an. Ausländische Gäste durften aber abreisen, was heftig umstritten war, weil sich das Virus weiter ausbreiten konnte. Der Verein wirft Kurz vor, durch die abrupte Verhängung der Quarantäne chaotische Zustände bei der Abreise ausgelöst zu haben.

Behörden sehen kein Fehlverhalten

Die Tiroler Behörden wiesen alle Vorwürfe zurück. Es sei angesichts der damaligen Erkenntnisse über das Virus angemessen gehandelt worden. Nach Ansicht des Vereins hätten die Verantwortlichen aber zu spät reagiert und möglicherweise dem Druck des Tourismussektors nachgegeben. Für Tirol ist der Winter-Tourismus eine wichtige Einnahmequelle.

Im kommenden Jahr will der Verein Sammelklagen einreichen. Dafür müsse allerdings die Finanzierung sichergestellt werden, damit die Betroffenen ohne Kosten klagen können. „Doch bis solche Sammelklagen mit Urteilen enden, vergehen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte,“ sagte Kolba. „Wir haben daher heute einen offenen Brief an Bundeskanzler Kurz gerichtet und einen Runden Tisch für eine raschere Lösung vorgeschlagen. Das wäre im Interesse der Geschädigten, aber doch wohl auch im Interesse des Tourismus in Österreich, der dadurch unter die Ereignisse einen Schlussstrich ziehen könnte.“ Statt langwieriger Verfahren hofft der Verein auf eine außergerichtliche Einigung. „Es wäre für den Ruf von Österreich als Tourismusland in der Welt und für Tirol ebenso hilfreich wie für die vielen Geschädigten, die auf ein Einbekenntnis der Fehler, eine Entschuldigung und Schadenersatz warten.“